Unruhe im deutschen Autoverband VDA: Das war’s für den Autopräsidenten
Kein deutscher Lobbyist ist mächtiger als er. Doch der Einfluss von Matthias Wissmann bröckelt. Autobosse und Politiker blicken längst nach vorne.
Wenige Tage bevor Matthias Wissmann im Jahr 2007 das Amt des Autopräsidenten antrat, verabschiedete er sich von Freunden und Weggefährten im Parlament. Der frühere Verkehrs- und Forschungsminister, der 31 Jahre für die CDU im Bundestag gesessen hatte, lud in die Parlamentarische Gesellschaft. Zahlreich erschienen die Gäste, auch Angela Merkel kam vorbei, um ihrem Duzfreund eine glückliche Hand an der Spitze des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA) zu wünschen. Vom Balkon, auf dem heute die Jamaika- Sondierer in die Kameras winken, blickte man auf das frühsommerliche Regierungsviertel. Der Autopräsident und die Kanzlerin, einst beide am Kabinettstisch von Helmut Kohl – sie stießen an auf die Fortsetzung ihrer gedeihlichen Zusammenarbeit.
Es folgte eine Dekade erfolgreichen Lobbyings, das glücklichste Jahrzehnt in der Geschichte der deutschen Automobilindustrie. Doch gut zehn Jahre nach der Berliner Party ist der Wind nicht nur auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft rauer geworden. Auch das Klima zwischen Wissmann und Merkel ist abgekühlt. Die Diesel- Affäre, ein missglückter Auto-Gipfel, die Kartellvorwürfe, drohende Fahrverbote und verfehlte CO2-Ziele belasten das Verhältnis. Die wichtigste deutsche Industriebranche mit mehr als 800 000 Beschäftigten ist unter Generalverdacht geraten.
Und Matthias Wissmann, ihr mächtiger Lobbyist, steht wieder vor einem Abschied. Das wäre nicht weiter der Rede wert, denn der Vertrag des 68-Jährigen läuft 2018 ohnehin aus. Doch der lange unumstrittene Wissmann steht schon seit Monaten, gut ein Jahr vor seinem offiziellen Amtsende, unter Beschuss. Die Autobosse, die im Verband das Sagen haben, haben sich dem Vernehmen nach bereits auf einen Nachfolger geeinigt: Bernhard Mattes (61), Präsident der amerikanischen Handelskammer in Deutschland und früherer Ford-Deutschland-Chef, soll im kommenden Jahr an die Spitze des VDA rücken. Dessen Vizepräsident war er vor einigen Jahren schon einmal.
Offiziell will sich niemand zu den Personalien und ihren Hintergründen äußern. Wissmann selbst sagte in der vergangenen Woche lediglich, die Entscheidung über seinen Nachfolger werde „im nächsten Jahr“ fallen. Auf der jüngsten Sitzung des VDA-Vorstands sei diese Frage kein Thema gewesen. Sein Vertrag laufe bis Frühjahr 2018, danach werde er „keine weitere Runde mehr drehen“.
Nicht alle im VDA-Vorstand sind darüber unglücklich. Vor allem in Stuttgart, beim Daimler- Konzern, ist man schon länger mit dem Autopräsidenten unzufrieden. Aber auch in Wolfsburg, bei Volkswagen, hat man sich mehr Rückendeckung aus Berlin beim „Diesel-Thema“ versprochen. Angekreidet wird Wissmann, dass er trotz seiner glänzenden Kontakte ins Kanzleramt und in die Ministerien nicht verhinderte, dass die politische Stimmung in Berlin und in der Öffentlichkeit umschlug – gegen die Autokonzerne.
„Kein Kommentar“, heißt es dazu bei Daimler. Der Autobauer würde die Berliner Verbandspersonalie am liebsten als Angelegenheit des VDA betrachten. Stuttgart ist nicht Berlin. Von Verstimmungen zwischen Vorstandschef Dieter Zetsche und Wissmann – keine Spur. Alles Interpretation der Medien. Doch das Schweigen lässt sich auch anders deuten: Nur kein Öl mehr ins Feuer gießen. Denn im Sommer wurde es schon einmal zu heiß zwischen Zetsche und Wissmann.
"Surfen in rechtlichen Grauzonen"
Der VDA-Präsident hatte im Kontext der Kartellvorwürfe gegen BMW, Daimler und den VW-Konzern erklärt: „Aus Sicht des VDA und seiner über 600 Mitglieder sind illegale Absprachen ebenso wie ein Surfen in rechtlichen Grauzonen inakzeptabel.“ Wissmann rief in einer Mitteilung, die nicht mit den Unternehmen abgestimmt war, zu „mehr Selbstreflexion“ auf, zur „Rechtstreue“ und „Null-Fehler-Toleranz für Compliance“. Der sonst um Diplomatie bemühte Lobbyist, der nicht einmal das Wort „Volkswagen“ in den Mund nahm, wenn es um Dieselgate ging, wagte eine Selbstverständlichkeit. Zetsche brachte sie gleichwohl auf die Palme. „Ich war überrascht über diese Stellungnahme“, kommentierte der Daimler-Chef auf einer Pressekonferenz Wissmanns Äußerungen. Ein Affront. „Das war vernichtend, ein ,No-Go‘ “, sagt ein Industrievertreter. „Normalerweise klärt man das am Telefon, doch Zetsche – immerhin VDA-Vizepräsident – wollte die öffentliche Eskalation.“ Der Schlag saß: Kurz vor der Internationalen Autoausstellung (IAA) im September machte das Gerücht die Runde, die Autobosse wollten Wissmann entmachten und vorzeitig auswechseln. Dabei hatten sie ihn noch vor anderthalb Jahren gedrängt, seinen Vertrag um zwei Jahre zu verlängern. „Im Sturm“ werde er nicht von Bord gehen, hatte Wissmann schließlich trotz anderer Pläne eingewilligt. Nun also sollte er dennoch vorzeitig abserviert werden?
„Das hat ihn nicht kalt gelassen“, heißt es in seinem Umfeld. Als das Gerücht in der Welt war, griff Wissmann zum Telefon, um sich persönlich bei den Chefs von BMW, Daimler und Volkswagen zu versichern, dass sie hinter ihm stünden. Tatsächlich rissen sich die Bosse noch einmal zusammen und dementierten die Entmachtungsabsichten. Während Daimler und Volkswagen ihre Sprecher vorschickten, sprach BMW-Chef Harald Krüger Wissmann persönlich das Vertrauen aus. „Einer musste den Treueschwur leisten“, sagt einer der Beteiligten. Ausgerechnet Krüger, dem nachgesagt wird, er sei stinksauer auf Zetsche und VW-Chef Matthias Müller, die sich im Kartell-Fall mit Selbstanzeigen und zulasten von BMW aus der Affäre zu ziehen versuchen.
Beim Diesel-Gipfel preschte der VDA vor
Doch die konzertierte Aktion half nichts. Der Stuhl von Matthias Wissmann war angesägt. Bitter für ihn, den politisch Sozialisierten und „Konsensmenschen“, wie ein Beobachter sagt: Auch in der Politik schwindet der Rückhalt. Was die Konzerne vermissen – mehr Rückendeckung bei den politisch sensiblen Themen –, wird Wissmann von Politikern vorgehalten. Zu wenig Selbstkritik, zu viel Konzernprosa. Der bis dato geschickte Interessenvertreter kann es offensichtlich trotz seiner Erfolge niemandem mehr recht machen. So steigt das Fehlerrisiko. Wie etwa beim Diesel-Gipfel im August, als der VDA noch vor dem Ende des Treffens eine Pressemitteilung mit Ergebnissen veröffentlichte, die bestenfalls vorläufig waren. Eine Rüge der Bundesumweltministerin folgte. Wissmann, das zeigte sich spätestens auf dem Gipfel, hat das Glück verlassen.
Kann Bernhard Mattes den Schaden reparieren? In der Industrie wird seine Nominierung als „Signal nach innen“ gewertet. „Es zeigt, wo der VDA die größten Probleme sieht und wo Mattes Akzente setzen muss.“ Die Konzerne, die sich mit der größten Transformation ihrer Geschichte ins digitale und elektromobile Zeitalter schwertun, brauchen einen neuen Moderator. Als „überzeugend und fair“ wird Mattes denn auch in der Branche beschrieben. Und der gebürtige Wolfsburger könnte einen neuen Stil mitbringen: „Er hat keine präsidialen Allüren“, heißt es bei einem Autobauer. „Wir haben kein Problem mit ihm.“ Dass Mattes in Berlin und Brüssel nicht so gut vernetzt ist wie sein Vorgänger, wird nicht als Nachteil gewertet. „Wenn der VDA-Präsident anruft, hebt jeder Politiker ab – egal ob er ihn kennt oder nicht“, heißt es selbstbewusst bei einem Verbandsmitglied. Auch die Befürchtungen, der frühere Ford-Chef werde als VDA-Präsident mehr die Interessen der Autokonzerne im Blick haben als die der Zulieferer, seien übertrieben. „Die VDA-Geschäftsführer kommen alle aus dem Zulieferbereich und sind mächtig genug.“
Von Vorteil sei in jedem Fall, dass nicht wieder ein „abgehalfterter Politiker“ an die VDA-Spitze rücke, dessen Biografie womöglich mit „politischen Leichen“ gepflastert sei. „So kann man als Industrie auch leichter auf Parteien wie die Grünen zugehen“, sagt ein Branchenvertreter. Wer weiß schon, mit wem man es im Bundesverkehrsministerium künftig zu tun haben wird!?
Henrik Mortsiefer