Nach dem Aus des Otto-Katalogs: Der Katalog ist tot, es lebe der Katalog!
Mit dem Aus bei Otto endet ein Stück Wirtschaftsgeschichte. Ganz ohne Kataloge geht es aber nicht – wie nicht nur die Online-Riesen Amazon oder Zalando zeigen.
Vor zehn Jahren wollte Otto es noch nicht wahrhaben. Damals bewarb der Hamburger Versandhändler seinen neuen Katalog mit verschiedenen Werbespots. In einem liefern sich ein Mann und eine Frau eine neckische Kissenschlacht, bis die Frau statt zum Kissen zum Otto-Katalog greift und den Mann damit k. o. schlägt. In einem anderen sitzen beide gemeinsam vor dem Fernseher auf dem Sofa, wobei der Mann dermaßen penetrant und laut schnarcht, dass die Frau abermals zum Otto-Katalog greift, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Das Fazit ist in beiden Fällen gleich. „Kataloge braucht man immer.“
Diente der Otto-Katalog schon im Jahr 2008 also eher als Waffe denn als Verkaufsinstrument, ist man bei Otto inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, dass man den Katalog wohl doch gar nicht mehr braucht. Anfang Dezember ist der letzte Katalog erschienen, nach 68 Jahren endete damit eine Ära des Handels. Es ist ein 656 Seiten dickes Ende, mit dem sich auch ein Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte schließt. Denn das Konsumverhalten hat sich gewandelt.
"Ich bin dann man App"
Worin dieser Wandel besteht, zeigt schon das Cover des letzten Otto-Kataloges. In der Mitte ist ein Smartphone abgebildet, daneben steht: „Ich bin dann mal App.“ Keine schlechte Idee, schließlich sind im Katalog höchstens 2000 Produkte gelistet, online sind es rund drei Millionen. Kunden, die noch direkt über die im Katalog angegebene Nummer bestellen, gibt es kaum noch. Bei Otto stammen 97 Prozent des Umsatzes aus dem Onlinehandel. „Das Such- und Einkaufsverhalten verlagert sich immer stärker ins Digitale“, bestätigt auch Professor Matthias Neu von der Hochschule Darmstadt. Der Anteil des Onlinehandels am Umsatz des gesamten Einzelhandels betrage bereits zehn Prozent. „Tendenz stark steigend.“
Geschäftsmodelle wie die des US-Unternehmens Amazon oder des Berliner Modehändlers Zalando, die fast ausschließlich auf Onlineversand basieren, haben dem Kataloghandel seit Anfang des Jahrtausends zahlreiche Kunden weggenommen. Das traditionsreiche Versandhaus Quelle musste schon 2009 Insolvenz anmelden, Neckermann folgte drei Jahre später. Im Gegensatz zur Konkurrenz schaffte es der Otto-Konzern, sich zu digitalisieren, sicherte sich die Rechte an den Marken Quelle sowie Neckermann und ist nach Amazon der größte Onlinehändler in Deutschland.
Im Katalog ließ sich früher der Zeitgeist ablesen
Doch ein Blick in ältere Ausgaben des Otto-Kataloges zeigt, dass sich nicht nur das Kaufverhalten geändert hat. In den Ausgaben der 1950er und 1960er Jahre präsentierten rauchende Männer mit Pfeifen oder Zigaretten und einem Drink in der Hand ihre Hemden, Hosen und Sakkos. Die Models hießen noch Mannequins, Kinderkleidung und Damenwäsche wurden nicht fotografiert, sondern gezeichnet. In den Werbespots sieht man adrett gekleidete Hausfrauen, die nicht im Traum daran gedacht hätten, ihren Otto-Katalog als Waffe einzusetzen. „Früher waren Kataloge tatsächlich eine Art Kulturgut“, beschreibt Neu. „Mit jedem Druck wurde der Zeitgeist sehr verbindlich festgehalten, im Rückblick dokumentieren die Kataloge die Entwicklung des Konsumverhaltens und der Moden in der BRD sehr anschaulich.“
Nicht umsonst entwickelten sich die dicken Wälzer zu beliebten Schmuggelobjekten in die DDR. Noch immer erzählt man sich bei Otto stolz, dass die Frauen in Ostdeutschland die im Katalog gezeigte Kleidung nachgeschneidert hätten. Ab den 1980er Jahren lockte das Hamburger Versandhaus seine Kunden mit prominenten Models auf den Titelseiten – von Claudia Schiffer über Giselle Bündchen bis zu Eva Padberg. Allein Heidi Klum war viermal dabei. Als in den 1990er Jahren CD-Roms beilagen, konnte man sich schon denken, dass die Zeit des papierenen Shoppens nicht ewig anhalten würde.
In den USA bringen Ebay und Amazon Kataloge zu Weihnachten raus
Doch sind Kataloge in Zeiten des Internets passé? Professor Neu holt etwas weiter aus. „Es gibt für Händler drei grundsätzliche Kanäle, um mit dem Kunden in Verbindung zu treten“, erklärt er. „Digital, im Geschäft und mit Druckprodukten. Der Bereich Print ist dabei keineswegs tot.“ Im Universalhandel habe der umfangreiche Katalog zwar ausgedient. „Aber als Impulsgeber können Druckprodukte nach wie vor eine wichtige Rolle spielen.“
Das zeigen auch Beispiele aus der Digitalwirtschaft. Zum Weihnachtsgeschäft haben in diesem Jahr sowohl das Online-Auktionshaus Ebay als auch Amazon gedruckte Kataloge in den USA herausgebracht. Zalando vertreibt bereits seit Jahren eigene Prospekte und Magazine – im Marketingjargon „Magaloge“ genannt, weil sie das unterhaltende Element eines Magazins mit dem werbenden Aspekt eines Katalogs verbinden sollen.
Aus Sicht von Neu zeigt das, wie gut man auch junge Menschen mit Druckerzeugnissen ansprechen kann. „Man darf zwar nicht erwarten, dass man unmittelbar durch den Katalog viel verkauft“, so der Professor. Aber man dürfe die Werbewirkung von Print nicht unterschätzen. Ein Katalog biete gerade dann großes Potenzial, „wenn die Bedürfnisse der Kunden, wie bei Onlinehändlern der Fall, sehr gut bekannt sind“.
Tatsächlich ergab eine Erhebung des Marktforschungsinstituts Splendid Research im März dieses Jahres, dass 50 Prozent der Kunden, die einen Katalog lesen, im Anschluss „häufig“ die dazugehörige Internetseite besuchen. Zehn Prozent tun das der Umfrage zufolge sogar „immer“. Diese Personen gaben weiter an, dass sie in 91 Prozent der Fälle dort auch etwas kaufen.
"Ikea feiert den Katalog als auflagenstärkstes Buch"
Und so setzen andere Händler weiterhin auf Kataloge. Das Versandhaus Pearl etwa startete in den 1990er Jahren mit Magazinen und einem Katalog, in dem sich alles um Technikprodukte drehte. Inzwischen ist ein Handelsunternehmen mit einem Jahresumsatz von 140 Millionen Euro aus dem einstigen Katalog geworden, das auch einen eigenen Teleshoppingsender betreibt. Man zähle den Katalog weiterhin „zu unseren starken Kanälen“, heißt es auf Anfrage. Seine Alleinstellung habe er aber „schon lange eingebüßt“. Dementsprechend wurde die Auflage in den vergangenen Jahren um die Hälfte reduziert.
Ganz anders wiederum hält es der schwedische Möbelkonzern Ikea. Auch 2018 bewarb das Unternehmen seinen Katalog als „auflagenstärkstes Buch der Welt“. 27 Millionen Exemplare verteilt Ikea allein in Deutschland, weltweit sind es rund 190 Millionen. Reisekonzerne wie Tui, Thomas Cook oder FTI betonten ebenfalls, ihre Kataloge keinesfalls einstellen zu wollen.
Auch Otto wird weiterhin Kataloge drucken. Sie sollen allerdings dünner, auf bestimmte Angebote konzentriert und auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sein. „Bei spezielleren Produkten, wie etwa Jagd- und Waffenzubehör, haben Kataloge sicherlich eine längere Überlebenschance“, sagt Matthias Neu und deutet damit auch auf einen Katalog aus dem Hause Otto hin. Denn 2007 übernahmen die Hamburger den Waffenhändler Frankonia. Es ist bekannt, dass sich dessen Katalog unter Jägern nach wie vor großer Beliebtheit erfreut.
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