Klimaschutz in Innenstädten: Das Diesel-Desaster
Um die Klimaziele zu erreichen, muss zunächst der Verkehr elektrifiziert werden. Das sagen die Experten. Doch wie geht es weiter mit dem Diesel?
Eine große Überraschung war es jetzt nicht gerade für das Umweltbundesamt (UBA), dass die Luft in den Städten schlechter ist, als es die Stickstoffdioxid-Grenzwerte erlauben. Schließlich betreibt die Bundesbehörde ein Messnetz für Luftschadstoffe. Und die Grenzwerte für NO2 sind im vergangenen Jahr an der Hälfte der verkehrsnahen Messstellen überschritten worden. Und auch dass der Verkehr der Verursacher ist, stand für das Amt aus Dessau schon lange außer Zweifel – insbesondere die Dieselautos. Allerdings ist den Experten dort nun klar, wie hoch die Luftbelastung durch Dieselfahrzeuge tatsächlich ist.
Denn für das neue Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs (HBEFA) hat die Behörde 27 Dieselautos der Schadstoffklasse Euro 5 und je 25 Euro-4- sowie Euro-5-Diesel bei null Grad und bei 20 Grad Außentemperatur in verschiedenen Verkehrssituationen getestet. Die Abgase der Fahrzeuge vom Kleinwagen bis zum Geländewagen sind in realen Verkehrssituationen gemessen worden. „Damit haben wir ein realistisches Ergebnis, wenn auch kein gutes“, sagte UBA-Chefin Maria Krautzberger bei der Vorstellung der Studie. Bei null Grad arbeitet offensichtlich gar keine Abgasreinigung mehr. Die NOx-Emissionen lagen nach Angaben der Behörde bei Euro-5-Dieseln um 80 Prozent höher als bei 20 Grad; beim Euro-6-Diesel sogar um 90 Prozent höher. Da mehr als die Hälfte der Autofahrten bei Temperaturen unterhalb von zehn Grad stattfinden, sagte Umweltministerin Barbara Hendricks in der gleichen Pressekonferenz, „waren im Durchschnitt eigentlich immer alle Abgasreinigungsanlagen abgeschaltet“.
Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil Stickoxide die Lungen schädigen können, insbesondere die von Kindern und älteren Menschen, da diese eine geringere Widerstandskraft haben als Erwachsene. Barbara Hendricks fordert die Autoindustrie deshalb auf, „endlich den Diesel in Ordnung zu bringen“. Bisher scheint die Kreativität der Ingenieure allerdings vor allem darauf gerichtet worden zu sein, wie schmutzige Diesel für die Zulassungstests „sauberer“ aussehen konnten.
Was aus dem Diesel-Skandal gelernt werden kann: Mit 45 Millionen Verbrennern sind die deutschen Klimaziele nicht zu erreichen
Bei Opel sollen beispielsweise die Abgasreinigungssysteme unterhalb von 17 Grad und oberhalb von 30 Grad nicht gearbeitet haben, hat der „Spiegel“ herausgefunden. Das System schaltet sich auch ab, wenn das Fahrzeug schneller als Tempo 145 fährt. Der Zulassungstest beschleunigt den Motor aber nur auf 120 km/h. Bei 2400 Umdrehungen pro Minute schaltet sich die Reinigung ab, der Test findet bei 2200 statt. Bei Fiat gibt es Motoren, die die Abgasreinigung nach 22 Minuten Betrieb abschalten: Der Test dauert 20 Minuten. Die Autohersteller Audi, Porsche, Mercedes, Volkswagen und Opel rufen gegenwärtig freiwillig insgesamt 630 000 Fahrzeuge in die Werkstätten zurück, um die Abgasreinigungssysteme zu überarbeiten. Das hat Jens Clausen vom Borderstep-Institut für das Forschungsprojekt „Evolution2Green“ recherchiert, das sich mit den Antrieben der Fahrzeuge beschäftigt. Das Projekt soll untersuchen, was die Wirtschaft daran hindert, „grün“ zu werden – also sich vom Kohlendioxid-Ausstoß zu befreien.
Wenn aus dem Diesel-Skandal, der mit VW begann und inzwischen fast die gesamte Autobranche erfasst hat, eines zu lernen sei, dann dass die deutschen Klimaziele mit 45 Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren auf den Straßen nicht zu erreichen sind. Davon ist Christian Hochfeld überzeugt. Er leitet seit dem vergangenen Jahr den Thinktank Agora Verkehrswende und ist überzeugt: Die Treibhausgasemissionen und die Schadstoffe im Verkehr können zunächst nur durch eine Elektrifizierung gesenkt werden.
2016 ist der deutsche Treibhausgasausstoß im dritten Jahr in Folge gestiegen, und dieses Mal war der Verkehr die Ursache dafür. Das hat das UBA anhand der Umrechnungen aus dem Treibstoffverbrauch des Verkehrs ermittelt. Der Verkehr ist der einzige Sektor, dessen CO2-Emissionen seit 1990 nicht gesunken sind. Abgasmessungen von Forschungsinstituten im Auftrag von Umweltorganisationen, wie der Deutschen Umwelthilfe, haben ergeben, dass die im Fahrzeugschein vermerkten CO2-Emissionen mit den realen Ausstößen seit Beginn der 2000er Jahre immer weniger zu tun haben. Inzwischen liegt der CO2-Ausstoß laut der Nichtregierungsorganisation „Transport & Environment“ um rund 22 Prozent höher als in der Typengenehmigung.
Damit, sagt die Berliner Bundestagsabgeordnete Lisa Paus (Grüne), sei der Bund über Jahre um KfZ-Steuern betrogen worden. Denn diese Steuer wird auch mit Bezug auf den CO2-Ausstoß erhoben. Das Finanzministerium habe davon keine Kenntnis. Denn das Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) weigert sich seit Monaten, die Ergebnisse der Studie zu veröffentlichen. Auch dem Finanzministerium sind die Daten offenbar nicht zugänglich gemacht worden. Paus findet, das sei ein Fall für die Staatsanwaltschaften. Sie wirft das den Herstellern vor, die falsche Daten angegeben haben. Womöglich müssten die Staatsanwaltschaften auch das KBA in den Blick nehmen, das die Fahrzeuge schließlich zugelassen hat.
Die Verkehrswende hat in den Innenstädten schon längst begonnen
Das Auto macht also sowohl bei den Luftschadstoffen als auch beim Klima Probleme. Für Christian Hochfeld ist deshalb klar, dass es nicht damit getan sein wird, nur die Antriebe der Fahrzeuge auszutauschen. Wenn in Deutschland 2050 immer noch 45 Millionen Privatfahrzeuge herumfahren, ändert das an Staus, Lärm und Stress im Verkehr wenig. Und doch führe der Weg in die Verkehrswende über elektrische Antriebe. Dass die Kaufprämie für E-Autos bisher kein Erfolg war, hat viele Gründe. Einer ist eindeutig der niedrige Ölpreis. Darauf weist auch Jens Clausen in seinem Papier hin. Gegen einen dauerhaft niedrigen Ölpreis anzusubventionieren, ist eine relativ hoffnungslose Angelegenheit. Dazu kommt, dass sich die Deutschen in den vergangenen 50 Jahren daran gewöhnt haben, dass ihr Fahrzeug alles kann: Lasten transportieren und lange Urlaubsfahrten ermöglichen. 1970 flossen 12,5 Prozent der Konsumausgaben in die Mobilität, 2014 waren es 24,5 Prozent. Zum Vergleich: Die Konsumausgaben für Nahrungsmittel sind von 24,5 Prozent im Jahr 1970 auf 13,5 Prozent im Jahr 2010 gefallen.
Christian Hochfeld ist sicher, dass in den Städten die Verkehrswende bereits läuft. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung hat bei Umfragen unter jungen Leuten herausgefunden, dass diese öffentliche Verkehrsmittel schätzen, weil sie dort auf dem Smartphone online sein können. Beim Autofahren geht das nicht. Die Hoffnung der Hersteller: selbstfahrende Autos.