Streiken die Lokführer?: Die Angst vor der Entgleisung
An diesem Mittwoch entscheiden die Gremien der Lokführergewerkschaft GDL über einen Arbeitskampf. In letzter Minute sollte der Streik verhindert werden.
Das deutsche Tarifsystem funktioniert ganz gut: Unternehmen schließen sich in Arbeitgeberverbänden zusammen, und die verhandeln mit der oder den zuständigen Gewerkschaften alle paar Jahre über Tariferhöhungen. Dabei steht – zumeist nach einer langen letzten Nacht – ein Kompromiss, über den alle stöhnen und mit dem alle dann aber ganz gut leben können. Und dann ist Ruhe. Bis zum nächsten Mal.
Von solchen Zuständen träumt Ulrich Weber. Der Personalvorstand der Deutschen Bahn hat sich nicht nur mit zwei Gewerkschaften herumzuschlagen. Die zum DGB gehörende Eisenbahnverkehrsgewerkschaft (EVG) und die zum Beamtenbund gehörende Gewerkschaft der Lokführer (GDL) bekriegen sich auch noch bei jeder Gelegenheit. Am liebsten bei Tarifkonflikten. Seit Monaten bemüht sich Weber um eine Annäherung, doch die Lokführer streikten im vergangenen Herbst sechs Mal. Kurz vor Weihnachten dann ein Lichtblick: Die Bahn erklärte sich bereit, „ohne Vorbedingungen“ auch über einen Tarif für die GDL-Mitglieder zu verhandeln, die bislang nicht von dem GDL-Lokführertarif erfasst wurden; das sind vor allem Zugbegleiter, Bordgastronomen und Disponenten. Für diese „Arbeitnehmergruppen“ macht traditionell die EVG die Tarifverträge. Das Interesse der Bahn ist nun, dass die Schaffnerin, die EVG-Mitglied ist, ebenso lange arbeitet und so viel Geld verdient wie die Schaffnerin, die GDL-Mitglied ist. So weit, so schlicht.
Auf Flipcharts kam man sich näher
Am 11. Februar verhandelten GDL und Bahn das letzte Mal. Auf Flipcharts malten die Arbeitgebervertreter die mögliche Struktur eines Flächentarifvertrags für verschiedene Arbeitnehmergruppen plus ergänzende Haustarifverträge. Mit Rot korrigierte GDL-Chef Claus Weselsky und notierte Zusätze auf die Tafeln. „Für uns akzeptable Ansätze“, wie es bei den Arbeitgebern hieß. Und doch stand am Ende der Malstunde wieder der Eklat: Weselsky warf der Bahn „Tricksen, Täuschen und Taktieren“ vor, da die Bahn die GDL „wieder unter Kuratel der EVG stellen will“. Die GDL solle den Tarifvertrag der EVG inhaltsgleich übernehmen. Für den 18. Februar kündigte Weselsky eine Entscheidung über einen weiteren Streik an, der bis zu vier Tage dauern könnte. An diesem Mittwoch um 11 Uhr entscheiden nun in Frankfurt am Main Vorstand und Tarifkommission der GDL über den weiteren Weg: Arbeitskampf oder Verhandlungen.
Grundlage für die Entscheidung ist unter anderem ein Briefverkehr zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband, beziehungsweise ein Ultimatum Weselskys: Am 14. Februar schickte er der Arbeitgeberseite ein „Verhandlungsprotokoll“, in dem die GDL in neun Punkten den aus ihrer Sicht bislang erreichten Verhandlungsstand zusammenfasst. Es geht dabei allein um die Struktur des künftigen Tarifwerks, also welcher Tarif für welche Beschäftigtengruppe gilt. Die Forderung der GDL – fünf Prozent mehr Geld und eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde – spielen keine Rolle; allein die Fragen der Tarifstruktur beschäftigten die Parteien seit Monaten. „Wenn das Verhandlungsprotokoll bis zum 18. Februar um 11 Uhr nicht unterzeichnet ist, werden wir unseren Beschlussgremien die Fortsetzung des Streiks vorschlagen müssen“, schrieb Weselsky.
Die Bahn reagierte auf das Protokoll mit einem Protokoll
„Verhandlungen verlaufen nicht nach dem Prinzip ,Pistole auf der Brust’“, sagt Bahn-Personalchef Weber dazu. Die Arbeitgeber haben also nicht das Protokoll unterschrieben, sondern am Dienstag selbst ein neun „Eckpunkte“ umfassendes Verhandlungsprotokoll verfasst und der GDL zukommen lassen und dabei Punkte der GDL aufgegriffen. Reicht das nun der Gewerkschaft und Weselsky, um auf der Grundlage zu verhandeln? Das war am späten Dienstagnachmittag offen. Tarifdiplomatie war angesagt, alle möglichen Leute telefonierten miteinander, um die erneute Eskalation zu verhindern. Auch wieder dabei: Klaus Dauderstädt, Bundesvorsitzender des Beamtenbundes (dbb), der Dachorganisation der GDL, die sich an der Finanzierung des Streiks beteiligt. Oder auch nicht. Wie es in informierten Kreisen hieß, verliert der dbb so langsam die Geduld - ein weiterer Zuschuss zur Streikkasse der Lokführer sei daher unwahrscheinlich. Jedenfalls in der aktuellen Situation. Dauderstädts Wort hat Gewicht. Er soll bereits vor Weihnachten dazu beigetragen haben, beide Parteien auf Friedenskurs zu bringen.