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Wo soll die Reise hingehen? Auch die Bahn spürt die Coronakrise. Die Schulden steigen.
© dpa

Vor dem Treffen der Aufsichtsräte: Die Bahn sucht eine neue Strategie

Die Krise der Güterbahn, der Ausbau der Bahnanschlüsse, die hohen Schulden: Die Aufsichtsräte der Bahn haben viel auf der Agenda. Wo es bei dem Staatskonzern hakt.

Der Zeitplan ist knapp bemessen. An diesem Dienstag treffen sich die 20 Aufsichtsräte der bundeseigenen Deutschen Bahn AG zur Strategieberatung, darunter zahlreiche Regierungsvertreter. Tags darauf folgt die reguläre Sitzung des Kontrollgremiums. Im weitverzweigten größten Staatskonzern mit seinen rund 340000 Beschäftigten und 700 Tochterfirmen weltweit haben sich allerdings so viele Probleme angehäuft, dass an zwei Tagen nur einige Baustellen näher beleuchtet werden können.

Als wichtigste Themen der vertraulichen Treffen stehen die Sanierung der DB Cargo AG und die Umsetzung des Deutschlandtaktes für mehr und besseren Schienenverkehr zur Debatte, wie unsere Redaktion aus Konzernkreisen erfahren hat. Die größte Güterbahn Europas fährt seit einem Jahrzehnt immer tiefer in die roten Zahlen, im ersten Halbjahr stehen fast 500 Millionen Verluste zu Buche. Missmanagement, Unterfinanzierung und eine fehlgeleitete Verkehrspolitik zugunsten des Lkw-Verkehrs gelten als Ursachen.

Mit einer neuen Strategie will Sigrid Nikutta das ändern. Die frühere Leiterin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sorgt seit diesem Jahr als DB-Konzernvorstand und Cargo-Chefin für Aufbruchstimmung, auch bei der Bahngewerkschaft EVG und Betriebsräten sind Lobeshymnen auf die resolute Pragmatikerin zu hören. Aus eigener Kraft kann die desolate Frachtsparte den Weg aus der Krise allerdings kaum schaffen. Der Staat als Eigentümer des DB-Konzerns soll helfen – auch mit besseren Rahmenbedingungen für die Schiene.

Der Bund soll DB Cargo unterstützen

Deshalb hat Nikutta vor einiger Zeit gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern an Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geschrieben. Der Bund soll den hochdefizitären Einzelwagenverkehr von DB Cargo mit bis zu 250 Millionen Euro pro Jahr unterstützen, ähnlich wie es in Österreich bereits geschehe. Das Netzwerk aus Güterzügen, deren Waggons auf Rangierbahnhöfen aufwendig zusammengestellt werden, ist nur noch zu einem Drittel ausgelastet, weil viele Unternehmen ihre Fracht auf billigere und schnellere Lkw verlagert und Gleisanschlüsse abgebaut haben.

Mit Hilfe des Steuerzahlers sollen wieder mehr Transporte auf die Schiene geholt werden, auch im Interesse des Klimaschutzes. Dazu muss DB Cargo viel wettbewerbsfähiger werden, um gegen den Straßenverkehr und private Güterbahnen besser bestehen zu können. Vor allem die automatische Kupplung von Waggons soll helfen, die täglich Zehntausende Kopplungen von Hand auf den Güterbahnhöfen ersetzen und mitsamt einer Digitalisierung der Logistik die bisher oft zähen Abläufe beschleunigen könnte. Allein die Tests könnten aber bis Ende 2022 dauern.

Auch beim Ausbau der Bahnanschlüsse hakt es

Ein langer Atem ist ebenso beim D-Takt nötig, der ab 2030 flächendeckend Bahnanschlüsse im 30-, 60- oder zumindest 120-Minuten-Abstand schaffen soll. Die Zielfahrpläne sind erstellt, um daraus den nötigen Neu- und Ausbau von Strecken und Stationen herzuleiten. Doch die Ergebnisse zeigen, dass es vielerorts hakt. Manche beteiligte Experten sehen den D-Takt inzwischen als ziemlich leeres Versprechen der Politik – allein schon deshalb, weil nicht wenige zwingend nötige Erweiterungen der überlasteten und teils maroden Schieneninfrastruktur nach den bisherigen Plänen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erst nach 2030 fertig sein werden.

Auch hier soll die Digitalisierung helfen und automatisierte Zugsteuerung mehr Kapazitäten schaffen, mit Vorrang in Stuttgart, wo das größte, teuerste und problematischste Bahnprojekt Ende 2025 endlich fertig sein soll. Ob am Neckar aber überhaupt ein attraktiver D-Takt zu schaffen ist, wenn der Zugverkehr weitgehend in kaum erweiterbare Tunnel und Untergrundstationen verlegt sein wird, ist umstritten.

Der Schuldenberg wächst weiter an

Bei der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch werden DB-Chef Richard Lutz und sein Vize Ronald Pofalla ihren Kontrolleuren erneut wenig Erfreuliches zu berichten haben. Bis Juni fuhr der Staatskonzern ein Rekordminus von 3,7 Milliarden Euro ein, fürs Gesamtjahr wird aktuell mit fast so hohen Verlusten gerechnet. Zudem ist der Schuldenberg auf fast 30 Milliarden Euro gewachsen.

Die zugesagten Finanzhilfen und Kapitalerhöhungen des Bundes stehen wegen der fehlenden EU-Genehmigung weiter aus. Man erwarte eine Umsetzung „noch in diesem Jahr“, sagte eine DB-Sprecherin unserer Redaktion. Da allein bis zu 6,7 Milliarden Euro Corona-Hilfen und pro Jahr eine Milliarde Euro Eigenkapitalaufstockung aus der Steuerkasse fließen sollen, hat allerdings auch der Bundesrechnungshof schon Alarm geschlagen. In einem Sonderbericht an den Bundestag riet die Prüfbehörde, weitere Milliardenhilfen an den Staatskonzern nur unter sehr strengen Auflagen zu vergeben.

Trotz des Finanzdebakels und der Coronakrise hält der Staatskonzern an seinen Investitions- und Ausbauprogrammen in Deutschland fest, nicht zuletzt auf dringenden Wunsch der Regierung. Die Infrastruktursparte DB Netz steckt weiter Milliardensummen vom Staat in die Modernisierung von Gleisen, Brücken, Stellwerken und Bahnhöfen. Für den Betrieb wurden zuletzt 30 neue ICE sowie 100 Zweisystem-Güterloks geordert. Das schafft Beschäftigung am Bau und in der Industrie, die oft milliardenschweren DB-Aufträge sind wichtige Konjunkturprogramme. Zudem stellt der Konzern trotz fortlaufender Rationalisierungen auch dieses Jahr wieder über 20000 neue Mitarbeiter ein.

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