zum Hauptinhalt
Ab Montag müssen Unternehmen Angestellten, die vor Ort arbeiten, mindestens einen Test die Woche anbieten.
© dpa
Exklusiv

Ökonom Gabriel Felbermayr: „Der Staat lenkt von seinem eigenen Versagen ab“

Von der neuen Testpflicht für Firmen hält IfW-Präsident Gabriel Felbermayr wenig. Auch müsste der Staat die Kosten tragen, nicht die Wirtschaft. Ein Interview.

Gabriel Felbermayr leitet das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Im Herbst wechselt der gebürtige Österreicher zurück in seine Heimat und übernimmt in Wien die Leitung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Im Interview erklärt er, wie die Bundesregierung mit ihrer Politik die Falschen rettet und welche Langfristfolgen der lange Lockdown haben wird.

Herr Felbermayr, Deutschland ist seit einem halben Jahr im Lockdown - in anderen Ländern feiern die Menschen dagegen schon wieder Partys. Wird Deutschland wirtschaftlich abgehängt?
Kurzfristig ist das eine berechtigte Sorge. Deutschland kommt nicht aus der Corona-Depression, während die Wirtschaft in Regionen wie den USA und China bereits stark wächst. Aber abgerechnet wird am Schluss. Auch hierzulande könnte die Wirtschaft schnell anspringen, wenn erst einmal ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist. Das könnte einen Teil der heutigen Verluste wettmachen.

Bleiben denn keine Langfristschäden?
Doch durchaus. In Europa wird es zum Beispiel länger dauern, bis sich der Arbeitsmarkt erholt: Je stärker der wirtschaftliche Einbruch ausfällt und je länger er anhält, desto eher verfestigt sich die Arbeitslosigkeit. Das ist anders als in den USA, wo zwar sehr schnell sehr viele Menschen ihre Jobs verloren haben – der Arbeitsmarkt sich dann aber auch sehr schnell wieder normalisiert hat. In Europa hingegen dürften auch dann noch viele Menschen ohne Job sein, wenn die Krise längst vorbei ist. Länder wie Frankreich oder Österreich wird das allerdings sehr viel eher treffen als Deutschland, wo Massenarbeitslosigkeit dank Kurzarbeit und Industriestärke bislang verhindert werden konnte.

Gabriel Felbermayr ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.
Gabriel Felbermayr ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.
© Carsten Rehder/dpa

Welche Langfristfolgen hat der Lockdown für die Unternehmen?
Jeder Tag Lockdown vernichtet bei den Firmen mehr Eigenkapital. Das brauchen sie aber als Sicherheit, um etwa Kredite aufnehmen zu können – nicht nur in der Krise, sondern auch danach. Je weniger Eigenkapital die Unternehmen haben, desto weniger können sie also investieren. Das schmälert ihre Chancen für die Zukunft.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Dabei stellt die Bundesregierung Milliardenhilfen für die Firmen bereit. Was ist schiefgelaufen?
Die Bundesregierung hat leider den Fehler gemacht, sich bei den Rettungspaketen rein auf die laufenden Kosten zu konzentrieren. Mit dem Geld vom Staat können Firmen ihre Kreditzinsen zahlen, Leasingverträge erfüllen und die Miete begleichen. Aber der Unternehmerlohn zum Beispiel bleibt außen vor. In der Folge sind die Unternehmen gezwungen, ihr Eigenkapital nach und nach aufzubrauchen. Deshalb rettet die Bundesregierung mit den Finanzhilfen eben nicht diejenigen, für die sie gedacht sind wie Gastronomen, Hoteliers oder Kulturschaffende. Die Profiteure sind viel mehr die Banken, die Versicherer und die Vermieter.

Jeder Tag Lockdown kostet die Betriebe mehr Eigenkapitel, warnt der Ökonom.
Jeder Tag Lockdown kostet die Betriebe mehr Eigenkapitel, warnt der Ökonom.
© dpa

Werden also noch mehr Firmen aufgeben oder Insolvenz anmelden müssen?
Wir rechnen mit beidem. Es wird relativ viele Geschäftsaufgaben geben. Stellen Sie sich eine ältere Dame vor, die einen Kosmetiksalon betreibt und im Lockdown auf einem Teil ihrer Kosten sitzen bleibt. Die wird irgendwann einfach schließen und nicht warten, bis sie zahlungsunfähig oder überschuldet ist.

Wie kommt es, dass wir bislang so wenige Insolvenzen sehen? Die Pflicht, Insolvenz zu beantragen, ist ja nur für den Fall der Überschuldung ausgesetzt – nicht für die Zahlungsunfähigkeit.
Das liegt an den Banken. Wenn sie sehen, dass ein Unternehmer zwar in der Krise steckt, aber sein Geschäftsmodell nach dem Lockdown zukunftsfähig ist, werden sie in der derzeitigen Situation seinen Kredit nicht sofort fällig stellen. Die zunehmende Überschuldung ist da schon ein größeres Problem. Sobald die Antragspflicht wieder greift, wird die Zahl der Insolvenzen steigen.

Die Regierungsparteien werden aber doch wohl kaum vor der Bundestagswahl eine Insolvenzwelle riskieren.
Das ist zu befürchten. Die Ausnahmeregelung dürfte weiter verlängert werden.

Sie halten das für falsch?
Ja, denn das Insolvenzrecht ja ist keine böse, kapitalistische Erfindung, sondern liefert wichtige Informationen. Im Geschäftsleben müssen Sie wissen, wie es um die Bonität ihrer Kunden und Geschäftspartner bestellt ist. Wenn Sie schlicht nicht einschätzen können, ob oder wie zahlungsfähig er oder sie ist, werden Sie vorsichtig sein. Dadurch machen am Ende alle weniger Geschäft – auch diejenigen, die sonst gut durch die Krise gekommen wären.

Die Zahl der Geschäftsaufgaben könnte weiter steigen. Viele dürften nicht warten, bis sie zahlungsunfähig sind.
Die Zahl der Geschäftsaufgaben könnte weiter steigen. Viele dürften nicht warten, bis sie zahlungsunfähig sind.
© imago images/Ralph Peters

Im Kampf gegen die Pandemie will die Regierung nun eine Bundesnotbremse einführen. Ist das ein Fortschritt?
Es ist insofern ein Fortschritt, als dass sich nun alle Ministerpräsidenten an die Regeln halten müssen. Dass bislang manche Bundesländer die vereinbarten Vorgaben nicht eingehalten haben, hat für viel Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt. Befremdlich finde ich allerdings, dass die Politik weiterhin am Inzidenzwert als Maßstab festhält. Dabei ist die Zahl wenig aussagekräftig: Sie steigt auch dann, wenn einfach mehr getestet wird. Auch wird dabei nicht nach dem Alter unterschieden – obwohl es einen großen Unterschied macht, ob die Inzidenz unter Senioren oder unter 20- bis 30-Jährigen steigt. Nach 14 Monaten Pandemie noch immer nur auf diesen einen Wert zu schauen, wird der Komplexität des Themas nicht gerecht.

Von diesem Montag an müssen Firmen ihren Angestellten mindestens einen Coronatest pro Woche anbieten, wenn sie vor Ort arbeiten. Haben Sie dafür Verständnis?
Mit der Angebotspflicht von Tests im Unternehmen lenkt der Staat von seinem eigenen Versagen ab. Viel sinnvoller wäre es, wenn Coronatests grundsätzlich für jedermann jederzeit kostenlos wären. Dann könnten auch Angestellte sich problemlos zwei Mal die Woche testen lassen, bevor sie zur Arbeit gehen. So aber tragen die Unternehmen die Kosten und die Risiken.

Bringt die Angebotspflicht denn etwas?
Im Kampf gegen die Pandemie ist das nicht der Gamechanger, auf den die Politik hofft. Betriebe mit großen Werksmannschaften testen schon jetzt regelmäßig. Einen Unterschied würde nur eine breitangelegte Teststrategie machen: wenn sich also grundsätzlich jeder regelmäßig testen lassen würde – zum Beispiel auch vorm Einkauf im Supermarkt.

Die Unternehmen müssen die Kosten für die Tests ihrer Mitarbeiter selbst tragen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz argumentiert: Auch die Firmen müssten ihren Beitrag im Kampf gegen die Pandemie leisten. Hat er Recht?
Nein, auch Unternehmen sind schließlich Opfer der Pandemie. Das Coronavirus hat ja nicht in den Betrieben seinen Ursprung, sondern wird dort hineingetragen. Die Bekämpfung der Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Kosten in erster Linie der Staat zu tragen hat. Und es ist naiv zu glauben, dass die Unternehmen die Tests am Ende verschenken. Die Kosten holen sie sich durch höhere Preise wieder rein oder verrechnen sie mit der Überbrückungshilfe.

Während Deutschland noch mit den Lockdown-Folgen beschäftigt ist, haben die USA bereits ein massives Konjunkturprogramm für die Zeit nach der Pandemie aufgelegt. Sollte Deutschland sich das als Vorbild nehmen?
Die USA setzen an zwei Punkten an: Sie stärken einerseits den Konsum und investieren andererseits massiv in Infrastruktur. Den Konsum anzukurbeln wäre aus meiner Sicht nicht zwingend notwendig gewesen – das hat in den USA eher etwas mit Verteilungspolitik zu tun und dem Wunsch, den Menschen nach den Trumpschen Verwerfungen etwas zurückzugeben. Was aber die Investitionen in die Infrastruktur angeht, sollte sich Deutschland durchaus ein Beispiel an den USA nehmen. Ob Straße, Schiene oder Stromnetz – da haben wir Nachholbedarf.

US-Präsident Joe Biden will im Zuge seines Konjunkturprogramms Billionen in die Infrastruktur investieren.
US-Präsident Joe Biden will im Zuge seines Konjunkturprogramms Billionen in die Infrastruktur investieren.
© Evan Vucci/AP/dpa

Die Forderungen nach mehr Investitionen gab es schon lange vor Corona. Ist es also an der Zeit, endlich aktiv zu werden?
Definitiv. Schauen Sie sich die Wahlprogramme der Bundestagswahl vor vier Jahren an. Schon damals hat die Politik umfangreiche Investitionen versprochen. Dass daraus nichts geworden ist, liegt allerdings nicht am Geld. Wir haben es hier eher mit einem Versagen der Verwaltung zu tun. Uns fehlen die Planungskapazitäten. Da sind zum Beispiel umfangreiche Programme für die Modernisierung der Schulen aufgelegt worden – doch das Geld wird einfach nicht abgerufen.

Dann bringt es allerdings auch nichts, wenn im anstehenden Wahlkampf noch mehr Investitionen versprochen werden.
Viel wichtiger wäre ein Modernisierungsprogramm für die Verwaltung. Das aber habe ich in keinem der bislang vorgelegten Wahlprogramme gefunden. Zumal das Thema mit der Digitalisierung der Verwaltung nicht abgehakt ist. Solange bei wichtigen Investitionsentscheidungen zu viele Menschen mitreden, werden Sie das Problem nicht in den Griff bekommen. Es kann nicht sein, dass es 20 bis 30 Jahre dauert, eine neue Schienenstrecke zu bauen. Und mit der Klimawende wird das Problem eher noch größer.

Inwiefern?
Wenn Sie zum Beispiel mehr Erneuerbare Energien wollen, brauchen Sie mehr Stromtrassen. Die zu bauen ist aber ein starker Eingriff in die Umwelt. Da gibt es viele Parteien, die mitreden wollen, das Konfliktpotential ist groß. Sollten die Grünen an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein, wird das spannend.

Zur Startseite