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Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern sollen im Internet veröffentlichen, wie viel Männer bei ihnen mehr verdienen als Frauen.
© imago images/Westend61

EU-Pläne für gerechte Löhne: Das Gehalt soll kein Geheimnis mehr sein

Frauen verdienen noch immer weniger als Männer – auch im gleichen Job. Die EU will mehr Transparenz und einen Anspruch auf Schadensersatz durchsetzen.

Die EU-Kommission möchte erreichen, dass Gehälter durchschaubarer sind. Nach den Plänen der Vizekommissionspräsidentin Vera Jourová sollen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern jährlich im Internet veröffentlichen, wie viel Männer bei ihnen mehr verdienen als Frauen. Ist die Lücke in Gruppen mit vergleichbaren Aufgaben größer als fünf Prozent, müssten die Firmen die Gründe dafür analysieren und konkrete Schritte vorschlagen, um das zu ändern. Jourová will den Entwurf der Richtlinie an diesem Mittwoch in Brüssel vorlegen – Anlass ist der sogenannte Equal Pay Day. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lag das Schreiben bereits vor.

Demnach sieht der Entwurf außerdem vor, dass Arbeitnehmerinnen einen unbegrenzten Anspruch auf Schadensersatz erhalten, wenn sie benachteiligt wurden. Die Unternehmen müssten im Falle eines Verfahrens beweisen, wieso die schlechtere Bezahlung gerechtfertigt ist. Der Schadensersatz soll sich nicht nur an dem entgangenen Lohn und Bonuszahlungen orientieren, sondern die Beschäftigten auch für entgangene Aufstiegsmöglichkeiten und die Erfahrung der Benachteiligung selbst entschädigen. Es sei leider immer noch die Regel, dass Frauen jahrelang mit ihren männlichen Kollegen Seite an Seite arbeiteten, in dem festen Glauben, sie würden den gleichen Lohn bekommen – und erst am Ende ihrer Laufbahn merkten, dass sie falsch dachten, heißt es von der Kommission.

Vor allem Frauen pflegen - für weniger Geld

Vera Jourová geht mit ihrem Vorhaben weit über die bisherigen Regelungen des deutschen Entgelttransparenzgesetz von 2017 hinaus. Dieses gibt Mitarbeiterinnen das Recht, bei Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten Auskunft über das Gehalt von Kollegen in einer vergleichbaren Stellung einzuholen. Dabei wird der Durchschnitt von mindestens sechs anderen Beschäftigten herangezogen. Der Kommissionsvorschlag beschränkt Firmen bei dieser Auskunftspflicht nicht mehr auf Betriebe mit einer bestimmten Beschäftigungszahl: Auch kleine und mittlere Unternehmen sollen künftig davon betroffen sein. Zum Lohnvergleich sollen dem Bericht der „FAZ“ zufolge im Einzelfall auch Löhne von Beschäftigten anderer Betriebe oder hypothetische Vergleiche herangezogen werden dürfen.

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Am 10. März findet hierzulande der „Equal Pay Day“ statt. Bis zu diesem Tag müssen Frauen umsonst arbeiten, während Männer seit Jahresbeginn bezahlt würden, heißt es auf der Internetseite des Bundesfamilienministeriums. Diese Aussage basiert auf der Rechnung, dass die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland 19,2 Prozent beträgt. In der EU verdienen Männer 14,1 Prozent mehr Geld. Über die Gründe wird gestritten: Manche meinen, Frauen würden sich bloß die schlechter bezahlten Jobs aussuchen. Andere sind davon überzeugt, dass ein Teil der Lohnlücke noch immer durch eine geschlechtsbedingte Diskriminierung zu erklären ist.

Das Portal Gehalt.de und die Initiative Initiative Finanzheldinnen haben 143 975 Gehaltsdaten auf den Gender Pay Gap hin ausgewertet. Das Ergebnis: Frauen verdienen in Deutschland rund 37 000 Euro, während es bei Männern rund 47 600 Euro sind. In Supermärkten bekommen weibliche Fachkräfte bei gleichem Job, gleicher Position und trotz identischer Erfahrung und Ausbildung zwölf Prozent weniger. Obwohl vor allem Frauen andere Menschen pflegen, erhalten sie bei gleicher Leistung 4,2 Prozent weniger Geld dafür. In Krankenhäusern sind es sogar 8,3 Prozent. Die Lohnlücken in der Autobranche und dem Bankenwesen erreichen fast acht Prozent. Im Kulturbereich sind die Unterschiede laut der Auswertung niedrig – und mit einer Lücke von 0,8 Prozent ist der bereinigte Gender Pay Gap in der Biotechnologie am geringsten.

Andere europäische Länder sind viel strenger

Henrike von Platen gründete 2017 das Fair Pay Innovation Lab (FPI), um Unternehmen bei der Umsetzung einer fairen Bezahlung zu unterstützen. Zu dem EU-Vorstoß sagt die Wirtschafts- und Finanzexpertin: „Mehr Transparenz, spürbare Sanktionen, eine Umkehr der Beweislast – der Richtlinienentwurf der EU geht genau in die richtige Richtung und führt alles zusammen, von dem wir wissen, dass es funktioniert und in einzelnen europäischen Ländern bereits umgesetzt wird.“ In Großbritannien werden Unternehmen, die keine Gehaltsdaten übermitteln, auf einem staatlichen Internetportal gelistet – ein „naming and shaming“ nach französischem Vorbild. In der Schweiz müssen Unternehmen ab hundert Angestellten regelmäßig eine Lohngleichheitsanalyse durchführen. In Island steht ungleiche Bezahlung unter Strafe. Falls es trotzdem dazu kommt, werden Bußgelder verhängt.

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„Dass die Europäische Kommission die Entgeltlücke als eines der drängendsten Probleme der Geschlechterungleichheiten aufgreift, ist in Zeiten der Pandemie ein wichtiges Zeichen“, findet Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Immerhin üben gerade Frauen systemrelevante Jobs aus, die nicht von zu Hause aus erledigt werden. Der DGB fordere wenngleich schon lange, dass Unternehmen ihre Entgeltpraxis verpflichtend überprüfen müssen, über die Ergebnisse berichten und Benachteiligungen beseitigen.

Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Beate Müller-Gemmeke findet die EU-Initiative ebenfalls „richtig und wichtig“. Sie räumt nur ein: „Fraglich ist jedoch, ob Transparenz allein ausreicht. Denn ob Equal Pay eingehalten wird oder nicht, muss auch überprüft werden. Außerdem schließe der jetzige Entwurf noch zu viele Frauen aus, denn sie würden oft in kleinen und mittelgroßen Unternehmen tätig sein.

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