Nöte und Chancen der Berliner Wirtschaft: Der Mittelstand wird abgehängt
Kleine Betriebe beteiligen sich nur selten an öffentlichen Ausschreibungen – der Aufwand ist zu groß. Viele Unternehmer schrecken vor der Bürokratie zurück.
Es ist ein Wust von Anträgen, Formularen und Bescheinigungen: Wer in der Hauptstadt einen Auftrag der öffentlichen Hand ergattern möchte, muss einen Haufen Kriterien erfüllen. Auf der anderen Seite gibt es für die Unternehmen aber auch eine Menge zu holen – laut Berliner Handwerkskammer vergeben Bund, Länder und Kommunen jedes Jahr Aufträge mit einem Gesamtvolumen von mehreren Milliarden Euro.
Doch obwohl es um große Summen geht, bewerben sich oft nur wenige Bewerber um den Zuschlag für öffentliche Ausschreibungen. „Das deutsche Vergaberecht ist besonders für kleine und mittelständische Betriebe unattraktiv“, sagt der Vergaberechtsexperte Marcel Rehfeld von der Berliner Industrie und Handelskammer (IHK). „Die vielen Gesetze und Verordnungen machen die Materie sehr kompliziert.“
Mobiliar, Computer - was einfach klingt, ist mit Bürokratie verbunden
Laut der Berliner Vergabeplattform im Internet sucht derzeit zum Beispiel das St.-Joseph-Krankenhaus nach einer Firma, die die Klinik mit Computern und Flachbildschirmen ausstattet. Und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt braucht eine Firma, die die Mensa des Oberstufenzentrums für Bautechnik an der Driesener Straße mit Mobiliar bestückt. Doch was relativ einfach zu bewerkstelligen klingt, ist für potenzielle Auftragnehmer mit jeder Menge Bürokratie verbunden.
Wer sich in Berlin um einen Auftrag der öffentlichen Hand bewirbt, muss nämlich nicht nur nachweisen, dass sein Angebot inhaltlich mit der Ausschreibung übereinstimmt. Schon bei geringen Abweichungen zwischen der geforderten und der angebotenen Leistung können Bewerber sich bereits im Vorfeld wegen formaler Mängel aus dem Rennen schießen.
Ist diese Hürde gemeistert, beurteilt die Bieterseite sämtliche Angebote mit Blick auf fachliche Eignung, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Dabei müssen öffentliche Auftraggeber wie Senatsverwaltungen und Behörden laut Gesetz auch prüfen, ob potenzielle Geschäftspartner im Korruptionsregister der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt aufgelistet sind. Die Zahl der Berliner Firmen, die dort eingetragen sind, hat sich seit 2008 verdoppelt. In der „schwarzen Liste“ werden Betriebe und natürliche Personen geführt, die sich der Korruption schuldig gemacht oder gegen den fairen und freien Wettbewerb verstoßen haben und deshalb keine öffentlichen Aufträge mehr erhalten.
Sind die Unternehmen "sauber", steht einem Auftrag nichts im Wege
Am 17. März 2015 standen 2680 Unternehmen und Personen im Register, das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hervor. Davon wurden 1474 Firmen wegen Steuerhinterziehung und 1152 Firmen wegen „Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelten“ auf die Liste gesetzt. Weitere 23 Betriebe und Personen wurden wegen Korruption im engeren Sinne auffällig, vereinzelt auch wegen Untreue, Subventionsbetrug und Betrug.
In Berlin haben sich bisher 828 öffentliche Stellen für eine Abfragebefugnis registrieren lassen, von diesen Nutzerkonten sind derzeit allerdings nur 517 aktiv. Die Zahl der Abfragen lag in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich bei etwa 18000. Das Korruptionsregister wurde Mitte 2006 eingerichtet. Erweisen sich Unternehmen als „sauber“, steht einem Auftrag von öffentlicher Seite nichts mehr im Wege. Am Ende erhält das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag. Entscheidend sind dabei Preis und Qualität.
Für die Kleinen ist es nicht wirtschaftlich, alle nötigen Nachweise zu erbringen
In Berlin müssen Bewerber bei bestimmten Ausschreibungen außerdem nachweisen, dass sie sich an geltende Tarife halten und Frauen fördern. Sind potenzielle Auftragnehmer gleichermaßen geeignet, kann auch die jeweilige Ausbildungsquote im Betrieb zum Vergleich herangezogen werden. „All diese Nachweise für öffentliche Aufträge zu erbringen, ist für kleine und mittelständische Unternehmen oft nicht wirtschaftlich“, meint Marcel Rehfeld von der IHK. „Sie bewerben sich erst gar nicht.“ Weil der Mittelstand von vorneherein aus dem Rennen ist, bleibt der öffentlichen Hand oft gar nicht anderes übrig, als das Projekt an die verbleibenden Bewerber zu vergeben, sagt Rehfeld – und das sind dann im Regelfall Großkonzerne.
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