Zu viele Flüge, zu wenig Personal: Deutschland droht erneut Flugchaos
Trotz einzelner Verbesserungen müssen Flugreisende auch in diesem Sommer mit Verspätungen rechnen. Politik und Wirtschaft laden zum Luftfahrtgipfel.
Da verpassen Reisende ihre ersten Urlaubstage oder ihre Geschäftstermine, weil der gebuchte Flug massiv verspätet oder komplett gestrichen ist. Und ist die Maschine ausnahmsweise einmal pünktlich, bleiben manche Passagiere dennoch am Boden, weil sie zum Starttermin noch in der langen Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle stehen. Damit sich der Chaossommer von 2018 nicht wiederholt, haben Vertreter aus Politik und Wirtschaft im Oktober einen Katalog von Maßnahmen beschlossen. Am kommenden Donnerstag treffen sie sich wieder zum Luftfahrtgipfel. Doch für den Sommer 2019 werden sie wohl keine Entwarnung geben können.
So stellt sich die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr zum Beispiel schon jetzt auf tausende Beschwerden unzufriedener Fluggäste ein. Deren Geschäftsführer Heinz Klewe sagt: „Es ist damit zu rechnen, dass es auch im Sommerflugplan 2019 wieder zu Unregelmäßigkeiten kommt.“ Davon geht auch Matthias von Randow aus, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL): „Angesichts der weiterwachsenden Luftverkehrsnachfrage und der nach wie vor nicht überwundenen Kapazitätsengpässe im europäischen Flugsicherungssystem wird die Lage nur wenig besser als im Jahr zuvor“, prognostiziert er. Die bisher umgesetzten Verbesserungen könnten kaum mehr, als die erwartete Kapazitätssteigerung ausgleichen.
Im letzten Sommer kam es zu massiven Verspätungen
2018 trugen neben Engpässen im Luftraum und bei den Sicherheitskontrollen auch Sonderfaktoren wie Fluglotsenstreiks in Frankreich und Italien sowie ausgeprägte Schlechtwetterlagen zum Chaos am Himmel bei. Im Juni mussten laut der Dachorganisation Eurocontrol 2,5 Prozent aller Flüge in Europa gestrichen werden, nach einer inoffiziellen Hochrechnung waren das rund 18000. In Deutschland war der Flughafen Köln/Bonn am stärksten betroffen. Im Jahresdurchschnitt waren hier 58 Prozent aller Starts um durchschnittlich 39 Minuten verspätet. Die europaweit am Stärksten betroffene Strecke war die Route zwischen Köln/Bonn und Palma, wo zwei Drittel aller Flüge unpünktlich waren.
Um Verspätungen besser aufzufangen, haben die deutschen Luftverkehrsgesellschaften nach Recherchen des Tagesspiegels auf vielen Strecken bei den planmäßigen Flug- und Bodenzeiten Puffer eingebaut und die Flugpläne entzerrt. Die Zahl der bereitstehenden Reserveflugzeuge wurde mehr als verdoppelt. Die Lufthansa bereitet sich zum Beispiel mit 600 zusätzlichen Mitarbeitern und 37 Reserveflugzeugen auf die Reisewelle im Sommer vor.
Es werden inzwischen mehr Fluglotsen ausgebildet
An den Flughäfen sind mehr als 3000 zusätzliche Servicekräfte eingestellt worden und die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat die Zahl der Fluglotsen-Azubis auf 122 pro Jahrgang erhöht. Der Himmel über Deutschland, Österreich und Belgien ist der auch wegen des Durchgangsverkehrs am stärksten frequentierte Luftraum Europas. Grenzübergreifend hat Eurocontrol deshalb bereits im vergangenen Jahr bis zu 11000 regionale Flüge pro Tag in geringere Flughöhen im sogenannten unteren Luftraum (bis 4420 Meter) verlegt. Ab Ende April soll das wieder greifen und zwar diesmal noch in sehr viel mehr Fällen. Zusätzlich werden Durchflüge zum Teil über benachbarte Lufträume umgeleitet, was aber auf Widerstände stößt. Denn für die Airlines bedeutet das Umwege und für die Nachbarstaaten mehr Überflüge.
Und: All das bringt wenig, wenn es an anderer Stelle weiterhin hakt. „Für die erforderliche Erhöhung der Flugsicherungskapazität brauchen wir von der Politik eine Weichenstellung für eine weitgehende Automatisierung und einen flexibleren, sektorübergreifenden Lotseneinsatz“, sagt Matthias von Randow. Doch das braucht Zeit, wenn man bedenkt, dass Europa trotz jahrzehntelanger Diskussionen noch immer keinen einheitlichen Luftraum (Single European Sky) hat.
Auch die Warteschlangen an den Sicherheitskontrollen werden allein durch die Schaffung zusätzlicher Kontrollstellen an den Flughäfen nicht kürzer. Denn diese müssen auch bedarfsgerecht durch Personal der von der Bundespolizei beauftragten Sicherheitsfirmen besetzt und mit modernstem Gerät ausgestattet werden. Davon ist man in Deutschland nach wie vor weit entfernt. Werden an Flughäfen wie Amsterdam, London und Brüssel stündlich bis zu 200 Passagiere pro Kontrollspur abgefertigt, sind es hierzulande nur 80 bis 135.
In Berlin will man über die Art der Bezahlung Anreize setzen
Dass es besser geht, haben Modellversuche gezeigt. So wurde nach Tagesspiegel-Informationen in Berlin-Schönefeld der Vertrag mit dem Dienstleister auf eine leistungsabhängige Bezahlung umgestellt, was dem Vernehmen nach zu einer deutlichen Steigerung von Effizienz und Kundenfreundlichkeit führte. Und in Köln/Bonn wurde eine moderne Kontrolllinie getestet, bei der fünf Passagiere gleichzeitig ihr Handgepäck auflegen konnten. Langsame Reisende sorgten so nicht mehr für Staus, sondern konnten einfach überholt werden. Doch obwohl das Zeit spart, ist die Anlage nach dem Test erstmal wieder stillgelegt worden. Der Grund: Langfristige Verträge mit einzelnen Lieferanten verhindern die kurzfristige Beschaffung neuester Technologie für den regulären Einsatz.
Eine positive Ausnahme bildet Bayern, das die Kontrollen auf Landesebene organisiert. So hat das Luftamt Südbayern im Münchner Terminal 2 kürzlich zwei supermoderne Kontrollstraßen installiert, die über kabinenlose Körperscanner neuester Generation und Computertomographen für die Überprüfung des Handgepäcks verfügen, bei denen die Passagiere Laptops und Flüssigkeiten nicht mehr auspacken müssen. Diverse Flughäfen in anderen Bundesländern haben zwar angeboten, die Sicherheitskontrollen künftig in eigener Regie zu übernehmen, bisher aber ohne Erfolg.
Für den kommenden Sommer müssen Reisende also erneut mit Flugverspätungen rechnen. Deshalb sei es „dringlich, dass auch die Politik in Europa die strukturellen Maßnahmen, die wir definiert haben, beherzt anpackt“, so Matthias von Randow.
Rainer W. During