US-Verbraucherschützer warnen vor TTIP: „Deutschland muss wachsam sein“
US-Konzerne wollen Verbraucherschutz aushebeln, befürchten US-Verbraucherschützer. Ab Montag können Dokumente eingesehen werden.
Nein, gemütlich ist er nicht, der Leseraum, in dem ab diesem Montag im Bundeswirtschaftsministerium Abgeordnete des Bundestags in geheimen TTIP- Dokumenten stöbern können. Acht Computerbildschirme auf einfachen Tischen, eine Kommode mit Wörterbüchern und Aktenordnern – das ist der Ort, an dem die Parlamentarier jetzt nachlesen können, wie es um die geplante Freihandelszone zwischen den USA und der Europäischen Union steht. Kopien und Fotos sind verboten, gerade einmal handschriftliche Notizen sind erlaubt. Und über das, was sie dort erfahren, dürfen die Parlamentarier auch nicht öffentlich diskutieren. Die Papiere, die sie studieren dürfen, gelten nämlich als Geheimdokumente. „Der Raum ist das Ergebnis eines ziemlich schwierigen Prozesses“, sagt der Hausherr, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). „Die TTIP-Verhandlungen leiden darunter, dass es zu wenig Öffentlichkeit gibt“, bedauert der Minister.
In den USA verhandelt das Big Business
Amerikanische Verbraucherschützer sind das gewohnt. „Top secret“ sei TTIP in den USA, sagt Steve Suppan vom Institut für Agrarwirtschaft und Handelspolitik in Minneapolis. Was die Wirtschaft hinter den Kulissen mit der Regierung aushandele, werde wie ein Militärgeheimnis gehütet. Zusammen mit seinem Kollegen Peter Maybarduk von der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen ist Suppan derzeit in Europa unterwegs. Die Amerikaner haben in Brüssel EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström getroffen und sind dann nach Berlin weitergereist. Zusammen mit dem Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, versuchen sie, Klarheit darüber zu gewinnen, was auf amerikanische und europäische Verbraucher zukommt, falls TTIP Wirklichkeit wird.
Und das ist – zumindest für die Europäer – nichts Gutes, glauben sie. „Die US- Pharmakonzerne wollen Geschäfte machen“, sagt Pharmaexperte Maybarduk. „Sie wollen möglichst hohe Preise zahlen.“ In Deutschland steht diesem Bestreben das Amnog, das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz, entgegen. Es sieht etwa eine Kosten-Nutzen-Bewertung für Medikamente vor und Preismoratorien, um die Ausgaben für die Krankenkassen zu begrenzen. „Die US-Pharmalobby will das Amnog abschaffen“, sagt Maybarduk. Mit Erfolg? Als Handelshemmnis könnte es TTIP zum Opfer fallen. „Deutschland muss wachsam sein“, mahnt der Verbraucherschützer und erklärt, „dass das Gesetz eine nationale Sache ist und nicht verhandelbar“.
Kampf um Schutzstandards
Doch nicht nur im Pharmabereich gebe es Begehrlichkeiten, sondern auch beim Datenschutz. Hohe Schutzstandards könnten als unzulässige Handelsbeschränkungen angegriffen werden. Auch bei der Lebensmittelsicherheit, im Kosmetikbereich und bei Chemikalien könnten US-Firmen die höheren europäischen Standards unterlaufen, befürchtet Klaus Müller. Die Erfahrungen aus dem bereits abgeschlossenen transpazifischen Freihandelsabkommen TPP geben ihm recht, meinen seine US-Kollegen. Inhaltsstoffe werden als Betriebsgeheimnis verschwiegen, industriefreundliche Studien als Beleg dafür angeführt, dass US-Waren sicher sind und daher auch außerhalb des US-Markts vertrieben werden dürfen. Auch gentechnisch veränderte Organismen wird die EU nach Meinung der Amerikaner unter TTIP nicht von Europa fernhalten können. „Die Verbraucher müssen sich jetzt engagieren“, meint Maybarduk, „wenn man wartet, bis alles ausverhandelt ist, ist es zu spät.“
Deutsche Verbraucherschützer sind für "TTIP light"
Seit 2013 verhandeln die USA und die EU-Kommission über das Abkommen. Es soll die Wirtschaftsräume enger aneinander binden und so neue Jobs und mehr Wohlstand für beide Seiten bringen. Während auch Verbraucherschützer dafür sind, Zölle abzuschaffen und technische Regelungen etwa in der Autoindustrie anzugleichen, warnen sie aber vor regulatorischen Eingriffen in Verbraucherschutzstandards. Doch genau die hätten die US-Konzerne im Visier, glauben die amerikanischen Verbraucherschützer und verweisen auf Erfahrungen mit früheren Abkommen. So habe das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta zwischen Kanada, den USA und Mexiko – anders als versprochen – überhaupt keine neuen Jobs gebracht. Und TPP wäre zu einem bürokratischen Monster verkommen – mit fast 6200 Seiten.
Noch, so meinen Suppan und Maybarduk, gebe es aber die Möglichkeit, einzugreifen. Über TPP habe man vier Jahre lang verhandelt. Dass TTIP noch in diesem Jahr unter Dach und Fach komme, wie eigentlich geplant war, glaubt niemand mehr. Die bange Frage, die sich stellt: Was ist, wenn dann Donald Trump im Weißen Haus sitzt?