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Nicht mal ganz weit am Horizont ist die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie zu sehen. Trotz diverserer Proteste, hier warnstreikende Opel-Mitarbeiter in Eisenach.
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38-Stunde-Woche: Der Osten arbeitet länger länger

Die 35-Stunden-Woche in der Industrie ist nicht in Sicht. Jetzt versucht die IG Metall mit einer Handvoll Autofirmen ins Geschäft zu kommen.

Die mehr als 300 000 Arbeitnehmer in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie werden noch viele Jahre länger arbeiten müssen als ihre Kollegen im Westen. In den Tarifbezirken Sachsen und Berlin-Brandenburg wurde zwar in den vergangenen Tagen der Pilotabschluss von Baden-Württemberg übernommen – unter anderem 4,3 Prozent mehr Geld, flexiblere Arbeitszeiten und ein Rückkehrrecht auf Vollzeit –, doch beim Ziel der Angleichung der Arbeitszeit kam die IG Metall nicht voran. Nun erhofft sich die Gewerkschaft einen Fortschritt durch sogenannte Ergänzungs-Tarifgemeinschaften: Mit einer Handvoll großer Unternehmen aus der Autoindustrie möchte sich die IG Metall auf kürzere Arbeitszeiten verständigen.

VW, BMW und Porsche wollen sich bewegen

Angeblich haben sich die Personalvorstände von VW, BMW, Porsche, Mahle und ZF an die IG Metall gewandt und bilaterale Gespräche angeboten. Die Konzerne sitzen im Westen und beschäftigen bei den Töchtern im Osten Tausende Mitarbeiter. VW produziert in Zwickau Golf und Passat und in Chemnitz Motoren, BMW in Leipzig Elektroautos und Porsche Geländewagen. ZF betreibt ein Getriebewerk in der Stadt Brandenburg, Mahle baut Filtersysteme in Wustermark.

Die Verbände bestehen auf 38 Stunden

Offenbar haben diese Unternehmen zunehmend Probleme mit ihren Belegschaften, die knapp 30 Jahre nach der Einheit nicht mehr länger arbeiten wollen als die Kollegen im eigenen Konzern ein paar hundert Kilometer weiter westlich. Im Westen gilt seit Mitte der 1990er Jahre die tarifliche 35-Stunden-Woche, im Osten sind es 38 Stunden. In den gerade beendeten Tarifverhandlungen wollte die IG Metall unbedingt eine Gesprächsverpflichtung über die Angleichung der Arbeitszeit durchsetzen. Der Arbeitgeberverband in Berlin und Brandenburg akzeptierte am Montagabend „Gespräche unter der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen über einen Prozess zur Angleichung der Arbeitsbedingungen“; eine Formulierung zur „Angleichung der Arbeitszeit“ lehnten die Arbeitgeber ab. Die Verbände betonen vielmehr die Bedeutung der längeren Arbeitszeit als Wettbewerbsvorteil der ostdeutschen Industrie, die noch immer nicht so produktiv und exportorientiert sei wie die Unternehmen im Westen.

Die IG Metall darf nicht streiken

Das gilt indes nicht für die großen Werke der Westkonzerne, zum Beispiel die VW-Fertigung der Modelle Golf und Passat in Zwickau. Hier erwarten die Beschäftigten Schritte zur Angleichung der Arbeitszeit, und an diesen Standorten können sich die Arbeitgeber auch problemlos längere Arbeitszeiten leisten. Wie der Weg dahin allerdings organisiert wird, ist offen. „Das nächste Ziel ist jetzt die Ergänzungs-Tarifgemeinschaft“, sagt Olivier Höbel, IG Metall-Chef von Berlin, Brandenburg und Sachsen. Es ist aber offen, ob die fünf Konzerne überhaupt bereit sind, sich in einer Tarifgemeinschaft zusammenzufinden, um einen koordinierten Stufenplan zur Verkürzung der Arbeitszeit zu verhandeln. Zwingen kann die IG Metall die Unternehmen nicht, und Druck ausüben auch nicht: Es herrscht Friedenspflicht, die Gewerkschaft kann also nicht mit Warnstreiks die Arbeitgeber mürbe machen.

Die Großen als Vorbild

Höbel will mit der Tarifgemeinschaft „unterschiedliche Geschwindigkeiten“ auf dem Weg zur 35-Stunden-Woche erreichen: Die großen Konzerne gehen mit ihren Ablegern im Osten voran, und damit „schaffen wir gute Beispiele, an denen sich weitere Belegschaften orientieren können“. Da klingt viel Hoffnung mit. Tarifbindung der Betriebe und Mitgliedschaft in der IG Metall sind so schwach, dass an eine flächendeckende Lösung nicht zu denken ist.

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