Weltwirtschaftsforum: Davos diskutiert Folgen der Digitalisierung
Maschinen statt Menschen: In den nächsten fünf Jahren könnten fünf Millionen Arbeitsplätze durch die Automatisierung verschwinden. Vor allem Schreibtischjobs.
Lkw fahren. Essen servieren. Im Supermarkt kassieren. Was früher selbstverständlich Menschen übernommen haben, wird zunehmend die Aufgabe von Maschinen: von intelligenten Robotern und Automaten. Einerseits ist das Fortschritt. Andererseits stellt das aber auch die Arbeitswelt auf den Kopf.
Allein in den Industriestaaten könnten aufgrund der stärkeren Automatisierung und Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren fünf Millionen Arbeitsplätze verschwinden. Zu dem Schluss kommt eine Studie, die das Weltwirtschaftsforum WEF jetzt vorgelegt hat. Deren Chef, Klaus Schwab, spricht von der „vierten industriellen Revolution“, die „dramatische Auswirkungen auf politische, soziale und wirtschaftliche Systeme hat“. Deshalb hat er das Thema ins Zentrum des diesjährigen Treffens der führenden Wirtschaftsbosse und Politiker in Davos gestellt.
Für die Studie haben die Autoren gegengerechnet, wie viele Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz, Roboter, 3-D-Druck oder Fortschritte in der Biotechnologie entstehen und wie viele wegfallen. 7,1 Millionen Jobs, die nicht mehr gebraucht würden, stehen demnach gerade einmal 2,1 Millionen neugeschaffene Arbeitsplätze gegenüber. Zwar müssen die Maschinen entwickelt, programmiert, gewartet werden. Doch dafür sind weniger Menschen nötig.
In den USA ist jeder zweite Job bedroht
Das bestätigt auch Oxford-Professor Carl Frey. „Die vierte industrielle Revolution hat bislang sehr wenige Jobs direkt geschaffen“, sagte er dem Tagesspiegel. Mit seinem Kollegen Michael Osborne gelangt er in einer Studie zu dem Schluss: Allein in den USA könnte durch die Digitalisierung fast die Hälfte aller Jobs auf dem Spiel stehen. Auch wenn sie nicht komplett untergehen, würde sich ihr Anforderungsprofil stark ändern.
Und das trifft längst nicht nur die Industrie, in der Roboter Arbeiter in der Fertigung ersetzen. Der WEF-Studie zufolge sind es vor allem Schreibtischjobs, die auf dem Spiel stehen – und zwar immer dann, wenn es um Routinetätigkeiten geht. Klar wird das am Beispiel des Rechtsanwalts. So gibt es schon jetzt Programme, die Berge von Akten nach Argumenten durchsuchen. Andere spucken Standardverträge aus. Die Folge: Am Ende braucht man für die gleiche Arbeit viel weniger Rechtsanwälte als heute.
Das Beispiel lässt sich auf viele andere Berufe übertragen. Buchhaltung oder Anlageberatung übernehmen zunehmend Maschinen. Setzt sich das selbstfahrende Auto durch, braucht man auch keine Lastwagen-, Bus- oder Taxifahrer mehr. Roboter steigen zudem in die Servicebranche ein, versorgen Kranke oder servieren im Restaurant das Essen. WEF-Chef Schwab ist überzeugt, kaum eine Branche werde von der Digitalisierung nicht erfasst.
Die Arbeitsagentur in Nürnberg ist gelassen
Deshalb warnt er: Sollten die Staaten nicht reagieren, seien wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit die Folge. Manche Forscher halten das jedoch für übertrieben. Befürchtungen eines massiven Arbeitsplatzabbaus seien „derzeit eher unbegründet“, heißt es beim Institut für Arbeit und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.
In einer eigenen Untersuchung gehen die IAB-Forscher davon aus, dass hierzulande ein Sechstel der Beschäftigen ihre Arbeit an Computer und Maschinen verlieren könnten. Dabei müsse man jedoch verstehen, was volkswirtschaftlich passiert, sagt Enzo Weber vom IAB. „Der technologische Fortschritt verändert die Produktion fortwährend: Betriebe kaufen neue Maschinen, die auch jemand warten muss. Die Produktivität steigt, Produkte werden günstiger, das schafft neue Nachfrage.“
Sascha Stowasser, Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft in Düsseldorf, sieht das ähnlich: „Aktuell gibt es keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über die tatsächlichen Auswirkungen der digitalen Revolution“. Zudem werde die Zahl der Erwerbsfähigen in alternden Gesellschaften wie den westlichen Industriestaaten trotz Zuwanderung um bis zu sieben Millionen zurückgehen.
Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), sagt, man müsse die Chancen der Digitalisierung in den Mittelpunkt stellen – allerdings müsse man auch die Arbeitnehmer mitnehmen. Damit stehen die Arbeitgeber in seltener Eintracht Seit’ an Seit’ mit den Gewerkschaften. Es gehe darum, alle Chancen zu nutzen, sagt auch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, „um die Risiken durch intelligente Bildungs- und Qualifizierungspolitik sowie die Beteiligung der Beschäftigten in den Griff zu bekommen.“