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In vielen Berufen verdienen Frauen immer noch deutlich weniger als Männer.
© dpa

Interview zum Equal Pay Day: „Lohnlücke ist aus Luxus entstanden“

Wir müssen über Geld reden, meint Equal-Pay-Expertin Henrike Platen. Erst dann wird die Ungerechtigkeit sichtbar.

Henrike von Platen gründete 2017 das Fair Pay Innovation Lab (FPI), das Unternehmen bei der Umsetzung von fairer Bezahlung unterstützt. Die Wirtschafts- und Finanzexpertin ist auch Hochschulrätin, Dozentin und Autorin. Kürzlich erst erschien ihr neuestes Buch „Über Geld spricht man – Der schnelle Weg zur Gleichstellung“.

Frau von Platen: Warum reden die Menschen ungern über Geld?
Die Frage müsste eigentlich lauten: Warum ist Geld in Deutschland solch ein Tabuthema? Das hat sicher historische Ursachen. Nicht umsonst kennen wir alle das Sprichwort: Über Geld spricht man nicht. Es ist aber auch eine Frage der Kultur und in anderen Ländern anders. In Skandinavien und den USA wird viel offener über Geld und Gehälter gesprochen.

Wieso sollten wir über Geld reden?
Weil es Ungerechtigkeiten sichtbar macht, die sonst im Verborgenen bleiben. Es gibt Menschen, die in Vollzeit arbeiten und mit 1000 Euro netto nach Hause gehen, um sich und zwei Kinder zu versorgen – das Staunen darüber ist oft groß, weil manche schon 3000 Euro für ein mieses Gehalt halten.

Immer mehr Beschäftigte wollen lieber mehr Freizeit als Geld. Wird das Thema Gehaltsgerechtigkeit damit unwichtiger?
Ich hoffe doch sehr, dass es bald überflüssig wird. Auf Geld für mehr Zeit verzichten kann auch nur, wer über ein gewisses Einkommen verfügt und mit weniger trotzdem noch genug hat. Sonst stellt sich die Frage nicht.

Jetzt ist wieder Equal Pay Day. Warum ist die Lohnlücke in Deutschland europaweit am dritthöchsten?
Deutschland ging es sehr lange sehr gut. Viele konnten es sich leisten, dass ein Ehepartner zu Hause bleiben oder in Teilzeit arbeiten konnte – meist die Frau. Genau für diese Konstellation wurde das Ehegattensplitting erfunden, das Frauen bis heute in wirtschaftliche Abhängigkeit drängt. Die Lohnlücke ist aus einem Luxus heraus entstanden. Hinzu kommt, dass Care-Arbeit nicht als „echte“ Arbeit angesehen wurde und wird. Das spiegelt sich auch in der schlechten Bezahlung von Reinigungskräften oder Erzieherinnen wider.

Henrike von Platen ist Gründerin des Fair Pay Innovation Lab. 
Henrike von Platen ist Gründerin des Fair Pay Innovation Lab. 
© Oliver Betke/dpa-tmn

Warum gibt es so unterschiedliche Angaben über die Lohnlücke?
Die Lohnlücke wird kleingerechnet. Vom statistischen Einkommensunterschied von 21 Prozent zwischen Frauen und Männern bleiben danach noch sieben, sechs oder zwei Prozent übrig. Es werden Gründe für die Unterschiede herausgerechnet, zum Beispiel die Branche oder ob jemand in Teilzeit arbeitet. Bloß: Dass ich als Teilzeitkraft – wohlgemerkt pro Stunde – für die gleiche Arbeit weniger bekomme als in Vollzeit, ist eine Erklärung. Gerechter wird es dadurch nicht.

Die Gegenargumentation lautet: Frauen seien selber schuld. Sie setzen sich nicht durch. Sie wählen die schlecht bezahlten Jobs. Sie wollen nicht führen.
Es ist bestimmt nicht die Schuld der Frauen, dass es ist wie es ist. Es liegt an den Strukturen, gerade in Sachen Bezahlung. In Island müssen Unternehmen nachweisen, dass sie fair bezahlen. Und Strafe zahlen, wenn sie es nicht tun.

Wie kann man etwa Löhne in der Pflege anheben, ohne dass sie unbezahlbar wird?
Anders gefragt: Wie kann es sein, dass wir dafür so wenig Geld zur Verfügung haben? Wieso ist es uns mehr wert, unser Auto reparieren zu lassen als die eigene Oma zu pflegen? Das ist eine gesamtgesellschaftliche Frage. Aber auch eine individuelle. Denken Sie an Friseurinnen. Wieso finden wir eigentlich, dass fünfzehn Euro für einen Haarschnitt in Ordnung sind? Dass ein anderer Mensch davon leben kann?

Sie fordern mehr Offenheit. Das Lohntransparenzgesetz taugt aber nicht viel. Kaum jemand fragt nach.
Zunächst einmal ist das Gesetz gut, weil es Transparenz im Namen trägt. Das Problem ist aber, dass Unternehmen mit keinerlei Sanktionen rechnen müssen. Schlimmstenfalls haben sogar die Beschäftigten das Nachsehen, wenn ihnen der Auskunftsanspruch negativ ausgelegt wird. Die Verantwortung sollte stattdessen beim Arbeitgeber liegen – und alle Unternehmen sollten in die Pflicht genommen werden, nicht nur die großen. Trotzdem appelliere ich auch an die Frauen: Stellt Anträge! Nutzt das bisschen, was es gibt, statt nichts zu tun! Sonst heißt es wieder: Es gibt ja gar kein Problem.

Wenn Sie alle Möglichkeiten hätten: Wie würden Sie Lohngerechtigkeit schaffen?
Ich würde Transparenz per Gesetz erzwingen. Ähnlich wie in Island. Dort gilt: Unternehmen müssen ihre Entgeltstrukturen überprüfen und einen Equal- Pay-Standard einhalten. Verstößt ein Betrieb dagegen, muss er 300 bis 350 Euro pro Mitarbeiter zahlen. Das kann teuer werden. Dieses Modell würde ich mit Maßnahmen aus Großbritannien kombinieren. Dort gibt es seit 2017 eine Excel- Tabelle mit Daten von mehr als 10 000 Unternehmen, die zeigt, wie viel Frauen und Männer verdienen und wie hoch die Boni sind. Die Tabelle wird jedes Jahr aktualisiert, ist öffentlich einsehbar und kann heruntergeladen werden. Manche Ergebnisse sind schockierend.

Zum Beispiel?
Bei Ryanair betrug der Gender Pay Gap beim ersten Report durchschnittlich 67 Prozent. Wäre ja auch logisch, hieß es, weil die Piloten männlich und die Stewardessen weiblich seien. Bei Easyjet sah es nicht viel besser aus, aber sie kündigten wenigstens an, wie sie das ändern wollen. Übrigens haben alle deutschen Dax- Konzerne einen Sitz in Großbritannien, und ihre Gaps bewegen sich alle im ordentlich zweistelligen Bereich. Bislang habe ich noch kein Unternehmen gefunden, dass die Zahlen auch für Deutschland veröffentlichen möchte. Die Standardantwort lautet: Solange wir nicht müssen ...

Geben deutsche Männer besonders ungern Macht ab?
Das tun Menschen generell nicht gern. Bei Frauen in bestimmten Positionen sieht das nicht so viel anders aus. Hätten wir eine Frauenquote von hundert Prozent, hätten wir ganz ähnliche Probleme.

Sie schreiben in Ihrem Buch: Werden Männer- zu Frauenberufen sinkt das Gehalt sogar und andersherum.
Einst waren nur Männer Lehrer. Es war ein hoch angesehener Beruf, gut bezahlt, man konnte eine Familie ernähren. Genauso der Sekretär. Als dann immer mehr Frauen Lehrerinnen oder Sekretärinnen wurden, änderte sich das Ansehen des Berufs und über die Jahre auch die Bezahlung. In der Informatik ist es genau andersherum passiert.

Frauen müssen sich neben der Arbeit nach wie vor um die Familie kümmern. Wie sollen Eltern beide Geld verdienen, Kinder erziehen, ohne völlig erschöpft zu sein?
Beide müssen ihr Arbeitspensum reduzieren! Zum Beispiel auf 32 Stunden. Das wollen viele junge Väter auch, aber die kriegen ebenfalls einen vor den Latz, wenn sie das artikulieren. Ach, der will ja gar nicht wirklich, denkt der Chef, der für seine Karriere nie zu Hause war. Schon die Elternzeit müsste sehr viel gleichmäßiger aufgeteilt werden, so dass Männer nicht zwei Monate beim Kind sind, sondern Paare die Zeit tatsächlich zu gleichen Teilen nutzen. In Skandinavien sind sie da viel weiter.

Manche Unternehmen probieren inzwischen eine andere Art des Arbeitens und Bezahlens aus. Was ist das interessanteste New Pay Modell in Deutschland?
Am besten gefällt mir der Ansatz, dass Mitarbeitende bei gleichem Geld weniger Stunden arbeiten. Ich kann in 25 Stunden genauso viel schaffen wie in 40 Stunden, wenn ich mich anders organisiere. Die Idee, dass alle das gleiche Gehalt bekommen, kann man nicht überall umsetzen. Unterschiede sind auch in Ordnung, solange sie fair und transparent sind. Ein wirklicher Umschwung wird aber noch dauern. Es ist erstaunlich, wie viele Ausreden es gibt, weil Unternehmen Muffensausen vor dem Aufwand und was Neuem haben.

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