Wüstenstrom-Initiative Dii: Desertec-Chef Paul van Son wechselt zu RWE
Es ist eine Zäsur für die Vision vom grünen Wüstenstrom für Afrika und Europa: Paul van Son, der die Industrie-Initiative Desertec aufgebaut hat, gibt den Posten nach gut fünf Jahren auf. Im Interview erklärt er die Gründe
Der 13. Juli 2009 in München: An jenem Sommertag vor gut fünf Jahren hatten Topmanager einiger großer Unternehmen – darunter Deutsche Bank, Eon, RWE und Munich Re – schriftlich erklärt, dass sie gemeinsam das von Forschern entwickelte Desertec-Konzept umsetzen wollen. Sie unterzeichneten ein Memorandum of Understanding. Dieses sieht gewaltige Investitionen in erneuerbare Energien in den Wüstenregionen des Mittleren und Nahen Ostens und Nordafrikas (Mena-Region) vor. Im Raum standen Investitionen von rund 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050. Bis dahin sollte in dieser Region so viel Strom produziert werden, dass er auch nach Europa exportiert werden kann – um hier rund 15 Prozent des Strombedarfs zu decken. Über die Jahre gab es aber Streit mit der Desertec-Stiftung, die Probleme mit der Herangehensweise der Dii hat.
Um ihre Aktivitäten zu koordinieren, gründeten die Unternehmen damals die Desertec Industrial Initiative (Dii). Chef dieser GmbH mit Sitz in München wurde der niederländische Energiemanager Paul van Son. Der gibt diesen Posten nun auf, wie der 61-Jährige dem Tagesspiegel sagte. Er werde zum Beginn des neuen Jahres zum Energiekonzern RWE wechseln. Am Mittwoch verständigten sich einige Gesellschafter – darunter RWE, Munich Re, Enel und Abengoa Solar – auch darauf, sich bei Desertec künftig nur auf vier Länder zu konzentrieren: Ägypten, Marokko, Saudi-Arabien und die Türkei, welche bisher nicht in ihrem Fokus lag.
Herr van Son, warum verlassen Sie die Dii?
Weil ich sehe, dass jetzt eine neue Phase anfängt. Ich habe 2009 angefangen, die Dii aufzubauen. Zunächst ging es darum, Pläne für Erneuerbare-Energien-Projekte im Nahen Osten und Nordafrika zu entwickeln und Konditionen dafür auszuloten. Da haben wir sehr viel erreicht und Wüstenstrom salonfähig gemacht, die Pionierphase liegt nun aber hinter uns.
Und wie soll es weitergehen?
Jetzt geht es um Details, konkrete Gesetzgebung etwa, die konkrete Projekte vor Ort erleichtert. Da kam in Diskussionen mit unseren Gesellschaftern auch der Gedanke auf, eine Person an die Spitze zu berufen, die arabische Wurzeln hat und Land für Land voll in diese Detailarbeit einsteigt. Das ist für mich der natürliche Zeitpunkt, die Leitung der Dii einem Nachfolger zu übertragen.
Man hat Sie also zum Gehen gedrängt?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich habe ein sehr gutes Angebot bekommen – von der namhaften deutschen Firma RWE. Für das Unternehmen werde ich in Nordafrika, dem Nahen Osten (Mena) und der Türkei konkrete Geschäftsfelder und Projekte entwickeln. So etwas Ähnliches habe ich ja auch früher gemacht, als ich etwa vor 15 Jahren das Windkraftgeschäft für die niederländische Firma Essent in Deutschland entwickelt habe. Damals waren wir die Ersten auf dem Feld. Das ist für mich also eine Art Déjà-vu.
Was konkret sollen Sie für RWE machen?
Ich werde von einem Büro in Dubai aus RWEs Geschäft mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz in der Mena-Region und der Türkei leiten und voranbringen. Wir wollen dort schrittweise anhand von kleineren Projekten testen, was geht. Ich bin überzeugt, dass Green-Energy-Objekte in den Wüstenregionen dem Konzern helfen werden, sein Energie-Portfolio langfristig zukunftssicher aufzubauen.
Fünf Jahre Desertec: Was haben Sie da erreicht?
Viel. Obwohl die Erwartungen an das Projekt damals sehr überzogen waren: Im Vordergrund stand in Deutschland die Vorstellung, es gehe um Strom aus der Wüste für Europa. Dabei haben wir zunächst nur den ersten Schritt gemacht: mit den Regierungen vor Ort zu reden. Da haben wir festgestellt, dass viele Länder noch überhaupt nicht so weit waren, unsere Ideen aufzunehmen. In fünf Jahren haben wir also erst einmal die Grundstimmung verbessert, die Akzeptanz der erneuerbaren Energien insgesamt. Heute haben praktisch alle Regierungen dieser Länder die Erneuerbaren in ihre nationalen Entwicklungsstrategien aufgenommen.
Warum es bis heute kein großes Referenzprojekt gibt...
Nicht nur dort …
Ja, grüner Wüstenstrom ist mittlerweile auch in Nord- und Südamerika und China ein größeres Thema. So haben wir klar bewiesen, dass Desertec kein neokolonialistisches Projekt oder ein Show-Projekt der deutschen Industrie ist. Die Entwicklung der Stromproduktion aus der Wüste ist ein Thema, das Länder von sich aus vorantragen. Das spiegelt sich heute auch in unserer Gesellschafterstruktur der Dii wider. Außerdem haben wir mit unseren Studien, die teilweise in Kooperationen mit Institutionen wie Fraunhofer entstanden sind, viel Expertise in die Region bringen können.
In Ihren fünf Jahren sind aber auch namhafte Dii-Gesellschafter abgesprungen, Bosch und Siemens zum Beispiel.
Ich möchte betonen, dass wir mit elf Gesellschaftern angefangen haben. Das waren vor allem deutsche Konzerne. Zwischenzeitlich waren es rund 50, darunter sehr namenhafte internationale Unternehmen. Aber es stimmt, ab Ende 2012 haben einige Unternehmen wegen der Wirtschaftskrise, Änderungen im Markt oder neuer Strategien gesagt: Desertec-Energy ist nicht länger unser Ding. Dafür haben wir neue Gesellschafter bekommen – was von der Presse dann aber nicht so stark registriert wurde. Es zählt weniger die Zahl, sondern eher, was die Unternehmen genau wollen und einbringen können sowie die Internationalität.
Bis heute gibt es kein größeres Referenzprojekt, das man klar Ihrer Organisation zuordnen kann. Kritiker fühlen sich bestätigt.
Wenn Kritiker nun feststellen, dass es noch kein Mega-Wüstenstromprojekt gibt, dann ist das zu kurz gesprungen. 2009 dachte man eben: Wir bauen zwei 1000-Megawatt-Kraftwerke in die Wüste, wo eh niemand wohnt, legen ein Kabel nach Europa – und dann war’s das. Das ist die alte Denke. Ich habe mich viele Berufsjahre mit Netzen, elektrischen Systemen und Marktdesign befasst und habe schnell gemerkt, dass Mega hier nicht der richtige Ansatz ist.
Also lieber Mini-Kraftwerke?
Ja und nein. Zunächst braucht es eine lokale Netzinfrastruktur und eine günstige Marktumgebung, um Angebot und Nachfrage auszugleichen. Dann verbinden sich Märkte schrittweise. Wir brauchen nicht zwingend gigantische Kraftwerke, sondern kleine, mittelgroße und große – je nach den Anforderungen vor Ort. Ort und Markt bestimmen auch die Technologie: Wind, Wasser, Fotovoltaik oder Solarthermie. Und die lokale Bevölkerung muss eingebunden sein: Mit Bildung, Jobs, finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten, damit es ihr Projekt wird.
Herr van Son. Danke soweit. Und wer soll künftig die Münchener Geschäftsstelle führen?
Die nächste Phase, wo die Dii noch konkreter vor Ort arbeiten muss, bestimmt das Anforderungsprofil. Es sollte idealerweise jemand sein, der in der Mena-Region verwurzelt ist und gut Arabisch spricht. Die Gespräche dazu sind im Gang.
Das Interview führte Kevin P. Hoffmann
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