Finanztransaktionssteuer: Die Abgabe kommt - aber nur als Sparversion
Die Bundesregierung wollte eine Abgabe auf alle Finanzpapiere einführen. Warum sie jetzt zunächst nur auf wenige Anlageprodukte erhoben werden soll.
Jedes Finanzprodukt, jeder Finanzplatz, jeder Akteur soll reguliert werden. Das ist Angela Merkels Lehre aus der Finanzkrise. Ihre Logik: Diejenigen, die die Krise verursacht haben, sollen sich auch an deren Kosten beteiligen. „Finanzakteure müssen durch die Finanztransaktionssteuer zur Verantwortung gezogen werden“, sagte Merkel zuletzt in ihrer Regierungserklärung Anfang des Jahres. Doch solch eine umfassende Steuer, wie Merkel sie sich wünscht, wird es nun vorerst nicht geben. Zu stark gehen die Vorstellungen der Beteiligten in der Sache auseinander. Zu stark ist der Einfluss der Finanzindustrie.
Dabei hatte das Projekt vielversprechend begonnen. Elf Staaten der EU, darunter Deutschland, wollten mit gutem Beispiel vorangehen und eine Finanztransaktionssteuer einführen. Die Bundesregierung stellte sich eine Steuer auf „möglichst alle Finanzinstrumente“ vor. Anfallen sollte sie – so steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD – auf Aktien, Anleihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen und Derivatekontrakte. Jetzt sollen dagegen nur noch „Aktien und einige Derivate“ besteuert werden. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Lisa Paus (Die Grünen) und Axel Trost (Die Linke) hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Die Grünen kritisieren, die Bundesregierung verhalte sich passiv
Die Grünen werfen der Bundesregierung deshalb vor, sich nicht vehement genug für eine Steuer auf möglichst viele Finanzprodukte eingesetzt zu haben. „Durch ihr passives Verhalten ist die Bundesregierung gerade dabei, eine riesige Chance zu vertun“, sagt Paus. Sie kritisiert, dass eine lasche Steuer kaum etwas bewirke. „Erklärtes Ziel der Finanztransaktionssteuer war, unerwünschte Formen von Finanzgeschäften wie stabilitätsgefährdende Spekulationsgeschäfte zurückzudrängen.“ Dieses Ziel habe die Regierung leider aufgegeben.
Auch auf den Haushalt hat die kleine Lösung, die die Regierung jetzt plant, Auswirkungen. So wird eine Steuer auf Aktien und einzelne Derivate dem Staat nur 2,5 Milliarden Euro im Jahr einbringen. Zwar ist auch das eine stattliche Summe. Doch eine Steuer auf alle Finanzprodukte, wie sie die Regierung ursprünglich angestrebt hat, hätte jährlich 17,6 Milliarden Euro in die Staatskasse gespült. Das geht aus einem Gutachten hervor, das die Bundesregierung bei der dänischen Beratungsfirma Copenhagen Economics in Auftrag gegeben hat. Entsprechend werden den deutschen Steuerzahlern durch das Einknicken der Regierung 15,1 Milliarden Euro jährlich vorenthalten, kritisieren die Grünen.
Ob die Finanztransaktionssteuer später noch verschärft wird, ist offen
Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums ist eine umfassende Finanztransaktionssteuer allerdings noch nicht ganz vom Tisch. Man plane eine „stufenweise Einführung der Steuer“, teilt das Ministerium mit. Das heißt, auch wenn die Steuer vorerst nur wenige Finanzpapiere erfassen wird, könnte sie später ausgeweitet werden. Doch wann und wie das geschehen soll, ist derzeit völlig unklar. Darüber „werde noch nicht konkret diskutiert“, erklärte ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums kürzlich in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses, deren Protokoll dem Tagesspiegel vorliegt.
Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma. Denn sie ist darauf angewiesen, dass die übrigen Staaten mitziehen. Entscheidungen über die Ausgestaltung der Finanztransaktionssteuer müssen die beteiligten Länder einstimmig treffen. Und dass ein Staat abspringt, kann sich die Gruppe nicht mehr leisten. Schon jetzt ziehen nur noch zehn Staaten mit. Slowenien war anfangs noch dabei, hat aber die letzte gemeinsame Erklärung der beteiligten Länder nicht mehr unterzeichnet. Damit wird es eng. Denn würden weniger als neun Länder die Finanztransaktionssteuer unterstützen, müsste das gesamte Projekt laut Statuten der EU eingestellt werden.
Bis Jahresende sollen die Staaten eine Lösung finden
Deshalb hat Deutschland ein großes Interesse an einer „einvernehmlichen Lösung“. Und: „Die beabsichtigte schrittweise Einführung leistet dazu einen erheblichen Beitrag“, schreibt das Bundesfinanzministerium. Übersetzt heißt das: Deutschland ist eher bereit, bei der Ausgestaltung der Steuer klein beizugeben und eine stark verwässerte Lösung zu akzeptieren, als das Projekt insgesamt für gescheitert zu erklären.
Für die abgespeckte Transaktionssteuer wollen die Staaten nun bis Jahresende „eine tragfähige Lösung“ finden. Die Bundesregierung hält das „nach wie vor für erreichbar“, heißt es in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage. Doch Beobachter sind skeptisch, ob das wirklich realistisch ist. Denn entscheidende Fragen sind noch immer nicht geklärt. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten sollen „zum Teil weit auseinanderliegende Auffassungen“ haben. Das geht aus dem Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses hervor.
Umstritten ist demnach weiterhin die Frage, wo genau die Steuer erhoben werden soll. Die EU-Komission hatte vorgeschlagen, das sogenannte Ansässigkeitsprinzip anzuwenden. Demnach wäre entscheidend, wo der Händler seinen Sitz hat – und nicht wo er die Transaktion ausführt. Auf diese Weise könnte man verhindern, dass deutsche Anleger zum Beispiel ihre Aktiengeschäfte in London abwickeln, um so der Besteuerung zu entgehen. Länder wie Frankreich würden es dagegen lieber sehen, wenn man das sogenannte Ausgabeprinzip wählen würde. Demnach müsste die Steuer gezahlt werden, sobald das gehandelte Finanzprodukt aus einem der Steuer-Staaten käme. Aus dem Finanzministerium heißt es, zu einem Ergebnis komme man nur, wenn alle Mitgliedstaaten bereit wären, Kompromisse einzugehen.
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