Wirtschaft: „Die IG Metall konnte nicht gewinnen“
Jenaer Wissenschaftler kritisiert Arbeitskampf um 35-Stunden-Woche/37 Stunden wäre realistisches Ziel gewesen
Berlin (alf). Für den Arbeitskampf um die Einführung der 35Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie gab es „keine hinreichenden Voraussetzungen“. Als Folge der Niederlage werde „die IG Metall lange brauchen, um aus der Defensive wieder herauszukommen“, schreibt Professor Rudi Schmidt von der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einer Analyse des Streiks. Vor gut zwei Wochen waren die Verhandlungen um die Arbeitszeitverkürzung gescheitert. Die IG Metall hatte daraufhin die Niederlage eingeräumt und den Arbeitskampf aufgegeben. Seitdem befindet sich die Gewerkschaft in einer Führungskrise. Am Wochenende bekräftigten Funktionäre ihre Forderung nach einem außerordentlichen Gewerkschaftstag, um den Machtkampf an der Spitze um die Nachfolge von Klaus Zwickel zu entscheiden. Zwickel hatten den zweiten Vorsitzenden der IG Metall und Kandidaten für seine Nachfolge, Jürgen Peters, mehrfach zum Rücktritt aufgefordert.
Peters lehnt das ab und will sich dem Votum des Gewerkschaftstages stellen. Turnusgemäß würde der Gewerkschaftstag im Oktober eine neue Führung wählen. So lange wollen einige Peters-Kritiker aber nicht warten. Der Vorstand der IG Metall sei offensichtlich „nicht mehr in der Lage, die notwendigen Entscheidungen für eine schnelle Beendigung der öffentlichen Debatte um Personen zu treffen und damit Schaden von der IG Metall abzuwenden“, erklärte der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer. Er forderte eine außerordentliche Sitzung des gesamten Vorstands, auf der ein außerordentlicher Gewerkschaftstag vorbereitet werden könnte. Nach jetzigem Stand ist die nächste Vorstandssitzung erst am 1. September.
Der Industriesoziologe Rudi Schmidt kritisiert das Ziel der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland, weil die Bedingungen dafür nicht gegeben waren. Zum einen sei die Akzeptanz einer Wochenarbeitszeitverkürzung im Osten nicht sonderlich hoch, zum anderen sei „die ostdeutsche Betriebslandschaft wesentlich heterogener und die betrieblichen Interessenlagen sehr viel zerklüfteter als dies in Westdeutschland der Fall ist“. Vor allem aber sei es „hoch riskant gewesen, eine weitere starke Verkürzung (der Wochenarbeitszeit) anzustreben, wenn die bestehende noch nicht einmal mehrheitlich als Standard etabliert war“. Da die Mehrzahl der Beschäftigten also länger als die tariflichen 38 Stunden arbeiten, macht es Schmidt zufolge keinen Sinn, für die 35 Stunden zu kämpfen. „Man hätte (...) zunächst besser die 37-Stunden-Woche anstreben sollen“, schreibt der Jenaer Professor.
Ferner sei die politische Begründung des Arbeitskampfes mit der Notwendigkeit der Angleichung 13 Jahre nach der Wende „problematisch“ gewesen. Da sich die IG Metall auf eine „eher politische als gewerkschaftliche Begründungsformel verlegte“, sei sie „auch leichter politisch angreifbar“ gewesen. Vor dem Hintergrund einer gewerkschaftsfeindlichen Stimmung und nach der verlorenen Auseinandersetzung mit der Bundesregierung um die Agenda 2010 kann Schmidt die Analyse der Niederlage durch die verantwortlichen Funktionäre nicht nachvollziehen. „Die nach dem Streik eingeräumte Fehleinschätzung, dass man die mangelnde politische Unterstützung nicht habe voraussehen können, erstaunt daher.“
Den Streikstrategen der Gewerkschaft hätte Schmidt zufolge „hinreichend bekannt sein (müssen), dass die ostdeutschen Betriebe zu schwachbrüstig waren, um den Streik längerfristig allein durchzustehen“. In der vierten und letzten Streikwoche seien gerade einmal zehn Betriebe mit insgesamt 8000 Beschäftigten in den Streik einbezogen gewesen. „Eskalationsmöglichkeiten zur Erhöhung des Streikdrucks bestanden nicht“, schreibt Schmidt. Die Niederlage werde für die IG Metall „gravierende“ Folgen haben, Tarifverhandlungen im Osten müssten künftig „aus einer Position der Schwäche heraus geführt werden“. Sehr skeptisch setzt sich der Soziologe auch mit der Praxis der IG Metall auseinander, während des Arbeitskampfes mit einzelnen Firmen Haustarifverträge abzuschließen. „Polemisch formuliert könnte man nun sagen, dass die IG Metall einen Streik zur Aufhebung des Flächentarifvertrags in Ostdeutschland geführt habe.“
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