zum Hauptinhalt
SPD Chancellor candidate Olaf Scholz adjusts his helmet during his visit to the Jaeckering Group, a family-owned German company producing wheat starch in Hamm, western Germany, on August 13, 2020. - Germany's centre-left Social Democrats have nominated Finance Minister Olaf Scholz to lead them in the race to succeed Angela Merkel as chancellor in next year's federal election. (Photo by Ina FASSBENDER / AFP)
© AFP

Koalitionsausschuss bereitet sich auf heißen Herbst vor: Die Bazooka bleibt besser in der Munitionskammer

In der übelsten Rezession gibt es kaum was zu verteilen. Sollte es zur Streiks im Öffentlichen Dienst kommt, könnte es ein heißer Herbst werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Das hat uns noch gefehlt: Verdi und die Gewerkschaften der Polizisten, Lehrer und Erzieherinnen bereiten sich auf einen Arbeitskampf vor, um die Einkommen von mehr als zwei Millionen Beschäftigten der Kommunen und des Bundes zu verbessern. Die Gewerkschaften hätten den Tarifstreit wegen Corona gerne auf 2021 verschoben, zumal Politiker in Wahljahren mit leichter Hand Geld verteilen.

Doch die Arbeitgeber sehen sich wegen Corona in einer guten Position und wollen jetzt verhandeln. Streiks seien kaum möglich, so das Kalkül der Kommunen, die bei den ersten streikbedingten Kitaschließungen aber alt aussehen werden.

Oder Horst Seehofer macht den Friedensengel und verhindert den Arbeitskampf. Dem Bundesinnenminister kommt jedenfalls die Rolle des Vermittlers in den Verhandlungen zu.

Insolvenzwelle möglich

Tarifpolitik beeinflusst neben der Geld-, der Finanz- und der Wirtschaftspolitik die Konjunktur. Idealerweise sind alle Parameter optimal eingestellt, damit die Wirtschaft 2021 kraftvoll wächst. Die Europäische Zentralbank hat die Möglichkeiten des billigen Geldes ausgereizt, und Bundesregierung wie Bundesländer haben enorme Summen bereitgestellt, um die Pandemiefolgen für Beschäftigte und Betriebe zu mildern und Wachstumsimpulse zu setzen.

Jetzt kommt der Herbst. Die Angst vor einer Insolvenzwelle nimmt zu und die Befürchtung, dass das Konjunkturpaket nicht reicht und nachgelegt werden muss. Ein ähnlicher Lockdown wie im Frühjahr ist trotz steigender Infektionszahlen nicht vorstellbar, weil die volkswirtschaftlichen Schäden irreparabel wären. Es wird schon schwer genug.

Kurzarbeit noch lange nötig

Der Koalitionsausschuss verständigt sich am Dienstag vermutlich auf eine längere Laufzeit der Kurzarbeiterreglung. Das ist vernünftig, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer profitieren. Vor allem in der Industrie, in der Kultur- und Freizeitwirtschaft, im Tourismus und im Messe- und Kongressgeschäft wird auch 2021 bitter werden. Kurzarbeit verhindert Kündigungen und verursacht Kosten.

Mit Ablauf des ersten Corona-Jahres ist die in der vergangenen Dekade entstandene Reserve der Bundesagentur für Arbeit verbraucht, sodass aus dem Bundeshaushalt mit einem zweistelligen Milliardenbetrag geholfen werden muss. So weit, so gut.

Diskussionen über weitere Hilfen verbieten sich indes, weil sie kontraproduktiv sind. Es entstünden Erwartungen und Unsicherheiten, die bereits aufgrund der Infektionszahlen täglich zunehmen. Befürchtungen belasten Wirtschaft und Wachstum, weil Investitionen und Kaufentscheidungen ausbleiben.

Die Betroffenheit ist sehr verschieden

Die deutsche Antikrisenpolitik hat vieles gut gedacht und auch gut gemacht. Die eine oder andere Irritation etwa bei den Soforthilfen für Soloselbstständige ist auch dem föderalen System geschuldet und sollte aus der Welt geschafft werden. Weitere staatliche Hilfen für besonders betroffene Branchen sind nicht ausgeschlossen, aber die Bazooka bleibt besser in der Munitionskammer.

Feintuning und zielgenaue Branchenlösungen sind wirksamer als Helikoptergeld für viele oder Steuersenkungen für alle. Manche spüren die Krise gar nicht, anderen geht es an die Existenz.

Vier-Tage-Woche kann helfen

Gute Tarifpolitik berücksichtigt die Vielfalt. Die IG Metall hat mit dem Vorschlag einer zeitweisen Vier-Tage-Woche ein Instrument zur Arbeitsplatzsicherung als Ergänzung zur Kurzarbeit vorgeschlagen, auf das Betriebe bei Bedarf zugreifen könnten. Der Idee liegt die Einschätzung zugrunde, dass die Krise lange dauert und Transformationsprozesse Richtung Digitalisierung und Dekarbonisierung beschleunigt.

Schließlich weiß die durchsetzungsstarke IG Metall: Es gibt nicht viel zu verteilen in der übelsten Rezession aller Zeiten. Auch nicht im öffentlichen Dienst, der sich mit einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 95 Prozent in diesem Frühjahr erstaunlich viel gönnte. Davon können die 465.000 Kurzarbeiter im Gastgewerbe nur träumen. Und wer zahlt die Einkommenserhöhungen, für die in den nächsten Wochen womöglich gestreikt wird?

Zur Startseite