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Ein Nachteil ist, dass sich Mitarbeiter im Home Office isoliert fühlen und sich nicht austauschen können.
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Flexiblere Arbeitszeiten: Die Chancen auf Home Office steigen

Das Bundesarbeitsministerium will ein Recht auf Arbeit am eigenen Schreibtisch schaffen. Bislang tun sich deutsche Firmen damit ziemlich schwer.

Kinder, Handwerker, Postboten – wie schön wäre es, wenn man zu Hause sein könnte, um für sie da zu sein oder ihnen wenigstens die Tür aufzumachen. Vier von zehn Bundesbürgern würden deswegen gerne hin und wieder von zu Hause aus arbeiten. Doch nur zwölf Prozent können das, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat.

Das Bundesarbeitsministerium will nun ein gesetzlich verankertes Recht auf Heimarbeit schaffen. Das kündigte Staatssekretär Björn Böhning (SPD) zumindest im „Spiegel“ an. Demnach sollen Unternehmen Heimarbeit entweder erlauben oder zumindest begründen müssen, warum sie nicht möglich ist.

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wäre Heimarbeit bei 40 Prozent der Jobs grundsätzlich möglich. Meistens scheitert der Wunsch aber an den Vorgesetzten. Ein Argument lautet: Alle Mitarbeiter sollen gleich behandelt werden, und da nicht alle Jobs in einer Firma von zu Hause aus funktionieren, ginge das nicht. Chefs fürchten aber auch, dass sie ihre Mitarbeiter dann schlechter kontrollieren können und diese weniger leisten.

Erst vor wenigen Wochen zeigte eine Auswertung des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP), dass nur in 2,4 Prozent von mehr als einer Million untersuchten Stellenanzeigen deutsche Arbeitgeber die Möglichkeit anboten, von zu Hause aus zu arbeiten. Zum Vergleich: In Skandinavien liegt der Anteil von Beschäftigten im Home Office bei fast 28 Prozent. In den Niederlanden gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Tag Home Office pro Woche.

Wobei es Ausnahmen gibt. Beim Softwarehersteller SAP kann jeder der weltweit 95.000 Angestellten tätig sein, von wo aus er möchte und wann. „Ein solches Gesetz würde bei uns deshalb nichts ändern“, sagt Cawa Younosi, Personalchef Deutschland von SAP. Jeder Mitarbeiter bekommt einen Laptop und ein Smartphone vom Unternehmen gestellt und kann sich ins heimische WLAN-Netzwerk einwählen oder einen direkten Datenaustausch nutzen. Die Teilnahme an Konferenzen ist via Skype machbar. Theoretisch ist es möglich, das Büro, in dem jeder Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz hat, nie zu betreten. In der Praxis würde das aber kein Mitarbeiter so handhaben, sagt ein Unternehmenssprecher.

Bei Hometogo gibt es einen Heimarbeitstag pro Monat

Bei Siemens regelt eine Betriebsvereinbarung die Möglichkeit des mobilen Arbeitens. So könne jeder Mitarbeiter seine Leistung von zu Hause erbringen, sagt Sprecher Wolfram Trost. „Mobiles Arbeiten ist mittlerweile kein Privileg mehr, sondern Normalität“, sagt Trost. Bei Siemens dürften Mitarbeiter aber nicht mehr als 20 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitsleistung von zu Hause aus erbringen. Aus internen Befragungen wisse der Konzern, dass eine höhere Flexibilität mit mehr Zufriedenheit einhergehe.

Zalando bietet ebenfalls jedem seiner 6000 Mitarbeiter in Berlin die Möglichkeit, seine Arbeit unabhängig vom Büroarbeitsplatz zu erledigen. Die Zeiten müssten mit den Vorgesetzten abgesprochen werden. „Wir schätzen aber den persönlichen Umgang“, sagt Sprecherin Julia Zweigle. Mitarbeiter könnten zwar per Videokonferenz an Meetings teilnehmen, bei Projekten, die viele Absprachen erforderten, sei der zwischenmenschliche Kontakt jedoch hilfreich. Ein gesetzliches Recht auf Home Office würde bei Zalando „nicht viel ändern“, sagt Zweigle. Bei der Ferienhaus-Suchmaschine Hometogo gibt es einen Heimarbeitstag pro Monat. Das Kontingent steigt mit der Betriebszugehörigkeit.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, lehnt eine gesetzliche Vorgabe trotzdem ab. „Das kann nur nach hinten losgehen. Statt die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, fällt der Bundesregierung jede Woche etwas ein, was genau das Gegenteil erreicht. Politik nach Umfragetiefständen ist Politik gegen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes“, sagt Kampeter. Der Bundesverband der Personalmanager begrüßt den Vorstoß des Arbeitsministeriums zwar. „Eine alleinige, verpflichtende Begründung seitens des Arbeitgebers, die Heimarbeit zu verweigern, wird allerdings der heutigen Dimension flexibler Arbeitsansprüche noch nicht gerecht“, heißt es vom Präsidium. Mitarbeiter hätten je nach Lebenssituation und Berufsgruppe verschiedene Wünsche in puncto Arbeitsort und -zeit. „Zudem müssen Unternehmen dafür auch die technische Infrastruktur ins Kalkül nehmen, um überhaupt mobiles Arbeiten zu ermöglichen.“

Gewerkschaft warnt vor mehr Überstunden und Stress

Bislang ist die Frage, ob Home Office eher nützlich oder schädlich ist, umstritten. Auf der einen Seite sagen Mitarbeiter, die daheim arbeiten dürfen, dass sie zufriedener und produktiver sind. Das nervige Pendeln entfällt. Das Privatleben ist besser zu organisieren. Der Einzelne kann je nach seinem Konzentrationslevel entscheiden, zu welcher Uhrzeit und wie lange er am Stück arbeitet. Immerhin ist auch bewiesen, dass viel Präsenz nicht automatisch viel Leistung bedeutet. Wer nachdenkt, gern im Stillen arbeitet, kann das nicht auf Knopfdruck acht Stunden lang im einem lauten Großraumbüro tun.

Auf der anderen Seite zeigen Studien, dass Home Office oft dazu führt, deutlich länger zu arbeiten, schlechter zu schlafen und seltener abzuschalten. Abends spät oder am Wochenende werden noch mal eben Mails beantwortet, weil die klare Grenze fehlt. Mitarbeiter könnten bei der Auswahl für Weiterbildungen, spannende Projektaufgaben oder Aufstiegsmöglichkeiten leichter übersehen werden. Es fehlen der kreative Austausch und die Eingebundenheit in ein Team.

„Entscheidend ist deshalb, dass die Arbeitszeit auch im Home Office vollständig erfasst und vergütet und das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit eingehalten wird“, sagt Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Unsichtbare Mehrarbeit, ständige Erreichbarkeit und mehr Stress sollten zwingend vermieden werden. „Der Gesetzgeber muss außerdem dafür sorgen, dass auch Beschäftigte, die von ihrem häuslichen Arbeitsplatz aus zum Beispiel ihre Kinder zum Kindergarten bringen oder von dort abholen, unfallversichert sind und Arbeit im Home Office durch Mitbestimmungsrechte flankiert wird“, sagt Buntenbach. Und: Heimarbeit sollte für die Beschäftigten freiwillig bleiben, denn viele wollten eine klare Trennung von Beruf und Privatleben.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat im Dezember entschieden, dass jemand, der nicht im Home Office arbeiten möchte, nicht deshalb gekündigt werden darf. Im konkreten Fall hatte ein Ingenieur geklagt. Sein Arbeitgeber hatte ihm nach einer Betriebsschließung angeboten, seine Tätigkeit künftig von zu Hause aus zu verrichten. Der Ingenieur war dazu aber nicht bereit, woraufhin ihm sein Arbeitgeber kündigte. Das Gericht erklärte die Kündigung für unwirksam. „Die Digitalisierung verändert die Herrschaftsbeziehungen“, sagt Böhning. Mal sehen, ob die SPD mit einem Recht auf Heimarbeit jetzt Erfolg haben wird und den Beschäftigten gesunde Freiräume schafft. Andrea Nahles hatte als Arbeitsministerin einen ähnlichen Vorschlag gemacht – und war gescheitert.

Mitarbeit: Lina Rusch

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Marie Rövekamp, Marie Zahout

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