Claus Weselsky versus Deutsche Bahn: Der ewige Streit mit der GDL
Es ist der längste Ausstand in der Geschichte der Deutschen Bahn. Und keiner der Beteiligten will Schuld daran sein. Was steckt dahinter?
Der Gewinner steht fest. „Die Anfragen nach alternativen Fernbusanbindungen steigen sprunghaft an“, hat die Reisesuchmaschine GoEuro beobachtet. Derzeit liege das Buchungsaufkommen mehr als doppelt so hoch im Vergleich zu normalen, also streikfreien Tagen. Und das wird die ganze Woche so bleiben. Streikführer Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GDL, lehnte am Montag eine Schlichtung ab. „Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten.“ Kurzum: Der Streik läuft wie angekündigt bis zum kommenden Sonntag um 9 Uhr.
Was ist die Strategie der GDL?
In solch einem Ausmaß gab es noch keinen Arbeitskampf bei der Bahn. Weselksy hat inzwischen auch keine andere Wahl mehr. Vor zwei Wochen streikten die Lokführer mit 66 Stunden im Güter- und 43 Stunden im Personenverkehr. Das war der siebte Ausstand im aktuellen Tarifkonflikt, mit dem sich Bahn und Gewerkschaft inzwischen seit rund elf Monaten beschäftigen. Es kam dann Mitte vergangener Woche wieder zu einem Spitzengespräch und einem Angebot der Bahn: Für die Beschäftigten sollte es in zwei Stufen und verteilt über mehr als zwei Jahre insgesamt 4,7 Prozent mehr Geld geben. Dieses Angebot an die GDL ähnelt dem Angebot an die Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG, die parallel über einen neuen Tarif verhandelt.
Für die GDL ist das jedoch ein Zumutung, weil die Bahn „die Unterwerfung der GDL unter die EVG“ betreibe, wie es gewohnt markig bei den Lokführern heißt. Weselsky will auf jeden Fall einen eigenständigen Tarif für seinen Mitglieder, um sich von der verhassten Konkurrenzgewerkschaft EVG abzugrenzen und abzuheben. Und deshalb ruft er jetzt seine Leute zum ganz großen Arbeitskampf. Lohnprozente, Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde sowie eine Vereinbarung über den Abbau von Überstunden stehen bei der GDL auf der Forderungsliste. Doch viel wichtiger ist der machtpolitische Ansatz: Es soll erstmals einen GDL-Tarifvertrag geben für Zugbegleiter, Bordgastronomen und Lokrangierführer, die bislang unter den Tarif der EVG fielen. Damit tut sich die Bahn schwer.
Wohin will die Bahn?
Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber will unbedingt unterschiedliche Tarife für identische Beschäftigtengruppen vermeiden. Das ist nachvollziehbar, denn andernfalls droht das Aufschaukeln der Gewerkschaften und permanente Unruhe im Unternehmen. Ganz konkreter Streitpunkt war zuletzt die Eingruppierung der so genannten Lokrangierführer, die zumeist auf Bahnhöfen die Züge bewegen. Die GDL fordert für diese Gruppe, die rund 3000 Beschäftigte umfasst, eine deutliche Lohnerhöhung, damit sie mit den anderen Lokführern gleichgestellt werden. Die Bahn aber wolle „schlechte Einkommens- und Arbeitszeitbedingungen der Lokrangierführer in dem Tarifvertrag diktieren“, klagt die GDL.
An diesem Punkt haben sich Claus Weselsky und Weber vergangenen Mittwoch verhakt. Der Personalchef weiß nicht mehr weiter und plädiert für eine „neutrale Instanz“, also ein Schlichtungsverfahren unter unparteiischer Leitung. Weselsky schwant nichts Gutes, also lehnt er das ab. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt. Es bleibt also der Bahn nichts anderes übrig, als über andere Kanäle einen Zugang zur anderen Seite zu finden.
Was tut der Beamtenbund?
Klaus Dauderstädt bedauert. In den vergangenen sechs Monaten hat der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes dbb sich immer wieder eingeschaltet, schließlich gehört die GDL zu seinem Dachverband und lässt sich die Streikkosten (pro Streiktag gibt es 75 Euro netto für einen Lokführer) zum Teil vom dbb erstatten. Inzwischen gehen dem findigen Dauderstädt jedoch die Ideen aus. Auf dem Weg zu einer Verständigung „kann es sinnvoll sein, auf einen unabhängigen Dritten zurückzugreifen“, meint der hilflose dbb-Chef. „Die Entscheidung darüber müssen Bahnvorstand und GDL treffen.“ Indes: Wenn Dauderstädt und die übrigen Mitglieder der dbb-Leitung zu dem Schluss kämen, dass der Bogen überspannt wird und die GDL keine Streikunterstützung mehr bekäme, dann würde das vermutlich die Schlichtungsbereitschaft der Lokführer deutlich erhöhen.
Wie groß ist der Schaden?
Der unendliche Konflikt mit inzwischen acht Streiks kostet die Bahn einen fetten dreistelligen Millionenbetrag. Aber damit nicht genug. „Der gesamten deutschen Wirtschaft drohen Schäden von täglich 100 Millionen Euro“, hat Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer ausgerechnet. Ähnlich äußern sich seine Kollegen aus den anderen Spitzenverbänden. Der BDI sieht den Industriestandort „massiv“ geschädigt, weil der Streik zu „leeren Lagern, unterbrochenen Wertschöpfungsketten und Produktionsausfällen“ führe.
Besonders betroffen seien die Stahl-, die chemische und die Automobilindustrie. „Wer für egoistische Einzelinteressen zentrale Teile der deutschen Infrastruktur lahmlegt, untergräbt die Akzeptanz der Tarifautonomie und ruiniert die Tarifpartnerschaft“, meint Arbeitgeberpräsident Kramer. Ökonomen zufolge haben die Lokführer sogar die Macht, das Bruttoinlandsprodukt zu drücken. „Das könnte die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,1 Prozentpunkte senken“, meinte der Chefvolkswirt von Unicredit. Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, sagte, die 200.000 Tonnen, die jeden Tag für die Branche von der Bahn transportiert würden, könnten nur teilweise auf Lastwagen oder Schiffe verteilt werden. Ärgerlich, aber halt nicht zu ändern.
Welchen Ausweg gibt es?
CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat die Lösung: Die Bahn sollte ein Innovationsprogramm für fahrerloses Zugfahren auflegen. Wenn es keine Lokführer mehr gibt, können auch keine streiken. Schöne Aussichten. Bis es soweit ist, wird Claus Weselsky noch häufiger auf den Putz hauen. Aber mit welchem Ergebnis? Einen Tarifkonflikt, vor allem einen Arbeitskampf, brechen erfahrene Tarifpolitiker erst dann vom Zaun, wenn sie eine Vorstellung haben vom Ende, dem Kompromiss.
Andernfalls kann es gefährlich werden: Mit jedem Streiktag steigen die Erwartungen der Streikenden, und die Streikführer bekommen irgendwann ihre Leute nicht mehr von den Bäumen. So sieht das derzeit bei der Bahn aus. „Der Druck in der Belegschaft steigt“, sagt Weselsky. Auf die Frage, wie es denn nun weitergehe, hat er die entlarvende Antwort parat: „Stellen Sie die Frage der Deutschen Bahn.“ Er selbst weiß nicht, wie er aus der Krawallnummer rauskommt und lästert stattdessen über den Bahn-Eigentümer Bund: „Ich dachte immer, Eigentum verpflichtet.“ Will sagen: Der Bund ist mit verantwortlich, wenn die Bahn einen Streik provoziert, der nicht nur ein paar hundert Millionen kostet sondern wieder einmal das Image der Bahn beschädigt.
Wie reagiert die Regierung?
Die große Zauderin, die Virtuosin des Wartens auf den richtigen Zeitpunkt, weist der Bahn den Weg Richtung Frieden. Natürlich ist „das Streikrecht ein verbrieftes Recht in Deutschland“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel und legitimiert so den Arbeitskampf der Lokführer, in den sich auf keinen Fall einmischen möchte. Ganz vorsichtig spricht sie die Notwendigkeit einer Schlichtung an. Aber alles zu seiner Zeit.
Tatsächlich brauchen die Irrläufer bei der Bahn jetzt wohl eine Woche Krawall: Danach haben die einen ihr Mütchen gekühlt und gezeigt, zu was sie imstande sind. Die anderen kommen endlich durch mit ihrer Schlichtung, die hoffentlich die Kombattanten aus der Sackgasse führt. Und dann fährt die Bahn wieder. Bis zum nächsten Mal. Abgesehen vom aktuellen Konflikt und unabhängig vom Gesetz über die Tarifeinheit sollten sich die Betriebsparteien bei der Bahn etwas einfallen lassen. Wenn Vorstand, EVG und GDL nicht verantwortlich zusammenarbeiten, gibt es bald den nächsten Großkonflikt.