Grundsatzprozess vor dem BGH beginnt am Dienstag: Das ist der Mann, der VW im Dieselskandal bezwingen will
Herbert Gilbert klagt gegen Volkswagen auf Schadensersatz für seinen Diesel. Er hat es bis vor das höchste Gericht geschafft.
Egal, wie der Fall ausgeht, eines ist Herbert Gilbert sicher: Der Rentner schreibt Rechtsgeschichte. An diesem Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) seinen Dieselfall – es ist das erste Mal, dass es Dieselgate tatsächlich vor das höchste deutsche Zivilgericht schafft. Alle früheren Versuche, ein Grundsatzurteil zu erwirken, waren gescheitert. Volkswagen hatte es stets geschafft, die Prozesse aus der Welt zu räumen, manchmal nur wenige Tage vor dem Termin.
Mit offensichtlich großzügigen Vergleichsangeboten war es Deutschlands größtem Autobauer immer wieder gelungen, Grundsatzurteile zu vermeiden – zur wachsenden Verärgerung der BGH-Richter. Nachdem im Februar vergangenen Jahres wieder ein Termin geplatzt war, gingen die Richter in die Offensive und veröffentlichten einen Hinweisbeschluss.
Darin konnte man nachlesen, wie der 8. Senat entschieden hätte, wenn man ihn gelassen hätte. Die Abschalteinrichtung, die VW in seinen Dieselmotor EA189 verbaut hatte, sei ein Sachmangel, erklärten die Richter, und verpflichte VW zur Gewährleistung. Verbraucherschützer fühlten sich durch die verbraucherfreundliche Auslegung bestätigt.
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Doch an diesem Dienstag geht es nicht um Kaufrecht und den 8. Senat, sondern um den 6. Senat und um Schadensersatz. Den verlangt Gilbert für seinen VW-Sharan. Der Rentner hatte den Diesel im Januar 2014 bei einem Autohändler für 31.490 Euro gebraucht gekauft. Im September 2015 musste er erfahren, dass sein Auto mit einer Manipulationssoftware ausgestattet ist, die Stickoxide nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße reduziert – so wie weitere 2,4 Millionen VW-Diesel allein in Deutschland.
Der Rentner fühlte sich von VW "ausgetrickst"
Gilbert fühlte sich „ausgetrickst“. Er habe „ganz bewusst ein umweltfreundliches Auto“ kaufen wollen, erzählt er.
Unterstützt vom Prozessfinanzierer MyRight klagte der Mann gegen VW wegen sittenwidriger Täuschung auf Schadensersatz. In erster Instanz verlor er, das Oberlandesgericht Koblenz gab ihm in zweiter Instanz dann aber weitgehend Recht und verurteilte VW zu einer Entschädigung von 25.616 Euro nebst Zinsen gegen Rückgabe des Autos.
Beide Seiten legten Revision ein. VW findet, dass Dieseleigentümer nach den Software-Updates keinen Schaden mehr haben. Sharan-Fahrer Gilbert klagt, weil er sich für die Nutzung des Autos – anders als es das Oberlandesgericht entschieden hat – keine Entschädigung abziehen lassen will. Er will seinen Kaufpreis in voller Höhe zurück.
Die Erwartungen sind hoch
Noch ist unklar, ob es am Dienstag ein Urteil geben wird oder ob die Richter einen eigenen Verkündungstermin ansetzen. Die Erwartungen an den Prozess sind dennoch hoch. „Der Bundesgerichtshof wird erstmals seine finale Rechtsauffassung mit der Öffentlichkeit teilen“, sagt Gilberts Anwalt Claus Goldenstein.
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Es geht um die zentralen Fragen der Dieselaffäre: Haben die Kunden durch die Manipulationssoftware einen Schaden? Falls ja, wie wird dieser bemessen? Können Verbraucher verlangen, dass sie bei einer Rückabwicklung Zinsen auf den Kaufpreis bekommen? Müssen sie sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen und falls ja, für welchen Zeitraum?
Weitere Verfahren vor dem BGH stehen im Juli an
Ob all diese Fragen schon in diesem Prozess geklärt werden, bleibt abzuwarten. Aber spätestens im Sommer wird Klarheit herrschen. Denn in Karlsruhe sind bereits weitere VW-Dieselfälle für den 21. und den 28. Juli terminiert. Darin geht es vor allem um die Nutzungsentschädigung und die Deliktzinsen. Für die meisten der 235.000 Kunden, die das Angebot von VW im Massenvergleich mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen angenommen haben, ist das Thema Schadensersatz dagegen vom Tisch. Aber nicht für alle: Wer erst spät zugestimmt hat, könnte theoretisch von einem schnellen BGH-Urteil profitieren. Den VW-Vergleich kann man nämlich innerhalb von 14 Tagen noch widerrufen – und dann vor Gericht selbst auf Schadensersatz klagen.