Flixbus macht das Rennen: Deutsche Bahn verzweifelt am Fernbus-Markt
Alle Fernbus-Anbieter verbrennen auf den wichtigsten Strecken Geld. Die Deutsche Bahn mit Tochter Berlin Linienbus scheint die Lust an diesem Wettbewerb zu verlieren.
Viele Wege führen von Berlin nach Hamburg. Auf der Straße sind an diesem Montag unterwegs: Flixbus, Berlin Linien Bus, Postbus und der schwedische Swebus. Flixbus (ab 10,50 Euro) ist zwei Mal im Rennen: Nach der Übernahme des Wettbewerbers Postbus (ab 8,90 Euro) Anfang August bedient der Marktführer die Strecke Berlin–Hamburg doppelt. Auch die Deutsche Bahn fährt doppelt. Neben der 100-Prozent-Tochter Berlin Linien Bus (ab sieben Euro) fährt die Bahn auch auf der Schiene in die Hansestadt – ab 19 Euro.
Was auf den ersten Blick nach gesundem Wettbewerb aussieht, ist ein ruinöser Wettkampf, bei dem die Teilnehmer eines gemeinsam haben: alle verbrennen auf dieser „Rennstrecke“ Geld. Was die Kunden freut – 20 Millionen waren es 2015 –, bereitet Busbetreibern und Bahn auf den viel befahrenen Verbindungen zwischen den Großstädten Kopfschmerzen. „Wir fahren mit Dumpingpreisen Minusbeträge ein“, ärgerte sich Bahn-Chef Rüdiger Grube bei der Halbjahresbilanz. Vom „Blödsinn“ auf dem Fernbusmarkt war die Rede.
Zwei bis drei Cent nehmen die Fernbusse nach Branchenschätzungen pro Fahrgast und Fahrkilometer ein, sechs Cent wären nötig, um etwas zu verdienen. Auf dem gerade liberalisierten französischen Markt, auf dem die deutschen Unternehmen expandieren, ist das Missverhältnis noch größer.
Der Staatskonzern Bahn steht seit der Postbus-Übernahme durch Flixbus verstärkt unter Druck. Im Wettbewerb mit den Bussen hat die Bahn nicht nur zahlreiche Kunden auf der Schiene verloren. Etwa ein Drittel der Bus-Reisenden war früher per ICE oder IC unterwegs. Außerdem dominiert Marktführer Flixbus jetzt 80 Prozent des Fernbus-Geschäfts, die beiden Bahn-Töchter IC Bus und Berlin Linien Bus kommen zusammen nur auf rund 14 Prozent (siehe Grafik).
Grube kündigte nach dem Postbus-Deal an, die „Marktkonsolidierung“ zum Anlass zu nehmen, die eigenen Fernbus-Aktivitäten „auf den Prüfstand zu stellen“. Trotz des Wettbwerbs stagnierten die Fahrgastzahlen bei anhaltend niedrigen Preisen. Auf Nachfrage bekräftigt die Bahn, sie werde im zweiten Halbjahr ihre Fernbusstrategie „neu bewerten“. Bisher schien es, als sei die Bahn dabei, ihr Fernbus-Netz auszubauen und aufzuwerten. „Bereits im April 2016 haben wir die Vervierfachung des Fernbusangebots erreicht“, sagt eine Sprecherin.
Die mögliche Konsequenzen einer Kehrtwende findet man bei Flixbus hinter vorgehaltener Hand „sehr attraktiv“: Würde die Bahn zum Beispiel Berlin Linien Bus verkaufen, würde Flixbus-Chef André Schwämmlein wohl nicht nein sagen – ungeachtet der Frage, ob dann nicht auch das Kartellamt ein Wort mitreden würde. Noch sei es indes „zu früh für Spekulationen“, heißt es im Unternehmen. „In Deutschland sind wir Marktführer“, wiegelt Schwämmlein ab. „Insofern ist es logisch, dass wir uns jetzt auf den europäischen Markt konzentrieren und uns dort nach Zukäufen umsehen“, sagte er dem Tagesspiegel.
Kartellrechtlich ist Flixbus nach der Postbus-Übernahme bislang auf der sicheren Seite, weil die Behörde erst dann intervenieren darf, wenn der addierte weltweite Umsatz der fusionierten Unternehmen mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr beträgt. Selbst mit Berlin Linien Bus käme der Marktführer nicht an diese Schwelle. Stellt sich die Frage, welche Optionen die Bahn hat – und ob ein Ausstieg aus dem Fernbusmarkt für sie überhaupt sinnvoll wäre. „Die Fernbusstrategie der Bahn muss auf jeden Fall zu einem profitablen Geschäftsmodell führen“, sagt Christoph Gipp, Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Iges. Danach sehe es derzeit nicht aus. Die „Optimierung“ des Marktes nach der Postbus- Übernahme spreche aber zumindest für eine „Stabilisierung der Geschäftsgrundlage“. Mit anderen Worten: Je weniger Anbieter es gibt, desto leichter sind moderate Preiserhöhungen möglich. „Der Kunde spürt das kaum“, sagt Gipp. Die Kunst der Anbieter bestehe darin, verfügbare Plätze optimal zu vermarkten, die Zahl der Dumpingpreise zu reduzieren, Stoßzeiten auszunutzen.
„Wenn die Bahn in ihren Zügen schon Kunden verliert, dann muss sie sie wenigstens auf der Straße halten“, gibt Andreas Oswald vom Vergleichsportal Fernbusse.de zu bedenken. Die Chance, Fernbus und Bahn stärker zu verzahnen, Kunden mit Kombi-Tickets zu locken oder den S-Bahn-Verkehr einzubeziehen, habe die Bahn bislang nicht gut genug genutzt.
Vom Leihfahrrad über Carsharing und Fernbus bis zum ICE: „Niemand außer der Bahn kann eine solche integrierte Reisekette anbieten“, sagt Marktforscher Christoph Gipp. Der Fernbus gehöre zu einem Mobilitätskonzern, der die Deutsche Bahn ja sein wolle. Doch zwischen Wille und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Der mögliche Verkauf des Fernbusgeschäfts zeige, dass die Bahn eine Frage noch nicht beantwortet habe: Was ist unser Kerngeschäft?"
Doch auch bei Flixbus läuft nicht alles rund. Am Sonntag hat sich die Reise aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin für rund 40 Kunden zu einer Irrfahrt mit mehrstündiger Verspätung entwickelt. Ihr Fahrer musste nach einem Teil der Strecke umkehren, weil er mit dem falschen Bus losgefahren war. Die normalerweise etwa acht Stunden dauernde Fahrt verlängerte sich dadurch um rund sechseinhalb Stunden, wie ein Flixbus-Sprecher Medienberichte bestätigte.