zum Hauptinhalt
Elzbieta Bienkowska, EU-Kommissarin für den Binnenmarkt, Industrie und Unternehmertum sowie kleine und mittlere Unternehmen (Archivaufnahme aus dem Oktober 2015).
© imago/ZUMA Press

EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska: "Das Auto-Zeitalter geht zu Ende"

Die Automobilindustrie steht vor einer Industriellen Revolution, meint Industriekommisarin Elzbieta Bienkowska. Im Interview spricht sie über die E-Auto-Quote, VW und Dieselgate.

Frau Kommissarin, wie wird sich der Markt für Autos im nächsten Jahrzehnt entwickeln?

Auch wenn wir keine Propheten sind: Es ist absehbar, was in nächster Zeit passiert. Es liegt auf der Hand, dass Dieselfahrzeuge über kurz oder lang verschwinden werden. Dies wird passieren unabhängig davon, wie sehr Hersteller und Verbraucher heute ihre Diesel lieben. Diesel ist die Technologie der Vergangenheit. Daher lautet auch die Botschaft, die die Kommission mit dem Mobilitätspaket an die Industrie senden will, das wir vorletzte Woche verabschiedet haben: Es hat keinen Sinn mehr zu versuchen, den Verbrennungsmotor zu verbessern. Dies führte in die Sackgasse.

Sind Sie da so sicher?

Am Beispiel der Automobilindustrie sehen wir, dass die Gesellschaften mitten in einer neuen Industriellen Revolution stecken. Automatisierung und Digitalisierung treiben die Veränderungen. Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell. Sehr wahrscheinlich zeichnet sich gerade global das Ende des Autozeitalters ab. Damit will ich nicht sagen, dass die Auto-Produktion in naher Zukunft komplett enden wird. Es sind aber ähnliche Prozesse im Gange wie damals, als die Dampfmaschine abgelöst wurde. Der Unterschied ist nur, dass es diesmal viel schneller geht. Der Umbruch wird nicht einmal die Zeit einer Generation in Anspruch nehmen. Wir werden ihn noch erleben.

Sind sich die Hersteller dessen bewusst?

Die Hersteller wissen sehr genau, dass da gerade eine Revolution im Gange ist. Sie investieren auch große Summen in Zukunftstechnologien. Auf der anderen Seite erzählen sie immer noch die unendliche Geschichte von den Jobs, die auf der Kippe stehen. Natürlich lobbyieren sie und geben ihr Bestes, damit ihre bisherigen Methoden, Autos zu produzieren, sowie die Art der Autos, die sie produzieren, noch möglichst lange fortbestehen. Die Industrie muss sich aber im Klaren sein: Wenn sie nicht schnell genug ist, wird sie einen großen Teil des Geschäfts an die Konkurrenz außerhalb der EU verlieren. Die europäische Automobilindustrie muss sich beeilen. Ansonsten werden die Null- und Niedrigemissionsautos, die 2030 in der EU rollen, nicht hier gebaut, sondern anderswo.

Was bedeutet die Industrielle Revolution, von der Sie sprechen, für Jobs in Europa?

Für die Autohersteller gilt es, eine riesige technologische Herausforderung zu meistern. Daher will die Kommission ja auch mit ihrem Vorschlag für die CO2-Regulierung einen entsprechenden Impuls auf die Hersteller ausüben. In der Zukunft werden noch stärker herausragende Fähigkeiten der Mitarbeiter gefordert sein. Bildung und Ausbildung müssen besser werden. Ich bin überzeugt: Der Einzug von Robotern wird nicht die Zahl der Jobs reduzieren. Vermutlich eher im Gegenteil, sie wird zunehmen. Die Frage ist nur, ob unsere Unternehmen am Ende die Produkte herstellen oder andere.

Bei all diesen Herausforderungen: Warum ist die Kommission da noch gegen eine E-Auto-Quote und ein klares Datum für das Ende des Verbrennungsmotors?

Ich bin gegen alle planwirtschaftlichen Instrumente. Ich halte auch nichts davon, den Diesel zu verbieten. Das wäre nicht im Sinne der Verbraucher. Unser Vorschlag ist überaus attraktiv, weil er die Hersteller über ein Anreizsystem dazu bewegen will, besser bei den sauberen Autos zu werden.

Der Diesel-Skandal wurde vor zwei Jahren aufgedeckt. Wurden die nötigen Konsequenzen gezogen worden?

Diesel-Gate darf sich auf keinen Fall wiederholen. Die Kommission hat daher eine Reform der Typzulassung vorgeschlagen. Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Damit wollen wir dafür sorgen, dass nur noch Fahrzeuge neu auf den Markt kommen, die die Vorschriften einhalten. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass die Mitgliedsländer bei Verfehlungen der Hersteller diese dann auch ahnden. All dies enthält unser Paket. Doch es gibt Widerstände in den Hauptstädten. Wir müssen unbedingt bis Ende des Jahres die Sache unter Dach und Fach haben. Es wäre ein Desaster, wenn erst ein neuer Skandal kommen muss, bevor die EU handelt.

Wo hakt es?

Die Art, wie Mitgliedstaaten mit dem Thema umgehen, ist nicht sehr zufriedenstellend. Sie sollten viel konsequenter sein, wenn es darum geht, den Problemen auf den Grund zu gehen und uns zu informieren. Wir müssen ihnen buchstäblich jede Information entreißen. Am Beginn des Verfahrens war ich vehement dagegen, eine neue EU-Institution zu schaffen, die den Mitgliedstaaten die Typgenehmigung aus der Hand nimmt und für sie erledigt. So langsam beginne ich aber, angesichts der Haltung in den Hauptstädten meine Meinung zu überdenken.

Hat VW die nötigen Konsequenzen aus dem Skandal gezogen?

Nun ja. Der Konzern hat versprochen, bis Ende des Jahres alle vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeuge nachzurüsten. Es bleibt abzuwarten, ob dies gelingt. Ich höre, dass das Software-Update nicht so ausfällt, wie der Konzern dies versprochen hat. Ich halte zudem fest, dass wir immer noch keine befriedigende Antwort seitens des Konzerns haben, wie er die betroffenen Kunden entschädigen will. Es reicht nicht, lediglich die Fahrzeuge zurück in die Werkstatt zu holen. Damit will ich nicht sagen, dass eine Entschädigung wie in den USA auch in der EU fällig ist. Das ginge rechtlich hier gar nicht. Wie aber der Konzern diese Affäre abwickeln will, das halte ich nicht für ein Modell für die Zukunft.

Der Dieselskandal, die Kartellvorwürfe, nun die Durchsuchungen bei VW wegen der Bezahlung von Betriebsrat Osterloh. Ist für Sie die deutsche Automobilbranche noch ein verlässlicher Gesprächspartner?

Ich würde nicht so weit gehen, dies in Abrede zu stellen. Trotz nicht zu leugnender Skandale sind die Vertreter der Konzerne für mich immer noch wertvolle Gesprächspartner. Wissen Sie, was das Problem ist? Diese Branche glaubte, dass sie allmächtig ist. Schließlich fahren alle Menschen ein Auto. Und es handelt sich um eine Schlüsselindustrie für Europa. Da glaubte sie, sie könne sich buchstäblich alles erlauben. Sie unterlag auch der vermessenen Einschätzung, die Verbraucher in einer bestimmten Weise behandeln zu können. Dabei ist es normalerweise umgekehrt: Die Hersteller müssen sich danach richten, was der Markt vorgibt.

Zur Startseite