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Schublade. In Bayern hat man dem Klischee nach eine Vorliebe für urige Dinge.
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Soziale Kompetenzen: Deutsche Länder, deutsche Sitten

Man muss nicht nach China oder Afrika reisen, um die Einwohner nicht mehr zu verstehen. Das kann einem auch in Bayern oder Sachsen passieren. Welchen Einfluss innerdeutsche Kulturunterschiede auf die Arbeitswelt haben – und wie man mit ihnen umgeht.

Klischees über Nord- und Süddeutsche, über Wessis und Ossis, Bayern und Sachsen gibt es zahlreiche. Ein paar Beispiele gefällig? Der Rheinländer gilt als gesellig, der Berliner als schroff, der Hamburger als zurückhaltend, der Schwabe als clever und der Bayer als urig. Man mag über derlei Schubladendenken schmunzeln, doch ganz von der Hand zu weisen sind die Vorurteile manchmal nicht. Spielen solche Unterschiedlichkeiten aber auch im Berufsleben eine Rolle?

Senden Unternehmen wie Siemens, die Deutsche Bahn, Sonafi-Aventis oder Robert Bosch ihre Mitarbeiter ins außereuropäische Ausland, nach China etwa oder in die USA, werden sie in Seminaren auf die kulturellen Unterschiede vorbereitet. Den kulturellen Differenzen im eigenen Land hingegen wird in den Konzernen keine Bedeutung beigemessen. Dabei bekommt sie so mancher zu spüren.

Auch Temperament ist regional gefärbt

Wer etwa innerhalb eines Unternehmens von einem Standort zum anderen wechselt oder in einem anderen Bundesland einen neuen Job antritt, erfährt, was interkulturelle Differenz heißt. Der Unternehmensberater Stephan Teuber hat schon viele Kunden quer durch die Republik betreut. Der Geschäftsführer der Loquenz Unternehmensberatung in Leinfelden-Echterdingen, 20 Autominuten südlich von Stuttgart, meint: „Auch wenn die Menschen Deutsch reden und das Unternehmen in Deutschland ist, gibt es trotzdem so etwas wie eine lokale Unternehmenskultur.“ Und die könne eben je nach Standort in Baden-Württemberg, Brandenburg oder Schleswig-Holstein sehr unterschiedlich ausfallen.

Die starken regionalen Unterschiede bemerkt man nicht nur an Dialekten, kulinarischen Spezialitäten oder Traditionen, sondern auch am Temperament: „Wenn ein Bayer nach Norddeutschland geht, muss er sich darauf einstellen, dass der Stil, miteinander umzugehen, ein anderer ist“, sagt Teuber. Der Vize-Präsident im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater, selbst gebürtiger Schwabe, hat da seine Erfahrungen gemacht.

Dass Kollegen etwa nach Büroschluss zusammen noch auf ein Bier in die Kneipe gehen, um sich auch mal über Privates zu unterhalten, ist nicht überall selbstverständlich. „Bis Sie im Schwäbischen mit den Arbeitskollegen ein Viertel Wein trinken gehen, dauert das eine Weile“, erklärt der Unternehmensberater. Ganz anders im Rheinland: „Dort ist es sehr viel schneller üblich, nach der Arbeit abends auch mal gemeinsam wegzugehen“, sagt Teuber.

Auch Alexander Mackat weiß eine Menge zu erzählen über kulturelle Differenzen innerhalb Deutschlands. Der Geschäftsführer der Werbeagentur Mackat hat vor einigen Jahren zum Thema innerdeutsche Unterschiede ein Buch geschrieben, für das er bundesweit Personalverantwortliche in Unternehmen befragt hat. „Natürlich gibt es zwischen Bayern und Schleswig-Holsteinern Mentalitätsunterschiede“, sagt Mackat. Unterschiede zwischen Süd und Nord seien aber kleiner als die zwischen West und Ost. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung habe sich da zwar einiges verändert. Nach wie vor aber bemerkt er kulturelle Differenzen im Berufsalltag.

Ein Beispiel sind Bewerbungsgespräche: „Viele ostdeutsche Bewerber erzählen weit weniger über sich als westdeutsche“, sagt Mackat. Der Westdeutsche verkaufe sich oft brillant, der Ostdeutsche suche dagegen eher ein entspanntes Gespräch, weil er sich dabei unwohl fühle, sich von seiner Schokoladenseite präsentieren zu müssen.

Ein anderes typisches Beispiel sind Abstimmungsrunden am Konferenztisch: „Wenn ein Abteilungsleiter nach einer Diskussion einen abschließenden Vorschlag macht, gilt das bei Westdeutschen als verabschiedet, wenn sich keiner meldet“, sagt der Werbeexperte. Im Osten sei das andersherum: „Sollte mal Unfrieden wegen des Vorschlags aufkommen, heißt es, wir haben aber bei der Abstimmung nicht ja gesagt.“

Westdeutsche reden öfter dazwischen

Und oft würden sich Ostdeutsche von den Westdeutschen in Diskussionen unterbrechen lassen. „Wenn man als Vorgesetzter bei Teambesprechungen spürt, dass sich jemand merkwürdig ruhig verhält, sollte man einschreiten und demjenigen auch mal die Möglichkeit geben, sich zu äußern“, sagt Mackat.

Warum innerdeutsche Kulturunterschiede bei großen Unternehmen eher kein Thema sind, erklärt Bosch-Pressesprecher Sven Kahn. „Unsere Mitarbeiter sind es gewöhnt, in internationalen Teams und Belegschaften mit verschiedenen Nationalitäten zu arbeiten“, sagt er. Bosch setze auf Diversität und die Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter. Deshalb sei das schnelle Eingewöhnen in ein neues Arbeitsumfeld bei Stellenwechsel oder bei Projektarbeiten für Bosch-Mitarbeiter generell nichts Besonderes.

Zutreffen mag das für all jene flexiblen Beschäftigten, die sich nach mehreren Jobwechseln, diversen Praktika in der Fremde oder einem Studium fern der Heimat nicht mehr darüber wundern, dass im Osten zur Begrüßung häufiger die Hand geschüttelt wird als im Westen, oder in Bayern, Sachsen und Schwaben auch in Dienstbesprechungen lustig der Dialekte gefrönt wird. Allerdings ist nicht jeder so weit herumgekommen. Treffe denn das Verhalten von Kollegen auf Befremden, rät Mackat, sollten die Mitarbeiter das untereinander regeln.

Der Kulturwissenschaftler Jürgen Bolten hält wenig davon, regional-kulturelle Unterschiede zu beschreiben. „Viel wichtiger ist für Unternehmen und Mitarbeiter, dass es ein Team gibt, in dem die Beschäftigten unterschiedliche Perspektiven einbringen und sich fragen, wie sie ein gemeinsames Ziel am besten erreichen können“, sagt der Professor für interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Universität Jena. „Es geht darum eine gemeinsame Basis für das Team zu finden, egal, wo die Mitarbeiter herkommen.“ An dieser gemeinsamen Zielsetzung orientiere sich das Team. Wer etwa neu in eine Arbeitsgruppe komme, tue gut daran, die Situation zu beobachten – und zu reflektieren, wie er sich in der neuen Umgebung verhalten sollte.

Man kann das Ganze aber auch offensiver angehen, so wie das der schwäbische Unternehmensberater Teuber einst bei einem Kunden in Hamburg tat. Er brachte zu einem Auftakttreffen für ein Projekt eine Packung Maultaschen und eine Flasche Trollinger mit, um über die kulinarischen Spezialitäten aus der Heimat und den Austausch über lokale Besonderheiten schneller ein gutes Teamgefühl zu erzeugen. Die Schwabenoffensive kam bestens an. „Das Projekt“, erinnert er sich, „wurde ein voller Erfolg“.

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