Adressenhandel: Datenhändler werden überall fündig – auch bei Ämtern
Ob von Facebook oder der Deutschen Post: Adressen und persönliche Informationen sind für Unternehmen wertvoll. Kontrollieren lässt sich der Datenfluss kaum.
Werbung ist ein jahrtausendealtes Geschäft. Wie archäologische Funde in den Ruinen von Pompeji zeigten, kannten bereits die Römer kommerzielle Reklametafeln. Über die Jahrhunderte folgten Flugblätter, Litfaßsäulen und TV-Spots. Sie verbreiteten ihre Botschaft ungefiltert, alle Betrachter konnten potenzielle Kunden sein.
In den vergangenen Wochen rückte mit dem Facebook-Skandal sowie dem Daten-Deal zwischen deutschen Parteien und der Post eine neue Form der Werbung in den Fokus: Das sogenannte Mikrotargeting. Reklame für Zielgruppen gab es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, als Werbetreibende begannen, soziale Schichten gezielt anzusprechen. Durch geschicktes Zusammenführen von Daten und Statistiken wurden Streueffekte minimiert und immer detailliertere Profile für Kundengruppen geschaffen.
Parteien wissen, wo Wechselwähler wohnen
Heute können Hersteller von Luxusprodukten gezielt in wohlhabenden Gegenden werben und Parteien Wahlkämpfer dort einsetzen, wo eine hohe Wechselwählerschaft lebt. Barack Obama setzte Mikrotargeting im US–Wahlkampf 2008 erstmals prominent in der Politik ein. Die erhöhte Effizienz und Effektivität der Strategie basieren auf einem komplexen Verfahren. Umfassende statistische Analysen formen einzelne Zielgruppen aus der Grundgesamtheit der Bevölkerung. Die Datenbanken bedürfen einer intensiven Pflege: In Deutschland ziehen acht Millionen jährlich um, eine Million Menschen sterben.
Unternehmen greifen darum auf die Dienste von Adresshändlern zurück. Weltweit sammeln Spezialisten Daten, ordnen diese und verwenden sie im Sinne ihrer Kunden, um die Bevölkerung zu analysieren. Das ist in Deutschland legal, aber zunehmend umstritten. CDU und FDP kauften straßengenaue Analysen zu potenziellen Wählern.
Die Deutsche Post Direkt GmbH verfügt über Informationen zu rund 37 Millionen Adressen mit insgesamt einer Milliarde Einzelinformationen. Darunter Angaben zu Kaufkraft, Geschlecht, Alter, Bildung, Familie, Wohnsituation und Pkw-Besitz. Die Parteien sollen allerdings nur Informationen zu sogenannten „Mikrozellen“ erhalten haben, also zusammengefassten Haushalten in einer Straße.
Auch Ämter geben Daten heraus
Zur Datenbeschaffung greifen Adresshändler vor allem auf öffentliche Quellen zurück: Statistiken zu Wahlergebnissen, Anzahl der Kirchenmitglieder oder die Arbeitslosenquote. Auch Einwohnermeldeämter dürfen personenbezogene Daten zu Werbezwecken für den Adresshandel an Unternehmen weitergeben. Ebenso das Statistische Bundesamt oder das Kraftfahrtbundesamt. Zudem hinterlässt jeder Nutzer in der digital vernetzten Gesellschaft Spuren. Beim Onlinehändler, bei Gewinnspielteilnahmen und in sozialen Netzwerken.
Wie dienlich Facebook als Quelle für Datenhändler sein kann, zeigte sich jüngst im Fall des Datenskandals um Cambridge Analytica. Prognosen erwarten, dass in den kommenden Jahren mehr als die Hälfte der Deutschen im sozialen Netzwerk vertreten sein werden. Inklusive freiwilliger Angaben zu Wohnort, Hobbys oder Musikgeschmack. Markus Beckedahl, Chefredakteur des Blogs Netzpolitik.org, beobachtet das Thema Mikrotargeting schon länger. Er verstehe zwar, dass Unternehmen Streuverluste bei Werbetätigkeiten vermeiden wollen. „Die Gesellschaft muss sich aber die Frage stellen, wo unsere ethischen Grenzen liegen“, sagt er.
Privatadressen auswählen und downloaden
Es sei derzeit nicht zu kontrollieren, was mit den herausgegebenen Daten geschehe, sagt Beckedahl: „Wahlkämpfer können an der Haustür die Daten abgleichen und durch das Eingeben weiterer Informationen personenbezogene Profile über die Wähler erstellen."
Wie maßgeschneidert Datensätze mittlerweile sind, beweist Schober, der Marktführer im deutschen Targetingmarkt. Seit 1947 bietet die Firma aus dem baden-württembergischen Ditzingen-Hirschlanden ihre Dienste an. In seinem Adressshop wirbt das Unternehmen: „Privat-Adresse: Einfach auswählen und downloaden.“ In einer Maske können Alter, Geschlecht, Kaufkraft, Wohnlage und Postleitzahl eingegeben werden.
Anschließend lässt sich eingrenzen, ob die potenziellen Kunden Interesse an Oberklasse-Autos, Kosmetik oder Unterhaltungselektronik haben sollen. Hier werden persönliche Kontaktdaten herausgegeben, jede vermittelte Adresse kostet 1,16 Euro. Zu den Kunden von Schober gehören Volkswagen, Telekom und Facebook. Auch Medienhäuser wie der Tagesspiegel greifen auf die Dienste zurück.
Der Datenschutzbeauftragte der Schober Information Group Deutschland, Peter Ambrus, hat Verständnis für die Kritik am gläsernen Bürger. Es gebe aber auch ein berechtigtes Interesse der Werbewirtschaft an personenbezogenen Daten. Er verweist darauf, dass sich sein Unternehmen im Rahmen der geltenden Rechtsgrundlage bewegt. Personen, deren Daten nicht verwendet werden sollen, könnten widersprechen: „Die Rechte von Verbrauchern sind in Deutschland gut ausgeprägt.“