Negativzinsen: Darf Sparen kosten?
Olaf Scholz und Markus Söder wollen künftig Negativzinsen für Kleinsparer verbieten. Banken und Verbrauchervertreter äußern scharfe Kritik an der Idee.
Negativzinsen für Privatkunden sind hierzulande längst Alltag und werden von immer mehr Banken und Sparkassen erhoben. Oder sie sehen kaum eine Möglichkeit dies zu vermeiden, sollte die Europäische Zentralbank (EZB) den Zinssatz für Einlagen der Kreditinstitute weiter von aktuell minus 0,4 Prozent ins Negative drücken.
Noch treffen Negativ-Zinsen aber nur vermögende Sparer und Kunden mit Einlagen ab 100000 Euro. Bei manchen Instituten ist von „individueller Vereinbarung“ die Rede. Insofern scheint die Idee von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Negativzinsen für Privatkunden generell zu verbieten einleuchtend. Doch Kreditinstitute und Verbraucherschützer können sich damit nicht anfreunden.
Scholz will prüfen lassen, ob ein Verbot von Negativzinsen mit der Verfassung vereinbar ist. Söder setzt auf eine Initiative im Bundesrat, die Strafzinsen für Anlagegelder und Einlagen bis 100000 Euro grundsätzlich ausschließt. Negativzinsen dürften nicht auf Kleinsparer umgelegt werden, Belastungen müssten die Institute anders ausgleichen.
Freilich: Unterstützung für ihre Idee erfahren Scholz und Söder nicht. Die Kreditwirtschaft winkt genauso ab wie Ökonomen, Verbraucherschützer und Juristen. Kreditinstitute kalkulierten wie andere Kaufleute auch ihre Preise und Gebühren auf der Grundlage des Marktumfeldes in eigener Verantwortung.
Das gelte auch in Zeiten negativer Leitzinsen, die die Institute nicht ignorieren könnten, heißt es im Gremium Deutsche Kreditwirtschaft, also bei Privatbanken, Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen und Pfandbriefbanken. „Gesetzliche Verbote sind systemfremd, helfen dem Kunden nicht weiter und können zu einer gefährlichen Instabilität der Finanzmärkte führen.“ Anlagegeld könnte noch stärker als bislang schon in Immobilien und Aktien fließen und zu gefährlichen Blasen führen.
Banken leiden unter Zinsentwicklung
Die Banken sehen sich gleichwohl durch die Zinsentwicklung verstärkt unter Druck. Das sagt auch Felix Hufeld, Präsident der Finanzaufsicht BaFin, auch wenn er Negativzinsen nicht direkt anspricht. Angebote der Banken zum Nulltarif seien auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Trotz harten Wettbewerbs mit Gratisangeboten müsse es zu einem Umdenken kommen.
„Es wird immer schwerer, bei anhaltenden Negativzinsen eine angemessene Profitabilität sicherzustellen, insbesondere wenn auf die Weitergabe der negativen Zinsen im Mengengeschäft verzichtet wird“ betont Marija Kolak, Präsidentin des Branchenverbandes der Volksbanken BVR. Sie rechnet selbst in den nächsten fünf Jahren nicht mit einer Zinswende.
Die Deutsche Bank beobachte die Entwicklung sehr genau, plane aber derzeit nicht, im breiten Kundengeschäft Kosten für Einlagen weiterzugeben, sagt ein Sprecher. Man habe aktuell nicht vor, die Negativzinsen „an unsere Millionen Privatkunden“ weiterzugeben, heißt es bei der Commerzbank. Auch die ING-DiBa schließt Negativzinsen für die sieben Millionen Sparkonten aktuell aus. Tatsächlich hat ein Umdenken bei den Instituten längst begonnen. Die Zahl von Gratis-Girokonten und -Depots sinkt, auch vor dem Hintergrund der Negativzinsen.
Trotzdem hält auch Manuel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von einem Verbot nichts. Die Politik solle sich raushalten, das habe nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Im Extremfall könne ein Verbot das deutsche Bankensystem stabilisieren. Die Initiative von Scholz und Söder könne gut gemeint sein, sei aber nicht zu Ende gedacht und eher symbolisch, sagt auch Klaus Müller, Vorstand beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV).
Ein Verbot sei eine vermeintlich einfache Lösung, betont Gerhard Schick, Ex-Bundestagsabgeordneter der Grünen und Chef der Bürgerbewegung Finanzwende. Dabei seien Negativzinsen eine Folge der Finanzkrise von 2008. „Jetzt denkt man über einen Markteingriff nach, der reine Symptombekämpfung ist, weil sich führende Politiker den dringend notwendigen Antworten auf die Krise selbst verweigern.“ Im Übrigen zahlten die meisten Menschen über noch „höhere und sonderbare Gebühren“ de facto schon Negativzinsen.
Deutlich wird Max Herbst von der Finanzberatung FMH. „Schwachsinn“ sei die Verbotsidee von Scholz und Söder. „Das ist reine Effekthascherei vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen“, sagt Herbst. Jeder Kunde entscheide, ob er für sein Geld eine Strafgebühr entrichten wolle. Wenn nicht könne er die Bank wechseln. Für verwerflich hält es Herbst, wenn eine Bank Großkunden keine Negativzinsen berechnet, sich das Geld aber über höhere Gebühren bei Kleinkunden holt.
Schon jetzt müssen Privat- und Geschäftskunden teilweise Negativzinsen zahlen
Nach einer Aufstellung des Finanzportals Biallo.de verlangen aktuell mindestens 30 Institute von Privatkunden Negativzinsen von 0,4 Prozent für Einlagen auf Tagesgeld und Girokonto für Beträge ab 100 000 Euro, vor allem Volksbanken und Sparkassen. Oft liegt die Grenze auch bei einer halben Million, mitunter auch bei einer Million Euro, wie bei der Berliner Sparkasse. Etliche Institute regeln das auch individuell mit ihren Kunden.
Deutlich mehr als 100 Institute belasten Firmen- und Geschäftskunden mit Negativzinsen und damit mit einer Gebühr für Einlagen. Mehreren von Verbraucherzentralen erstrittenen Urteilen zufolge dürfen Negativzinsen nicht von heute auf morgen über die Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingeführt werden, für bestehende Sparverträge ohnehin nicht.
Unterdessen profitieren Verbraucher auch immer stärker von den Niedrig- und Negativzinsen, wenn sie ein neues Eigenheim oder den Kauf einer Immobilie finanzieren. Zehn-Jahres-Hypotheken gibt es im Idealfall bereits zu einem Zins von rund 0,15 Prozent. Banken bereiten sich angeblich schon auf negative Zinsen für Baugeld vor. Allerdings gilt die Umsetzung als schwierig.
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