Stadtentwicklung und Wohnungsbau: Berlin muss sich vom Bund emanzipieren
Bei der Stadtentwicklung vieles dem Bund zu überlassen, war billig und bequem. Nicht nur der Fall des Dragoner-Areals zeigt: Der Senat muss in der Stadtentwicklung endlich eigenständig werden. Nur dann kann er bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Nein, ein „Bestbieter“ ist das Land Berlin nicht. Der Bestbieter ist derjenige, der die Höchstsumme offeriert in einem Verfahren, wie es die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) für Liegenschaften des Bundes durchführt. Kommt es mit dem Bestbieter nicht zur Einigung, gibt die Bima dem nächstbesten Teilnehmer „die Möglichkeit“, sein Angebot „zu überdenken“. Sprich: in die Stapfen des Bestbieters zu treten.
Es ist offenkundig, dass Berlin in einen solchen Wettstreit weder eintreten kann noch soll, und es versteht sich von selbst, dass das Verfahren als solches das politische Anliegen Berlins – wie im Übrigen aller Kommunen – konterkariert, Wohnungen und vor allem Bauland zu günstigen Konditionen zu erwerben, um „bezahlbaren“ Wohnraum zur Verfügung zu stellen oder zu schaffen. Was „bezahlbarer“ Wohnraum ist, darüber gehen die Ansichten auseinander. Aber dass die Mietpreise in Deutschland ein Niveau erreicht haben, bei dem es für Familien, für Alleinerziehende, für Geringerverdienende nahezu unmöglich geworden ist, in der Stadt zu wohnen, darf als politischer Konsens quer über die Parteienlandschaft gelten. Nur: Wie dem abhelfen?
Längst hat die Konferenz der Länderbauminister die Bundesregierung aufgefordert, nicht benötigte Flächen an die Kommunen zu veräußern, zum Verkehrswert und nicht zu einem in Bieterverfahren erzielbaren Höchstpreis. Ein offenes Ohr hat die Ministerrunde offenkundig nicht gefunden. Vor wenigen Tagen erst wurde ein enormes, knapp fünf Hektar großes Areal in Kreuzberg, das der sogenannten Dragonerkaserne, höchstbietend veräußert. Bezahlbares Wohnen? Das wird an der gesuchten Adresse Mehringdamm, unweit des neuen Parks am Gleisdreieck, gewiss nicht entstehen. Nicht entstehen können, wenn der Investor den Kauf refinanzieren will, von seinem Unternehmensziel ganz abgesehen, „ein Portfolio von erstklassigen Immobilien in Bestlagen zu schaffen“.
So macht der Bund Baupolitik, auch und gerade in Berlin. Das Problem der für Wohnungsbau geeigneten Grundstücke ist dabei nur ein Aspekt. Der Bund ist ein Hauptakteur des Berliner Baugeschehens, seit der Hauptstadtentscheidung vom Juni 1991. Mit diesem Datum wurden alle Liegenschaften und Immobilien, die dem Bund längst gehörten oder im Zuge der deutschen Einheit zugeordnet worden waren, zu Rohmaterial beim Ausbau Berlins zur Bundeshauptstadt. Und Berlin, dieses schuldenbeladene Bundesland, war froh, dass der Bund plante, baute und bezahlte.
Die Baupolitik des Bundes nimmt kaum Rücksicht auf bezahlbare Mieten in Berlin
Der Bund bestimmte. Wo die Ministerien hinkommen, die Behörden, wo ein Riesenbau entstehen konnte wie die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes auf einer Fläche, auf der mehrere Hundert Wohnungen Platz gefunden hätten. Eine Hauptstadt besteht nun einmal nicht nur und nicht einmal zuallererst aus Wohnungen, sondern aus vielen öffentlichen Institutionen, auch aus dem Kulturbereich. Der Bund nahm sich vieler solcher Einrichtungen an oder finanzierte sie mit, von der Museumsinsel über das Humboldtforum bis zur Staatsoper. Und Berlin war froh.
Berlin, von einer nur zum Teil selbstverursachten Schuldenlast gedrückt, hat sich jahrelang auf einen rigiden Sparkurs begeben und darüber die Stadtpolitik mehr und mehr vergessen. Die Wohnungsnot des Jahres 2015 ist nicht über Nacht entstanden. Es ist noch nicht einmal klar, was daran tatsächliche Wohnungsnot ist und was das Bestreben, in der preiswertesten Hauptstadt Europas auch weiterhin kostengünstig und von jedwedem Veränderungsdruck frei leben zu können. Was in der pluralistischen Demokratie ein legitimes Ziel ist; aber sicher nicht das einzige, an der sich eine strategisch ausgerichtete Stadtpolitik orientieren kann.
Die Schlappe beim Tempelhofer Feld wird sich noch lange auswirken
Mit dem politischen Debakel ums Tempelhofer Feld, wo es dem Land auch nicht ansatzweise gelang, für den Wohnungsbau eine Mehrheit zu finden, hat Berlin eine weit darüber hinauswirkende Schlappe erlitten. Bundesbehörden wie die Bima betrachten Berlin offenbar als quantité négligeable, nicht nur beim Wohnungsbau. Dass die Errichtung eines Museums der Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum vom Haushaltsausschuss des Bundestages mit einem 200-Millionen-Blankoscheck angestoßen worden ist, nachdem sich Berlin ein halbes Jahrhundert lang nicht auf eine Vorstellung für dieses kostbarste Gelände hat verständigen können, sagt genug. Schon das Humboldtforum mit der umstrittenen Fassade des Barockschlosses war eine Entscheidung des Bundestages. Sollen sich die Abgeordneten nun auch noch für den Wohnungsbau Berlins verantwortlich fühlen, für Lückenschließungen und Nachverdichtung?
Was nottut, ist Landespolitik. Es braucht einen Senat, der strategische Ziele formuliert. Dass erst jüngst die Bezirke aufgefordert wurden, Bauflächen zu identifizieren, belegt das Versäumnis. Die Warnsignale waren und sind doch überall abzulesen, zuletzt beim Olympia-Aus zweiter Klasse. Nicht einmal diese Blamage hat den Senat ernstlich aufgeschreckt. So- lange Berlin keine vorausschauende Stadtentwicklungspolitik zustande bringt, werden Bund und Bima ihre Bieterverfahren fortsetzen. Und nicht dort liegt der Schwarze Peter, sondern beim Land Berlin, dessen Politiker dem Anspruch nicht gerecht werden, den die Hauptstadtexistenz Berlins ihnen stellt.