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Ohren zu und durch. Horst Seehofer muss am Sonntagmittag an Gewerkschaftern vorbei, die vor dem Kongresshotel am Templiner See für mehr Geld protestieren. Bis zum Dienstag soll ein Tarifkompromiss für den öffentlichen Dienst gefunden werden.
© dpa

Tarifstreit im Öffentlichen Dienst: Der dritte Versuch soll sitzen

Bei den Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst ist erstmals Innenminister Horst Seehofer dabei. Ein Abschluss für die 2,3 Millionen Beschäftigten wird für Dienstag erwartet.

Die große Unbekannte in den Verhandlungen trägt einen prominenten Namen: Horst Seehofer. Der Bundesinnenminister hat keine Ahnung vom Tarifgeschäft und kam am Sonntagmittag als Quereinsteiger zur dritten Tarifrunde nach Potsdam. Die ersten beiden Termine fanden im Februar und März wegen der zähen Regierungsbildung ohne Minister statt. Der dritte Versuch soll jetzt sitzen: Gewerkschaften und Arbeitgeber haben sich Zimmer im Kongresshotel bis Dienstag reserviert. Dann soll der Abschluss mit den Entgelterhöhungen für gut 2,6 Millionen Beschäftigte sehen.

„Horst Seehofer kann den Knoten durchschlagen“, meint Ulrich Silberbach, der Vorsitzende des Beamtenbundes. Silberbach, im November ins Amt gewählt, ist ebenso wie Seehofer nur Statist in Potsdam. Geführt werden die Verhandlungen von Verdi-Chef Frank Bsirske und Thomas Böhle, ehrenamtlicher Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und Kreisverwaltungsreferent in München. SPD-Mitglied Böhle wird jedoch mit Seehofer über Bande spielen müssen und eine gemeinsame Arbeitgeberposition vertreten.

Böhle und Bsirske verhandeln zum neunten Mal

Böhle und Bsirske kennen und vertrauen sich seit Jahren. Die diesjährige Tarifrunde ist ihre neunte, und man kann davon ausgehen, das beide am Sonntag eine Ahnung davon hatten, wie das Ergebnis am Dienstag aussehen wird. Sofern Seehofer nicht querschießt.

Weder für Böhle noch für Silberbach gab es die Gelegenheit, sich vor dem Sonntag mit dem Innenminister auszutauschen. Seehofer stehe eh nicht im Stoff, wurden entsprechende Anfragen im Ministerium abschlägig beschieden. Mit Bsirske gab es dann am Freitag immerhin ein Telefonat. Offenbar hat dabei Seehofer Zahlungsbereitschaft angedeutet: „Bei den Signalen, die ich empfange, sollte es gelingen können, zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen“, sagte Bsirske am Wochenende dem „Handelsblatt“. Und Seehofer ließ mitteilen: „Es ist selbstverständlich, dass wir die Arbeit unserer Beschäftigten würdigen, auch dadurch, dass sie an der guten wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands teilhaben.“ Doch selbstverständlich sei die Gewerkschaftsforderung von sechs Prozent bei einer Laufzeit des neuen Tarifvertrags von nur einem Jahr „zu hoch“.

Sechs Prozent werden gefordert

Verdi, Beamtenbund und die Gewerkschaften der Polizisten und Lehrer fordern sechs Prozent, mindestens aber 200 Euro pro Monat für die 2,3 Millionen Beschäftigten, von denen der ganz überwiegende Teil bei den Kommunen arbeitet; dazu kommen mehr als 300.000 Beamte, auf die der Abschluss übertragen werden soll. Wenn die Forderung 1:1 umgesetzt würde, kostet das die Kommunen 6,5 Milliarden Euro im Jahr. Das klingt viel, doch im vergangenen Jahr übertrafen die Einnahmen der Kommunen die Ausgaben um 10,7 Milliarden Euro. Und in diesem Jahr kommen mindestens vier Milliarden Euro mehr an Steuern und Gebühren rein als 2017. Geld ist also vorhanden – doch die Kommunen sind mit 141 Milliarden Euro verschuldet und der Investitionsrückstau liegt bei 126 Milliarden Euro.

In den vergangenen Jahrzehnten ging es vor allem ostdeutschen Städten und Gemeinden schlecht, inzwischen spricht Böhle von einer „Nivellierung im Elend“: In NRW, im Saarland oder in Rheinland- Pfalz „geht es vielen Kommunen dreckig“, sagt Böhle; auf die müsse der Flächentarif Rücksicht nehmen.

Überall fehlt es an Personal

Die Gewerkschaften wiederum führen die Nachwuchsprobleme und die Einkommen in der Wirtschaft an. Bei den Tariflöhnen liege die Gesamtwirtschaft gut vier Prozent vor dem öffentlichen Dienst, auch habe der Staat zunehmend Probleme bei der Personalfindung. Der Beamtenbund spricht von 200 000 nicht besetzten Stellen, vor allem auch in der Kinderbetreuung. Verdi argumentiert mit der Demografie: In den nächsten zehn Jahren gehen rund 45 Prozent der Kommunalbeschäftigten in Rente. Wer soll die ersetzen? Und wie besteht der öffentliche Dienst den Wettbewerb um Hochqualifizierte? Derzeit fehlen Ingenieure und IT-Kräfte an allen Ecken und Enden.

An dieser Stelle haben Arbeitgeber und Gewerkschafter ein gemeinsames Interesse, das sich dann auch in der Struktur des Tarifabschlusses spiegeln wird. Für Berufsanfänger – auch Azubis – und für Hochqualifizierte wird es wohl deutlich mehr Geld geben. Problematisch ist der Mindestbetrag von 200 Euro im Monat, von dem die unteren Einkommensgruppen überdurchschnittlich profitieren und der in diesem Bereich sogar zu einer durchschnittlichen Erhöhung um neun Prozent führen würde. Bsirske will keinen Abschluss unterschreiben ohne Mindestbetrag, denn in den unteren Lohngruppen – dazu gehören etwa Busfahrer – hat Verdi die meisten Mitglieder.

Eine lange Laufzeit ist hilfreich

Die VKA warnt, das Lohnniveau im öffentlichen Dienst für gering Qualifizierte sei „bereits deutlich zu hoch“ und provoziere eine Auftragsvergabe an Dritte. Doch Böhle weiß auch, dass er Bsirske entgegenkommen muss. Seehofer ist es egal: Untere Einkommensgruppen gibt es auf der Bundesebene nicht. Am Ende werden alle Beteiligten ihre Belange in einem Kompromiss wiederfinden, indem der neue Tarif über zwei Jahre läuft und somit genug Zeit lässt für Einkommenserhöhungen in zwei Stufen und Zuschläge für bestimmte Gruppen.

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