Energiewende: Die Angst vor dem Staat
Ein FDP-Politiker leitet jetzt den größten Energieverband und warnt vor Regulierung. Der Netzausbau kommt immer noch nicht in Gang.
Der erste Auftritt des neuen Hauptgeschäftsführers war eines FDP-Politikers würdig: Die Politik möge sich doch bitte zurückhalten und den Unternehmen Spielräume lassen. Und der Klimaschutz sei dann am wirksamsten, wenn „aus einem funktionierenden Markt heraus über den Wettbewerb der besten Ideen“ die CO2-Emissionen reduziert würden. So stellt sich das Stefan Kapferer vor, seit ein paar Wochen Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Kapferer hat Hildegard Müller (CDU) abgelöst, die nach einer Parteikarriere 2008 zum BDEW gekommen war und nun im Vorstand von RWE sitzt.
Der neue Mann für Philipp Rösler gearbeitet
Kapferer arbeitete zuletzt als stellvertretender Generalsekretär bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris. Viele Jahre zuvor diente er als Staatssekretär dem FDP-Minister Philipp Rösler: Erst im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, dann auf der Bundesebene im Gesundheits- und wiederum im Wirtschaftsressort. Kapferer hat noch gute Beziehungen ins Wirtschafts- und Energieministerium, was ihm bei seiner jetzigen Lobbyarbeit nutzen wird. Mit dem FDP-Motto „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht“, dürfte er auf dem regulierten Energiemarkt nicht weit kommen.
„Wir wünschen uns einen Freiraum für Innovationen“, sagte Kapferer am Dienstag in Berlin anlässlich des jährlich stattfindenden BDEW-Kongresses, bei dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auftreten werden. Als Beispiele für die „Unzuverlässigkeit“ der Politik, die sich ständig neue Regulierungen einfallen lasse, nannte er die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und die Anreizregulierung, mit der die Regierung den Rahmen setzt für den Neubau von Stromnetzen. In beiden Fällen seien die Bedingungen vom Gesetzgeber so verändert worden, dass bereits bestehende Anlagen unwirtschaftlich beziehungsweise Investitionen „entwertet“ wurden. Allein in die Ertüchtigung der Verteilnetze müssten bis 2032 rund 50 Milliarden Euro fließen. „Dafür brauchen wir stabile Investitionsbedingungen.“
Die geplante Reform des Erneuerbaren Energien Gesetzes befürwortet der BDEW-Chef weitgehend, vor allem die Ausschreibungsverfahren anstatt der festen Vergütungssätze. Allerdings werde dieser „Kosteneffizienzansatz“ geschwächt durch den Plan der Regierung, Solaranlagen bis zu 0,75 Megawatt von der Ausschreibung auszunehmen. „Das sind schon große Anlagen, die deutlich über die Größe eines Supermarktdaches hinaus reichten“, monierte Kapferer.
Jedes Bundesland macht sein Ding
Er kritisierte die „Partikularinteressen“ der Bundesländer, die zwar fast alle die Erneuerbaren Energien forcierten, aber gleichzeitig den Netzausbau vernachlässigten. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am Dienstag über eine Verzögerung der umstrittenen Leitung von Nord- nach Süddeutschland. Die Bundesnetzagentur gehe von einer Fertigstellung der Trasse erst 2025 und nicht mehr 2022 aus, wenn die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Grund für die Verspätung sei vor allem die Verlegung der Leitung unter die Erde. Das hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer im vergangenen Jahr durchgesetzt. Die Erdverkabelung ist teurer, aber bei Anwohnern nicht annähernd so umstritten wie die oberirdischen Übertragungsnetze.
Zu dem von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verfolgten „Klimaschutzplan 2050“ äußerte sich Kapferer skeptisch. Ein dort erwogenes Verbot von Gasheizungen ab 2030 sei kontraproduktiv, weil rund die Hälfte aller Kunden sich bei der Anschaffung einer neuen Heizung für Gas entscheide. „Markterfolge, Kundensouveränität und klimafreundlicher Fortschritt werden abgewürgt“, wenn es ein Verbot von Gasheizungen geben würde. Und zum avisierten Ausstieg aus der Kohle sagte der neue Verbandschef, man könne nicht „jahresscharf festlegen, wann bestimmte Dinge passieren“.
Umweltverbände warnen vor Kosten der Braunkohle
Umweltschützer fordern seit langem das Ende der Verstromung der besonders viel CO2 emittierenden Braunkohle. Am Dienstag legten diverse Ökoinstitutionen eine Studie zu den Folgekosten der Tagebaue im rheinischen Revier und in der Lausitz vor. Danach gibt es ein „hohes Risiko, dass die Energiekonzerne die von ihnen verursachten Schäden nicht in vollem Umfang tragen könnten“.
RWE, Vattenfall und Mibrag bauen hierzulande Braunkohle ab, Vattenfall hat sein Geschäft aber inzwischen an den tschechischen Mibrag-Eigentümer EPH verkauft. Die Ökoverbände regten die Einrichtung eines „öffentlich-rechtlichen Fonds“ an, in den die Konzerne einzahlen sollten, damit die Kosten der Renaturierung nicht irgendwann am Steuerzahler hängen blieben.