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Zukunftsmusik. VW-Chef Müller in der autonom fahrenden Conceptstudie „Sedric“ im September 2017 auf der IAA in Frankfurt am Main.
© picture alliance / Boris Roessle

Matthias Müller zu Fahrverboten: Der VW-Chef lässt das Auto stehen

Matthias Müller ist nicht mehr strikt gegen Hardware-Nachrüstungen älterer Diesel und die blaue Plakette – doch viele Fragen bleiben offen.

Es ist ein „Ja“ mit vielen „Aber“, doch VW-Chef Matthias Müller lehnt Hardware-Nachrüstungen älterer Dieselfahrzeuge und die blaue Plakette, die Fahrverbote bundeseinheitlich regeln würde, nicht mehr prinzipiell ab. Das machte er am Freitag bei einer Diskussion mit dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, beim Automobilverband VDA in Berlin deutlich.

„Ich mag jetzt nicht sagen, ich schließe Hardware-Nachrüstungen aus“, sagte Müller, „aber ich stelle die Frage nach der Sinnfälligkeit.“ Und bei der blauen Plakette „schreien wir nicht Hurra, aber wir würden uns wohl anschließen“, sagte der VW-Vorstandsvorsitzende.

Technisch seien Hardware-Nachrüstungen, wie sie Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Freitag erneut forderte, „in der Theorie möglich“, doch es müssten die „Rahmenbedingungen“ klar sein, warnte Müller. „Die Fahreigenschaften der nachgerüsteten Fahrzeuge verschlechtern sich, und zwar deutlicher, als dies in der Öffentlichkeit bekannt ist“, gab er zu bedenken. „Dies hat auch Konsequenzen für die Höhe der zu zahlenden Kfz- Steuer.“ Außerdem gleiche die Nachrüstung von Euro-5-Diesel einer „Operation am offenen Herzen“. Moderne Euro-6-Diesel, denen sich die älteren Fahrzeuge technisch annähern müssten, glichen fahrenden Chemiefabriken. Die Entwicklung, Umsetzung, Erprobung und Genehmigung der Nachrüsttechnik würden zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. „Ergibt das Sinn?“, fragte Müller, der auf 2,5 Millionen VW-Diesel verwies, die inzwischen ein Software-Update erhalten hätten – 1,5 Millionen davon allerdings, weil der Konzern dazu vom Kraftfahrt- Bundesamt verpflichtet worden war.

"Wir können nicht noch einmal 17 Milliarden Euro bezahlen"

Außerdem sei zu klären, wer die Umrüstung bezahlen solle. VW kalkuliert mit Kosten von 1500 bis 7000 Euro pro Fahrzeug. Müller gab die Antwort selbst: Volkswagen habe 25 Milliarden Euro für die Aufarbeitung der Dieselaffäre in den USA bezahlt, „wir können nicht noch einmal 17 Milliarden Euro für Hardware- Nachrüstungen bezahlen.“ Der VW-Konzern mit weltweit mehr als 600 000 Beschäftigten sei ein „systemrelevantes Unternehmen“. Mit anderen Worten: Eine solche Summe würde selbst den größten Autobauer der Welt überfordern. Eine rechtliche Grundlage, „uns zu Umrüstungen zu verdonnern“, gebe es im Übrigen nicht, sagte Müller. Die Euro-5-Diesel hätten schließlich den jeweiligen Zulassungsbedingungen entsprochen.

Rechtliche Hürden bei der Umsetzung räumt auch Barbara Hendricks ein. Sie pochte dennoch im Bundestag auf technische Nachrüstungen, um Fahrverbote zu vermeiden. Nicht jeder könne sich „einfach ein neues Auto leisten“, sagte sie am Freitag. Die Autohersteller seien die Verursacher der Luftverschmutzung in Städten und dürften nicht aus der Verantwortung entlassen werden. „Wir brauchen nicht nur Software-Updates, sondern auch technische Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen, die so viel bringen, dass der Stickoxid-Ausstoß deutlich sinkt und man damit weiter in die Innenstädte fahren kann.“ Sie hoffe, dass nun alle an einem Strang zögen, technisch mögliche und wirtschaftlich vernünftige Nachrüstungen gegenüber den Autobauern durchzusetzen. „Meine Prognose ist: Wenn der Druck im letzten Jahr vielleicht nicht groß genug war, jetzt dürfte er es sein“, sagte sie mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

Auch der VDA wünscht sich eine bundeseinheitliche Lösung

Auch Winfried Kretschmann sprach sich beim VDA für Nachrüstungen aus und für eine blaue Plakette, die einen Flickenteppich unterschiedlicher und praktisch nicht zu kontrollierender Fahrverbotsregeln vermeide. „Die Plakette wäre rational“, sagte der Ministerpräsident. Irrational sei hingegen, dass sich die Bundesregierung so lange verweigert habe. Inzwischen scheint aber auch in Berlin der Widerstand zu bröckeln. Die künftige Bundesregierung werde das Thema „alsbald aufgreifen“, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch gesagt. Auch beim Autoverband kommen die Dinge in Bewegung, wie der neue VDA-Präsident Bernhard Mattes am Freitag andeutete. Um pauschale Fahrverbote zu vermeiden sei es nun wichtig, einen „bundesweit einheitlichen Handlungsrahmen“ zu schaffen, sagte Mattes.

Matthias Müller hält indes wenig davon, eine Plakette pauschal für alle Euro-6-Diesel zu vergeben. „Es gibt Euro-5-Modelle von Volkswagen, die sind sauberer als Euro-6-Fahrzeuge unserer Wettbewerber.“ Besser sei es deshalb, einen Emissionswert zu definieren, den Dieselautos mit blauer Plakette künftig nicht überschreiten dürften.

Ministerpräsident Kretschmann: Niemand muss in Panik geraten

Die Sorgen vieler Autofahrer, die fürchten, in Zukunft mit ihrem Euro-5-Diesel nicht mehr zur Arbeit zu kommen, halten weder Müller noch Kretschmann für berechtigt. „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erlaubt sehr viele Ausnahmen“, sagte der Grünen-Politiker. Für alle Betroffenen gelte: „Dann parken Sie eben am Stadtrand und fahren mit der Straßenbahn in die Innenstadt.“ Niemand müsse in Panik geraten. VW-Chef Müller macht es angeblich vor. „Ich fahre nicht mehr mit dem Auto in die Stadt – und das macht sogar Spaß“, sagte er. „Die Diskussion ist manchmal schräg.“ Heute machten sich die Leute Sorgen um die Stadtluft und morgen buchten sie eine Kreuzfahrt oder begeisterten sich für ein Feuerwerk – beides schade der Umwelt aber ebenfalls.

Auch in einem anderen Punkt waren sich Kretschmann und Müller einig, allerdings aus unterschiedlicher Perspektive. „Die Distanz zwischen Politik und Industrie ist spürbar gewachsen“, räumte der VW-Chef ein. „Aus nachvollziehbaren Gründen.“ Es gelte nun, neue Formen der Partnerschaft zu finden.

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