Brexit-Lücke: Deutschland soll bis zu 12 Milliarden Euro mehr in den EU-Haushalt einzahlen
Der Gemeinschaftshaushalt der EU soll trotz des geplanten Austritts von Großbritannien wachsen. Haushaltskommissar Oettinger erwartet, dass Deutschland deutlich mehr einzahlen muss.
Die EU-Kommission fordert für den europäischen Haushalt im kommenden Jahrzehnt deutlich höhere Beiträge der Mitgliedstaaten. Die Gesamtausgaben sollten im Finanzzeitraum von 2021 bis 2027 auf 1279,4 Milliarden Euro steigen, wie die Behörde am Mittwoch mitteilte. Dies wären trotz des EU-Austritts Großbritanniens rund 192 Milliarden Euro mehr als im laufenden Sieben-Jahres-Zeitraum.
Die Bundesregierung will indes zusätzliche Zahlungen für den künftigen EU-Haushalt von 2021 an im Rahmen halten. „Wir sind bereit, für eine Stärkung der Europäischen Union Verantwortung zu übernehmen - dazu gehört aber eine faire Lastenteilung aller Mitgliedstaaten“, erklärten Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas (beide SPD) am Mittwoch.
Scholz erläuterte, ein EU-Haushalt von weiterhin einem Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU bedeute angesichts des Brexits eine Mehrbelastung für Deutschland von im Schnitt 10 Milliarden Euro pro Jahr. Dies werde man „ungefähr bewältigen können“, und so sei es auch in der Finanzplanung des Bundes zugrundgelegt. Scholz fügte hinzu: „Mir fehlt gegenwärtig die Fantasie, wie man darüber hinaus noch Ausgaben aus den einzelnen Ländern rechtfertigen wird können.“
In der Erklärung kritisieren die beiden Minister: „Der Vorschlag der EU-Kommission würde die Mehrbelastung Deutschlands erheblich erhöhen.“ Der Vorschlag sei ein wichtiger erster Schritt. „Jetzt gilt es alles daran zu setzen, dass wir möglichst bald zu einem zufriedenstellenden Gesamtergebnis kommen.“
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) hatte zuvor angekündigt, dass Deutschland aus seiner Sicht künftig zusätzliche Beiträge von elf bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr zum europäischen Gemeinschaftshaushalt beisteuern muss. 3,5 bis 4 Milliarden Euro davon seien notwendig, um die zu erwartende Brexit-Lücke zu schließen und neue Aufgaben wie den Außengrenzschutz zu finanzieren, sagte Oettinger am Mittwoch der ARD in Brüssel. Der Rest werde fällig, weil die Inflation ausgeglichen werden müsse.
Schwierig ist die Finanzplanung der EU diesmal vor allem wegen des von Großbritannien geplanten EU-Austritts. Das Land zahlte bislang als sogenannter Nettozahler immer deutlich mehr Geld in den EU-Haushalt ein als es wieder herausbekam. Nach Berechnungen Oettingers würden deswegen künftig ohne Zusatzeinnahmen pro Jahr mindestens zwölf Milliarden Euro fehlen. Oettinger plant daher Kürzungen bei den Fördergeldern für Bauern und Strukturhilfen für Regionen.
Bei den Direktzahlungen an Bauern kündigte Oettinger nun Kürzungen von fünf Prozent an. In der Folge würden diese eingefroren und die Inflation nicht ausgeglichen, sagte der deutsche Kommissar in einem weiteren Interview mit dem ARD-Morgenmagazin. Dies könne natürlich bedeuten, dass die Lebensmittelpreise steigen könnten. "Genauso ist das Leben. Wir werden eben, das, was der Markt verlangt, auch bezahlen müssen."
Auch bei der Strukturpolitik, dem zweiten großen Posten im EU-Budget neben den Agrarausgaben, werde gekürzt, sagte Oettinger. Mehr Mittel solle es dagegen für das Studenten- und Schüleraustauschprogramm Erasmus plus sowie für die Forschung geben. Hinzu kämen neue Aufgaben, "in denen Europa effizienter und besser und damit auch sparsamer investieren kann: Verteidigung Grenzschutz, Migration, Terrorismusbekämpfung"
Auf Basis des Kommissionsvorschlags werden in den kommenden Monaten die EU-Mitgliedstaaten über den Finanzrahmen verhandeln. Der Finanzrahmen muss von den Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen werden. Angesichts von Widerstand gegen höhere Ausgaben aus den Niederlanden, Österreich, Dänemark und Schweden rief Oettinger zur "Flexibilität" auf. "Wenn wir uns nicht einig werden würden, dann wären die Gewinner die Autokraten in Ankara, in Moskau und in Washington", sagte er dem ARD-Studio Brüssel. "Dann würden die sagen, Europa ist nicht handlungsfähig."
Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, grundsätzlich zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit zu sein, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die EU sich auf „Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert“ konzentriert. (dpa, AFP)
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