Abfallvermeidung: Der Kampf gegen die Plastikfalle
Zu viel Kunststoff schwimmt im Meer, zu wenig wird recycelt. Plastik droht in unser Trinkwasser, unser Essen und unsere Körper zu gelangen. Die Europäische Union will dagegen angehen.
Wer Plastik sucht, der findet es auch. Zum Beispiel im teuren Meersalz, dem Fleur de Sel. Von dem haben Umwelttechniker der Universität Oldenburg kürzlich mehrere Sorten untersucht. In allen fanden sie kleinste Teilchen von Kunststoffen, aus denen Shampooflaschen, Gefrierbeutel, Tüten und Saftflaschen bestehen. Barbara Scholz-Böttcher vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres sagt: „Das ist das Ergebnis unseres achtlosen Umgangs mit Plastik.“ Dass man davon ausgerechnet im teuren Fleur de Sel viel findet, hat einen Grund: Anders als andere Meersalze wird es nicht vom Boden sondern von der Wasseroberfläche abgeschöpft. Und dort schwimmt nun mal besonders viel Plastik.
Plastik ist überall - auch in Speisen
Wenn von Müllstrudeln im Pazifik die Rede ist, von Plastikpartikeln im Eiswasser der Arktis, denken viele Verbraucher schnell: Das hat doch nichts mit mir zu tun. Wir Deutsche trennen schließlich unseren Müll, werfen ihn nicht achtlos ins Wasser. Tatsächlich stammen die großen Mengen an Plastik im Meer auch aus Ländern wie China, Indonesien, Thailand und Vietnam. Ein Plastikproblem haben wir hierzulande aber trotzdem. Zum einen, weil ein Teil unseres Plastikmülls in ebenjene Länder exportiert wird. Zum anderen, weil das Plastik auf unterschiedlichen Wegen auch in unseren Speisen und Getränken landet. Im Fleur de Sel, aber auch im Trinkwasser. Selbst im Hausstaub haben Wissenschaftler Mikroplastik gefunden und vermuten, dass wir es so mit jeder Mahlzeit zu uns nehmen.
Frans Timmermans ist beunruhigt. „Wir müssen verhindern, dass Plastik in unser Wasser, unser Essen und sogar unsere Körper kommt“, sagt der Vizepräsident der EU-Kommission. Seinen Kindern hat er das angeblich schon erklärt und sie deshalb ermahnt, auf Strohhalme aus Plastik zu verzichten. Gerade einmal fünf Minuten benutzt man die im Schnitt, dann wirft man sie weg. „Aber es dauert 500 Jahre, bis das Material sich zersetzt hat“, sagt Timmermans. Sein Nachwuchs würde deshalb jetzt nach Papierstrohhalmen fragen – und, wenn es die nicht gibt, lieber darauf verzichten.
Die EU will Einweggeschirr verbieten
Ein Verbot will Timmermans nicht nur bei sich zu Hause durchsetzen sondern EU-weit. Neben Strohhalmen sollen Einweggeschirr und -besteck aus dem Alltag verbannt werden. Details der Pläne will Timmermans Ende Mai vorstellen. Bis dahin soll der Entwurf für eine entsprechende EU-Richtlinie fertig sein.
Ein Beispiel dürfte sich der Kommissionsvize dabei an Ländern wie Großbritannien nehmen, die sich bereits für ein Plastikverbot entschieden haben. Bis 2020 wollen die Briten sich schrittweise von Einwegplastik verabschieden. Bereits bis Jahresende soll es keine Einwegbecher aus Plastik mehr auf der Insel geben, ein Jahr später sollen dann auch Plastikstrohhalme und -wattestäbchen verschwunden sein. Beim Mikroplastik, das in Kosmetik oder Waschmittel steckt, ist Großbritannien sogar noch weiter. Diese kleinsten Kunststoffteilchen machen zum Beispiel Duschgel besonders cremig oder Haargel trübe statt transparent. Umweltverbände argumentieren seit Längerem, dass diese Teilchen über das Abwasser in die Umwelt gelangen, weil sie so klein sind, dass Kläranlagen sie nicht herausfiltern können. In Großbritannien dürfen seit Anfang dieses Jahres deshalb keine Kosmetikartikel mehr produziert werden, die Mikroplastik enthalten. Bis zum Juli müssen die Geschäfte die letzten Zahnpastatuben und Shampooflaschen aussortiert haben, in denen die Kleinstteilchen stecken.
Geht es nach dem Umweltbundesamt, sollte auch die EU ein solches Verbot von Mikroplastik anstreben. Auch die Grünen wünschen sich das. Aus ihrer Sicht wäre aber auch das nur ein erster Schritt. „Ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik und Pflegeprodukten löst nur einen Teil des Problems“, schreibt die Bundestagsfraktion. „Der Plastikverbrauch muss generell reduziert und die Hersteller müssen in die Pflicht genommen werden.“
Plastik ist ein Wohlstandsprodukt
322 Millionen Tonnen Plastik werden in Deutschland inzwischen jährlich produziert – fast sieben Mal so viel wie noch Mitte der 1970er Jahre. Denn Plastik ist ein Wohlstandsprodukt: Je besser es den Menschen geht, je stärker die Wirtschaft wächst, desto mehr Kunststoff kommt zum Einsatz. Dabei sind es längst nicht nur die Verpackungen für Wurst, Käse, Butter und Joghurt, die zugenommen haben. Verstärkt worden ist der Plastiktrend auch durch die veränderte Lebensweise. Menschen greifen heute schneller zum Coffee-to-go-Becher, zum vorbereiteten Salat in der Plastikschale oder zum klein geschnittenen, abgepackten Obst.
Dabei haben die meisten Verbraucher kein schlechtes Gewissen. Schließlich sind wir Weltmeister im Mülltrennen. Glas, Papier, Bioabfälle, Plastik werden sortiert, bevor sie in der Tonne landen. Das Problem ist nur: Das heißt nicht auch, dass daraus neue Produkte werden. Bei Glas, Papier, selbst bei Dosen aus Weißblech klappt das zwar sehr gut, sie werden zu 90 Prozent recycelt. Von den Plastikabfällen werden dagegen aber nur 36 Prozent wiederverwertet. Nur ein gutes Drittel unseres Plastikmülls wird also in der Recyclinganlage zu Granulat verarbeitet, aus dem dann neues Plastik werden kann. Und auch das will längst nicht jeder Produzent haben: Zum einen ist es oft teurer, altes Plastik weiterzuverarbeiten, statt auf Basis von Rohbenzin neues zu fertigen. Zum anderen sinkt mit der Wiederverwertung die Qualität des Plastiks. Deshalb werden aus den Verpackungen, die wir in den gelben Sack werfen, im besten Fall Parkbänke oder Blumenkübel, aber selten neue Shampooflaschen. Über die Hälfte unseres Plastikmülls landet zudem schlicht in der Verbrennungsanlage. Was weder verbrannt noch aufbereitet werden kann, wird ins Ausland verkauft – aber auch das ist nicht mehr so leicht wie früher. China war zum Beispiel lange ein dankbarer Abnehmer für deutschen Plastikmüll. Aber inzwischen wissen auch die Chinesen nicht mehr, wohin mit dem Plastikresten, die man nicht wiederverwerten kann.
Die Grünen fordern eine Plastiksteuer
Um das Problem in den Griff zu bekommen, fordern die Grünen seit Längerem eine Steuer auf Plastikprodukte. Die soll Verbraucher zum Umdenken bewegen. „Kleine Stupser an der Kasse wirken Wunder“, sagt der Grünen-Politiker Sven Giegold. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) glaubt dagegen nicht, dass das etwas bringt. Sie argumentiert, man brauche „keine neue Steuer, sondern eine intelligentere Steuerung, die zu weniger Abfall und mehr Recycling führt“. Die Bundesregierung will die Recyclingquote von Plastik bis 2022 auf 63 Prozent erhöhen. Geht es nach EUKommissionsvize Timmermans, sollen 2030 alle Plastikverpackungen in Europa wiederverwertbar sein.
Damit das funktioniert, braucht man neue Kunststoffe. Solche, die sich leichter wiederverwerten lassen und bei denen die Qualität durch das Recycling nicht so drastisch abnimmt. Die EU-Komission will deshalb die Forschung finanziell fördern. Timmermans meint, dass sich das auszahlt: „Wenn wir nicht die Art und Weise ändern, wie wir Kunststoffe herstellen und verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen mehr Plastik schwimmen als Fische.“