Hype um Blockchain und ICOs: Der virtuelle Goldrausch
Milliarden fließen in obskure Bitcoin-Klone, auch viele Prominente investieren in der Hoffnung auf Fabelgewinne. Einige Länder haben das Treiben schon verboten.
Wenn Paris Hilton etwas peinlich ist, wird es kritisch. Für die einst durch ein privates Sexvideo berühmt gewordene Hotelerbin ist Aufmerksamkeit die wichtigste Währung. Zahlreiche Schlagzeilen bekam sie kürzlich für die prominente Unterstützung einer neuen Digitalwährung. „Paris Coin“ wurde der vermeintliche Bitcoin-Konkurrent gar genannt. Doch still und heimlich hat Hilton inzwischen den Tweet wieder gelöscht, indem sie ihre Teilnahme am LydianCoin-Projekt erklärt hatte.
100 Millionen Dollar sollen durch den Verkauf der virtuellen Lydian-Münzen in diesem Monat zusammenkommen. Ob das gelingt, ist fraglich, seitdem Vorwürfe gegen den Gründer publik wurden, dem wegen Gewalt gegen Frauen gar Gefängnis droht. Zudem taugt dessen neuartiges Cybergeld nur dazu, Dienstleistungen der Mutterfirma zu bezahlen – die gibt es aber auch gegen herkömmliche Dollar. So ist offenbar auch Hilton klargeworden, dass ein Investment in diese Digitalwährung längst nicht so prickelnd ist, wie ihr Dosenprosecco.
Hype um ICOs: Im Oktober werden 174 neue Digitalwährungen verkauft
Trotzdem fließen derzeit Milliarden in mehr oder weniger obskure Bitcoin-Klone. Im Schnitt werden jeden Tag fünf neue Digitalwährungen ins Leben gerufen. Das geschieht in der Regel über einen sogenannten ICO. Das Kürzel steht für Initial Coin Offering – analog zum englischen Akronym für Börsengang (IPO – Initial Public Offering). Allein für diesen Monat sind 174 ICOs geplant. Dabei geben Start-ups sogenannte coins oder token aus, um ihre Geschäftsideen zu finanzieren. Diese virtuellen Münzen können dann an speziellen Onlinebörsen gehandelt werden und steigen teilweise enorm im Wert.
Dahinter steckt die Hoffnung vieler Anleger, in das nächste Bitcoin oder Ethereum zu investieren. Die beiden bekanntesten Digitalwährungen haben in diesem Jahr enorm zugelegt: Der Preis des Bitcoin hat sich zeitweise fast verfünffacht, Ethereum stieg gar um das Fünfzigfache. Wer vor zwei Jahren knapp 60 000 Euro in Bitcoin investierte, ist heute Millionär.
Der Anstieg in diesem Jahr wurde auch durch den ICO-Hype befeuert, denn in der Regel muss man die neuen Digitalwährungen in Bitcoin oder Ethereum bezahlen. So entsteht eine Aufwärtsspirale, die viele Beobachter an den Dotcom-Boom während der Jahrtausendwende erinnert.
Das liegt auch daran, dass viele Unternehmen in der Blockchain-Technologie, die hinter den Digitalwährungen steht, ein ähnliches Potenzial sehen, wie hinter dem Internet. Die Lufthansa hat gerade gerade eine Kooperation mit einem Blockchain-Start-up angekündigt und will auch dessen Kryptowähring Líf kaufen. „Die Blockchain wird die Welt verändern“, sagt beispielsweise IBM-Chefin Ginni Rometty. Doch das lockt eben auch Spekulanten. „Es gibt wieder sehr viel Gier bei Gründern, aber auch Anlegern“, sagt Investor Tom Rikert, von der US-Wagniskapitalfirma NextWorlds Capital. Dabei würden Unternehmen vor allem Träume verkaufen. Der einzige Unterschied: Während die Visionen damals mit Powerpoint präsentiert wurden, stehen sie heute auf sogenannten Whitepapers.
Schauspieler und Sportler investieren in Kryptowährungen
Viele warnen daher vor einer Blase. Ein Indiz dafür ist auch, dass neben Paris Hilton immer mehr Prominente in Kryptowährungen investieren und dafür werben – von Hollywoodstar Jamie Foxx über Barcelonas Stürmer Luis Suarez bis zu Boxer Floyd Mayweather, der in diesem Jahr den Rekord von 50 Kämpfen ohne Niederlage einstellte. Der US-Rapper Ghostface Killah von der HipHop-Gruppe Wu Tang Clan hat gerade ein Start-up mitgegründet, das im November ein ICO plant.
Das Treiben ruft die Aufsichtsbehörden auf den Plan. In China und Südkorea wurden die Kryptobörsengänge schon verboten. Die US-Börsenaufsicht SEC warnte, viele ICOs könnten bestehende Finanzmarktregularien verletzen. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin befasst sich ebenfalls mit dem Phänomen. „Es ist aber schwierig, allgemeingültige Aussagen zu ICOs zu treffen“, sagt ein Sprecher. Denn es gibt sehr verschiedene Varianten. Ob die Ausgabe von Digitalmünzen einer Erlaubnis bedarf, hängt vor allem davon ab, welche Ansprüche ein Käufer mit ihnen erwirbt.
Blockchain-Börse aus Berlin
Zoe Adamovicz will helfen, die Digitalbörsengänge in Deutschland in geregelte Bahnen zu lenken. In einer blauen Trainingsjacke sitzt sie im Büro ihres Start-ups Neufund, vom Balkon kann die Gründerin direkt auf die Baustelle der Cuvrybrache schauen. „Es muss eine Regulierung geben, die vor Betrug schützt“, sagt Adamovicz. Dass andere Start-ups in Länder wie die Schweiz ausweichen, um Kontrollen zu umgehen, kann sie nicht nachvollziehen. Die Anwälte von Neufund wollen sich daher auch bei der Finanzaufsicht für ihr Projekt absichern. Denn die Berliner bauen eine Börse auf Blockchain-Basis, damit soll jedes interessierte Start-up die Möglichkeit bekommen, einen ICO durchzuführen. Bislang machen das vor allem Jungunternehmen, die selbst etwas mit der Blockchain-Technologie entwickeln.
Adamovicz will das ändern. Die dabei ausgegebenen Digitalmünzen würden zugleich als Anteile am Unternehmen fungieren. „Ein ICO ist für Start-ups oft besser als Wagniskapital“, sagt die gebürtige Polin. Seit 20 Jahren ist sie als Gründerin aktiv und hatte zuletzt vor drei Jahren die App-Suchmaschine Xyo für einen Millionenbetrag verkauft. „Start-ups sind teils monatelang damit beschäftigt Geld bei Investoren einzuwerben“, sagt Adamovicz. Sie findet das wenig effizient, zudem könnten sich bei ICOs viel mehr interessierte Anleger beteiligen.
Durch Crowdfunding und Crowdinvesting sollte die Start-up-Finanzierung schon einmal demokratisiert werden. Doch statt großer Gewinne für Anleger gab es in den letzten Monaten einige Pleiten. Warum sollte das bei ICOs anders sein? „Beim Crowdfunding gibt es keinen aktiven Zweitmarkt“, sagt Adamovicz. Investoren können ihre Anteile nicht weiterverkaufen und müssen wie Wagniskapitalgeber einige Jahre warten, bis ein Start-up verkauft wird oder an die Börse geht. Nach einem ICO werden die ausgegebenen Krypto-Token dagegen auf speziellen Plattformen gehandelt. Das erklärt aus ihrer Sicht auch die enormen Summen, die derzeit fließen: „Wenn es einen Zweitmarkt gibt, ist mehr Geld im Spiel.“
"Blockchain wird nicht wieder verschwinden"
Adamovicz macht sich einen Tee an dem silbernen Samowar in der Start-up-Küche. Hier kann man sehen, um welche Beträge es geht: An der Wand flimmern auf einem Bildschirm die aktuellen Kurse von Bitcoin & Co. Mehr als 800 Digitalwährungen gibt es inzwischen, fast ein Dutzend davon haben schon die Grenze von einer Milliarde Dollar Marktwert erreicht. Allein die fünf erfolgreichsten Kryptobörsengänge im September haben zusammen fast eine halbe Milliarde Dollar eingespielt.
Neufund will in den kommenden Wochen selbst ein ICO durchführen. Anleger bekommen dann Neumark, die sichert ihnen Anteile an den Start-ups, die künftig an der Blockchain-Börse von Neufund selbst Geld einsammeln werden. Dieser zweite Schritt ist für Anfang 2018 geplant. Bis dahin müssen noch regulatorische Fragen geklärt werden. Doch die Neufund-Gründerin ist überzeugt, dass langfristig kein Weg an den digitalen Währungen und Aktien vorbeiführt. „Die Verteilung des Reichtums wird durch die Blockchain demokratischer“, sagt Adamovicz. „Und das Prinzip der Blockchain wird nicht wieder verschwinden, wie die Demokratie.“