HRE: Die 56-Milliarden-Euro-Panne
Die Banker der bundeseigenen Bank FMS Wertmanagement haben sich kräftig verrechnet. Und nicht einmal die Aufseher haben es gemerkt.
Berlin - Der Vorgang ist so einfach wie er skandalös ist: In einer Bank, die den Steuerzahlern gehört, sind 56 Milliarden Euro gefunden worden. Die Banker haben sich verrechnet, die Bundesregierung weiß es seit ungefähr vier Wochen, jetzt ist es herausgekommen. Durch die Panne sinkt die Verschuldung des Bundes in diesem Jahr rein buchhalterisch von 83,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 81,1 Prozent. Alles in Ordnung also? Wohl kaum. Als die 56-Milliarden-Euro-Panne am Freitag bekannt geworden ist, war man im Bundestag noch damit beschäftigt, das jüngste Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil zur Euro-Rettung zu verdauen. Erst am Samstag wurde den Politikern bewusst, wie groß der politische und moralische Schaden der Milliardenpanne werden könnte.
SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann ging direkt zum Frontalangriff auf die Regierung über. „Das ist kein Betrag, den die schwäbische Hausfrau in einer Keksdose versteckt und vergisst“, ätzte Oppermann und erklärte, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sei Schuld. Der sei schließlich für die „Schrottbank“ verantwortlich und damit dafür, dass die Bank ordnungsgemäß geführt und beaufsichtigt werde. Der unbefangene Beobachter gewinne den Eindruck, dass das Finanzministerium angesichts immer neuer Rettungspläne „völlig die Übersicht verloren hat.“ Oppermanns „Schrottbank“ heißt in Wirklichkeit FMS Wertmanagement, gehört zu 100 Prozent dem Bund und ist so etwas wie der Mülleimer des Bundes für wertlose Finanzmarktpapiere der im Zuge der Finanzmarktkrise 2008 pleite gegangenen Hypo-Real-Estate. Die FMS gibt es seit Oktober 2010, sie managt mit ungefähr 80 Leuten ein Portfolio von 173 Milliarden Euro Schrottpapieren und wird von drei äußerst honorigen Bankern im Vorstand geführt. Beaufsichtigt wird sie von der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – alles Einrichtungen also, denen die damals noch schwarz-rote Bundesregierung die Gewalt zum Aufräumen nach dem großen Finanzcrash übertragen hatten.
Doch die ganze (teuer bezahlte) Aufsicht nützte offenbar gar nichts. Und auch das geheime Bundestagsgremium zur Finanzmarktstabilisierung, das in alle Vorgänge bei der FMS seit Monaten und über die Milliardenpanne wahrscheinlich seit vier Wochen eingeweiht war, hat den Schlendrian nicht verhindern können.
Was ist nun eigentlich passiert? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Man stelle sich vor, die eigene Bank bucht auf dem Girokonto ein Jahr lang die Einnahmen und die Ausgaben nicht gegeneinander, sondern addiert sie alle auf und schickt dem Kunden dann zum Jahresende eine Mitteilung darüber, dass er mit dieser Gesamtsumme im Minus steht. So in etwa ist es in der FMS–Bank abgelaufen. Jeder normale Bankkunde wäre angesichts eines solch hohen Minus-Standes auf seinem Girokonto vor Schreck umgefallen. Die FMS-Banker nicht. Und auch nicht all die Aufsichtsbehörden. Und auch nicht das geheime Bundestagsgremium, in dem Vertreter aller Fraktionen sitzen. Und auch nicht das Bundesfinanzministerium. Angesichts der Billionen, die von der Finanzkrise verbrannt wurden, fallen 56 Milliarden Euro wohl nicht so ins Gewicht. Der Betrag wurde ganz einfach auf die Schuld des Bundes oben drauf gerechnet. Und weil es sich dabei ja am Ende wirklich nur um einen Buchungsfehler handelt, hat man die Milliarden jetzt wieder abgezogen.
In der FMS Wertmanagement spricht man Samstag zerknirscht von einer „peinlichen Angelegenheit“ und verspricht eine „umfassende Aufklärung des Sachverhaltes“. Wobei man zugibt, noch nicht einmal genau zu wissen, wer eigentlich ganz konkret den Fehler gemacht hat. Weil die FMS erst im letzten Oktober gegründet wurde und im Laufe der 12 Monate ihres Bestehens zunächst auf Mitarbeitersuche war, hat man das ganze operative Geschäft bis 2013 vertragsmäßig bei der Hypo Real Estate belassen. Lediglich das Milliarden-Portfolio der Schrottpapiere wurde auf die FMS übertragen. Als Dienstleister für Buchhaltung und alles andere fungierte aber weiter die Bank, die für die Milliarden-Schrottpapiere verantwortlich ist. Ob der 56-Milliarden-Fehler nun allein von den HRE-Leuten gemacht wurde oder zwischen HRE und FMS - quasi unterwegs also - das weiß man wohl noch nicht.
Und genauso unbekannt ist bis jetzt, warum eigentlich die weltbekannte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers (PWC) von der Rechen-Schlamperei nichts mitbekommen hat. Schließlich hat PWC die Bad Bank FMS und den ersten „Rumpf“-Jahresabschluss bereits in diesem Herbst geprüft und mit einem Prüftestat versehen. Natürlich nicht, ohne ein stattliches Honorar einzustreichen – 1,2 Millionen Euro nämlich. Plus Zusatzleistungen für noch einmal 65 000 Euro.
Die Entschädigung für den Arbeitsaufwand übrigens ist auch beim Vorstand und Verwaltungsrat der bundeseigenen Bank FMS nicht ganz gering ausgefallen. So weist der Geschäftsbericht aus, dass die drei Vorstandsmitglieder im „Rumpfgeschäftsjahr 2010“ das von Oktober bis Dezember verlief, zusammen 549 000 Euro erhielten, monatlich jeder also 61 000 Euro – nebst Sachbezügen von noch einmal zusammen 11 000 Euro. Und der Verwaltungsrat, an dessen Spitze der frühere Berliner Volksbanker Karl Kauermann sitzt, erhielt noch einmal 95 000 Euro für die drei Monate im letzten Jahr. Man darf hoffen, dass die Banker bei der Gehaltsabrechnung die Plus- und Minustasten auf dem Computer nicht verwechselt haben – so wie es offenbar in der Bank-Bilanz geschehen ist. Der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing bescheinigte den Bankern jedenfalls am Samstag, sie befänden sich „ganz offensichtlich im Ausnahmezustand“. Die Sache mit den 56 Milliarden sei „wahrlich keine Kleinigkeit“ und müsse „umgehend“ aufgeklärt werden.
Antje Sirleschtov