Für 2020 sieht es mau aus: Das sind die fünf größten Baustellen der deutschen Wirtschaft
Die Industrie in der Krise, die Banken zu schwach: Wo die Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten Nachholbedarf sehen. Ein Überblick.
„Die Wirtschaft ist im Abschwung“, sagt der Sachverständigenrat und rechnet für 2019 nur mit 0,5 Prozent Wachstum. Auch 2020 bleibt es mau. Ein Überblick, an welchen Stellen es überall schief läuft:
Die Schwäche der Industrie
Die Industrie – einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland – steckt in der Krise. Der Abwärtstrend halte an, schreiben die Sachverständigen. Waren davon zunächst vor allem die Autobauer und die Chemieindustrie betroffen, sinken mittlerweile auch im Maschinenbau die Aufträge. Die Branche spürt die Zurückhaltung der Unternehmen, die aufgrund des Handelsstreits, der mauen Weltwirtschaft und des Brexits den Kauf neuer Maschinen hinten anstellen.
Und die Wirtschaftsweisen machen wenig Hoffnung auf Besserung: „Der Auftragseingang deutet nicht auf eine schnelle Besserung in der Industrie hin.“ Dass Deutschland trotzdem bislang nicht in die Rezession gerutscht ist, liegt nach Ansicht der Sachverständigen daran, dass es anderen Branchen noch gut geht: dem Bau, den Dienstleistungen, dem Handel. Auch deshalb hält der Sachverständigenrat bislang kein Konjunkturprogramm für notwendig.
Langfristig aber sehen die Experten Handlungsbedarf, damit der Strukturwandel in der Industrie gelingt: zum Beispiel die stärkere Vernetzung von Maschinen oder der Umstieg auf die Elektromobilität. Christoph M. Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats, sagt, Deutschland müsse seine Wirtschafts- und Industriepolitik zwar nicht neu erfinden, aber doch weiterentwickeln. Die Wirtschaftsweisen halten es zum Beispiel für falsch, einzelne Wirtschaftsbereiche und Unternehmen zu subventionieren. Damit spielen sie auf die Industriestrategie von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) an, der das Überleben von Konzernen wie Siemens oder ThyssenKrupp zum „nationalen Interesse“ erklärt hatte. Statt einzelne Technologien oder Konzerne zu fördern, plädiert der Sachverständigenrat dafür, mehr auf Grundlagenforschung zu setzen. Schließlich kann der Staat kaum beurteilen, welche Technologie sich am Markt durchsetzt.
Weniger Gründungen
Angesichts des digitalen Wandels ist das ein Weckruf: Die Unternehmensdynamik geht in Deutschland zurück. Seit der Jahrtausendwende sind die Betriebsgründungen um mehr als ein Drittel eingebrochen, schreiben die Sachverständigen. Schlecht ist das, weil junge Unternehmen meist produktiver sind. Sie bringen mehr Innovationen auf den Markt. Außerdem schaffen sie Arbeitsplätze.
Als Problem macht der Sachverständigenrat unter anderem die Finanzierungsschwierigkeiten aus. Zwar steigt auch hierzulande die Zahl der Wagniskapitalgeber, die jungen Firmen auch schon dann Kredit geben, wenn Banken das Risiko noch zu groß ist. Im Vergleich zu anderen entwickelten Volkswirtschaften schneidet Deutschland dabei aber noch immer schlecht ab. Zahlen der KfW zufolge fehlen jährlich 500 bis 600 Millionen Euro für die Gründung und die frühe Wachstumsphase von Start-ups.
Laut Sachverständigenrat liegt das auch daran, dass es hierzulande anders als im Ausland keine großen Pensionsfonds gibt, die als Investoren bereitstehen. Dazu kommt, dass der Markt für Börsengänge in Deutschland sehr viel kleiner ist als im Ausland. Auch das hemmt die Finanzierung, weil Investoren lieber in junge Firmen einsteigen, wenn sie die Chance sehen, dass sie einmal an die Börse gehen könnten und sie ihren Anteil dann mit Gewinn verkaufen könnten.
Helfen kann nach Ansicht der Wirtschaftsweisen eine noch stärkere öffentliche Förderung von Start-ups. Ob das am Ende tatsächlich erfolgreich sei, hänge aber stark von der Ausgestaltung ab. Sie empfehlen, Staatsgelder nur dann bereitzustellen, wenn parallel ein privater Investor einsteigt. Sonst laufe man Gefahr, mit den öffentlichen Mitteln lediglich private Geldgeber zu verdrängen – wodurch sich die Finanzierungssituation der Start-ups kaum verbessert.
Zusätzlich empfehlen die Sachverständigen aber auch den Abbau von Regulierung, übermäßiger Bürokratie und den Engpass bei den Fachkräften. Andernfalls laufe man Gefahr, dass die jungen Firmen in anderen Länder wie die USA abwandern, sobald sie die Wachstumsphase erreicht haben. Dann hat Deutschland ihre Gründung zwar gefördert, profitiert am Ende aber nicht von ihrem Erfolg.
Zu lockere Geldpolitik
Kritik üben die Sachverständigen zudem an der Europäischen Zentralbank (EZB). Der frühere Chef Mario Draghi hat zuletzt die Strafzinsen für Banken, die Gelder bei der Notenbank parken, erhöht. Außerdem hat er das Anleihekaufprogramm wieder aufgenommen und pumpt so weitere Milliarden in den Markt. „Es wäre besser gewesen, wenn die EZB auf weitere Staatsanleihekäufe verzichtet hätte, da diese Politik erhebliche Risiken, etwa für die Finanzstabilität, mit sich bringen kann“, schreiben die Wirtschaftsweisen.
Sie fürchten „abrupte Preiskorrekturen“ – vor allem am Immobilienmarkt. Denn dort fließt ein Großteil des Geldes rein, das die EZB in den Markt pumpt. Das lässt die Preise für Immobilien steigen, bis Käufer sie sich nicht mehr leisten können und der Markt einbricht. Zum ersten Mal hat im September der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) Deutschland in die Liste der Länder aufgenommen, in denen er Risiken bei den Wohnimmobilien sieht.
Einen Fehler gemacht hat Draghi nach Ansicht der Sachverständigen aber auch schon vorher: Die EZB hätte „die Anleihekäufe früher beenden können, ohne den Aufschwung zu gefährden“. Dann hätte sie heute mehr Spielraum für eine geldpolitische Lockerung gehabt. Auch für Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde hätte das den Job erleichtert.
Schwache Banken
Die Sachverständigen machen sich zunehmend Sorgen um den Zustand der deutschen Banken. Die Institute leiden unter hohen Kosten und einem starken Wettbewerb. Grundsätzlich sei die Profitabilität der europäischen Banken im internationalen Vergleich schwach. Das könnte ein Risiko für die Finanzstabilität bergen, schreiben die Experten. Zwar seien die Banken widerstandsfähiger geworden. Gleichzeitig könnte sie ein Rezession aber hart treffen.
Dazu kommt, dass der digitale Wandel das Geschäft der Banken gerade grundlegend verändert. Die Sachverständigen schreiben: „Ein Markteintritt der Bigtechs könnte disruptive Folgen für die zukünftige Tragfähigkeit traditioneller Geschäftsmodelle haben.“ Mit Bigtechs sind Techkonzerne wie Facebook, Apple und Google gemeint. Und angesichts ihrer veralteten IT-Infrastruktur sind viele deutsche Banken im Wettbewerbsnachteil, schreiben die Sachverständigen.
Die Geldinstitute könnten dadurch einem „schwer zu durchbrechenden Teufelskreis ausgesetzt sein“, heißt es im Jahresgutachten: „Aufgrund niedriger Profitabilität verfügen sie nicht über den nötigen finanziellen Spielraum, um Investitionen in die Verbesserung ihrer IT-Infrastruktur vorzunehmen. Die nicht konkurrenzfähigen IT-Systeme führen gleichzeitig zu zunehmenden Wettbewerbsnachteilen und einem erhöhten Kostendruck.“
Streit um Schuldenbremse
Trotz des mauen Wachstums sehen die Sachverständigen derzeit keinen Anlass für ein Konjunkturprogramm. Zumindest noch nicht. Der Wirtschaftsweise Achim Truger meint allerdings, die Bundesregierung müsse für den Fall der Fälle vorbereitet sein. Sie sollte sich also schon jetzt überlegen, welche Maßnahmen sie ergreifen will, falls sich das Wachstum doch überraschend stark abschwächen sollte. „Nur dann kann sie schnell reagieren“, sagt Truger.
Einig sind sich die Wirtschaftsweisen darüber, dass es im Fall einer Rezession schwer wird, weiter an der Schwarzen Null festzuhalten. Die Schwarze Null ist allerdings ohnehin lediglich ein politisches Ziel, an das die Regierung nicht zwingend gebunden ist. Anders ist das bei der Schuldenbremse, die die Neuverschuldung des Staats begrenzt und Verfassungsrang hat. Und über die gibt es unter den Wirtschaftsweisen Streit. So sieht die Mehrheit der Sachverständigen derzeit „keinen Reformbedarf“ bei der Schuldenbremse. Sie biete ausreichend Spielraum, auch im Fall eines starken Wirtschaftsabschwungs die Konjunktur mit öffentlichen Investitionen zu stützen. Erreichen könne man das zum Beispiel, indem die Regierung die Ausgaben anders priorisiere, heißt es im Gutachten. Die beiden Wirtschaftsweisen Achim Truger und Isabel Schnabel widersprechen ihren Kollegen jedoch in diesem Punkt. So halten sie es zum Beispiel politisch für kaum durchsetzbar, Ausgaben im Fall einer Konjunkturkrise
umzuschichten. Steuererhöhungen seien aber ebenfalls in der Krise kaum machbar. Zwar wollen auch Truger und Schnabel die Schuldenbremse nicht gleich ganz abschaffen. Doch halten sie es für sinnvoll, eine „etwas höhere Verschuldung“ zuzulassen, um die Konjunktur im Fall einer Rezession zu stabilisieren. Sie meinen: „Sollte es zu einem stärkeren Abschwung kommen, ist aktuell nicht gewährleistet, dass die Schuldenbremse hinreichende Spielräume bietet.“ Zusätzlich können sie sich die Schaffung eines Sondervermögens vorstellen, aus dem ausgewählte Zukunftsinvestitionen finanziert werden könnten. Ein solcher Topf, wie in ihn der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ins Spiel gebracht hat, könnte von der Schuldenbremse ausgenommen werden.
Carla Neuhaus
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