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Container-Terminal in Hamburg
© dpa

Deutschlands Exportstärke: "Den Stärksten zu schwächen, stärkt nicht die Schwachen"

Der deutsche Exportüberschuss ist auf ein neues Rekordhoch geklettert, was international wieder viel Kritik hervorrufen dürfte. EZB-Präsident Draghi nimmt die Bundesrepublik in Schutz. Mit dem Handelsüberschuss könnte es ohnehin bald vorbei sein.

Die Ausfuhren übertrafen die Einfuhren im September um 20,4 Milliarden Euro, teilte das Statistische Bundesamt am Freitag mit. “Der bisher höchste Ausfuhrüberschuss wurde im Juni 2008 mit 19,8 Milliarden Euro erzielt“, hieß es. Während die Exporte wegen der steigenden Nachfrage aus Europa um 3,6 Prozent zum Vorjahresmonat auf 94,7 Milliarden zulegten, fielen die Importe um 0,3 Prozent auf 74,3 Milliarden Euro.

"Die neuen Zahlen dürften Öl ins Feuer gießen"

Das US-Finanzministerium hatte erst vor wenigen Tagen die Konzentration Deutschlands auf die Exportwirtschaft kritisiert. “Die neuen Zahlen dürften Öl ins Feuer gießen“, sagte der Chefvolkswirt von HSBC Trinkaus, Stefan Schilbe. Beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht man das gelassen. “Die Exporte laufen den Importen nur voraus“, sagte DIHK-Außenhandelschef Volker Treier. “Die Unternehmen wollen mehr investieren, deshalb werden wir künftig mehr Waren aus dem Ausland beziehen, was den Überschuss wieder drücken wird.“

Trotz der Zuwächse im August und September lägen die deutschen Ausfuhren im Jahresverlauf noch unter dem Vorjahresniveau, erklärte auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Freitag in Berlin. Zwar gehe die Industrie davon aus, dass sich die Ausfuhren auch in den nächsten Monaten weiter gut entwickelten. Das Plus im laufenden Jahr bleibe aber unter den Erwartungen.

Exportüberschuss Ergebnis von "innovativen Produkten"

Zur jüngsten Kritik an der Exportstärke Deutschlands erklärte der BDI, diese sei „das Ergebnis von innovativen Produkten, die in der ganzen Welt beliebt sind und gekauft werden“. Dahinter steckten eine starke industrielle Basis und ein global ausgerichteter Mittelstand. Auch die Industrie in den anderen EU-Staaten profitiere von den deutschen Exporterfolgen.

Auch der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, verteidigte die Deutschen. “Wir müssen sicherstellen, dass die anderen Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, damit sie so wettbewerbsfähig werden wie Deutschland“, sagte Draghi am Donnerstagabend in Hamburg. "Den Stärksten zu schwächen, stärkt nicht die Schwachen", fügte er hinzu. Kritiker wie die USA werfen Deutschland hingegen vor, die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Stabilisierung der Euro-Zone hilft

Die Nachfrage nach deutschen Waren zog in allen wichtigen Regionen an. Am kräftigsten legten die Exporte in die EU-Länder zu, die nicht zur Euro-Zone zählen: Hier gab es ein Plus von 7,2 Prozent. Die Ausfuhren in die Euro-Zone legten um 4,4 Prozent zu, die nach Übersee um 1,2 Prozent.

“Der Exportmotor ist jetzt richtig angesprungen“, sagte Treier. “Europa ist aus dem Gröbsten heraus, das kommt uns nun zugute.“ In den ersten neun Monaten verkauften die Unternehmen wegen des schwachen Waren im Wert von 818 Milliarden Euro ins Ausland - 0,9 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Der DIHK halbierte deshalb seine Prognose gekappt: Statt der ursprünglich erwarteten zwei Prozent soll es nur noch ein Plus von einem Prozent geben, sagte Treier.

Im September stiegen die Exporte um 1,7 Prozent zum Vormonat, nachdem sie zuvor vier Monate in Folge gefallen waren. Von Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Plus von 0,5 Prozent gerechnet. “Offenkundig macht sich die Stabilisierung der Euro-Zone für die deutschen Exporteure bezahlt“, sagte Ökonom Schilbe. Diese hatte im Frühjahr die längste Rezession ihrer Geschichte beendet.

EU-Kommission zieht keine unmittelbaren Konsequenzen

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Die EU-Kommission zieht keine unmittelbaren Konsequenzen aus dem deutschen Rekord-Überschuss.“Wir nehmen die am Freitag veröffentlichten Zahlen natürlich zur Kenntnis“, teilte der Sprecher von EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn mit. In die Untersuchung über wirtschaftliche Ungleichgewichte in einzelnen EU-Staaten würden aber eine Reihe von Indikatoren einfließen, die man über Jahre hinweg betrachte. Die Exportzahlen seien einer der Indikatoren.

Leistungsbilanzüberschüsse dürfen nach den Vorgaben des Verfahrens zur “Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“ im Schnitt von drei Jahren maximal sechs Prozent betragen. Die Kommission will am Mittwoch Details zu ihren Untersuchungen vorlegen. Dann wird auch klar, welche Staaten mit einer eingehenden Analyse rechnen müssen.

Rehn hatte am Dienstag erklärt, er rechne auch in den kommenden Jahren mit einem Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz von über sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. Der EU-Kommissar vermied es jedoch, daraus eine drohende Rüge mit möglichen Strafverfahren für Deutschland abzuleiten.

Handelsüberschüsse könnten in 15 Jahren verschwunden sein

Deutschland wird dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge in einigen Jahren keine Exportüberschüsse mehr erzielen. “In etwa 15 Jahren könnten sie verschwunden sein“, sagte ZEW-Ökonom Marcus Kappler am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. Ein Grund dafür sei die Demografie. “Wir werden schon in einigen Jahren deutlich weniger Erwerbstätige haben“, so Kappler.

“Dadurch wird Deutschland auch weniger exportieren können.“ Gleichzeitig gingen die geburtenstarken Jahrgänge allmählich in Rente. “Wir werden also künftig deutlich mehr Rentner haben“, erklärte der Experte, der für das Bundesfinanzministerium in Zusammenarbeit mit der Universität Ulm eine Studie zum Thema verfasst hat. “Deren Konsum wird durch höhere Importe von Waren und Dienstleistungen gedeckt.“

Auch die Verlagerung von Produktionsstätten deutscher Unternehmen ins Ausland könnte dazu beitragen, dass dort produziert wird, wo die Nachfrage hoch ist und es tendenziell auch bleibt. Etwa in China: Allein Volkswagen will in diesem Jahr dort fünf neue Werke eröffnen und hätte dann insgesamt 17 in dem riesigen Reich. Die Folge: In Deutschland findet allenfalls noch die Entwicklung statt, der größte Teil der Wertschöpfung aber nicht mehr. (AFP/dpa/Reuters)

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