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Kein Interesse. Im Ausland wird Deutschland für seine duale Ausbildung bewundert – hierzulande hat sie bei vielen Jugendlichen einen schlechten Ruf.
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Ausbildung: Damit es nicht die Jugend trifft

Mal sind die Schulen schuld, mal die Betriebe. Zu Besuch bei jenen, die Jugendliche fördern, in Ausbildung vermitteln und für ihr Engagement ausgezeichnet worden sind.

Eigentlich haben sie Ferien, doch nun sitzen sie hier in der Aula und sollen über ihre Zukunft nachdenken. Es ist Dienstagmittag in der Wolfgang-Borchert-Schule in Spandau, die im vergangenen Jahr beim bundesweiten Wettbewerb „Starke Schule“ Landessieger geworden ist. Prämiert werden jene, die ihre Schüler besonders gut auf die Berufswelt vorbereiten. Den Mädchen und Jungen wird gesagt: Wissen heißt Freiheit! Wissen heißt Macht! Mit Wissen könnt ihr so leben und arbeiten, wie ihr wollt!

In einer der Reihen sitzt Khaled Alekozai (38) und hört zu. Er ist ein „Fellow“ der gemeinnützigen Initiative Teach First Deutschland, die Hochschulabsolventen für zwei Jahre an „Brennpunktschulen“ schickt, damit sie sich später, in vielleicht einflussreichen Positionen, für ein gerechteres Bildungssystem einsetzen. Fast drei von vier Schülern haben an der Schule in Spandau einen Migrationshintergrund. Die Aufgabe von Khaled Alekozai ist es, den Jugendlichen zum Schulerfolg zu verhelfen. Damit sie eine Ausbildung machen. Und nicht nichts tun.

Branchen, die hip wirken

Vor einigen Wochen sagte Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertag, die Betriebe müssten ihre Ansprüche an die Azubis immer weiter senken. Schuld an den schlechter werdenden Deutsch- und Mathekenntnisse der Bewerber seien die Schulen. Khaled Alekozai sagt dazu: „Die Wirtschaft kann nicht erwarten, dass wir ihnen den perfekten Nachwuchs heranzüchten.“

Die Jugendlichen würden sich nur für Branchen interessieren, die hip wirken oder im Alltag sichtbar sind. Wie Polizisten und Feuerwehrmänner. Im Dienstleistungsbereich, der immer größer wird, würden sie kaum Möglichkeiten kennen. Unternehmen mit einem staubigen Image interessierten sie nicht. Deswegen sei es auch Aufgabe der Betriebe, aktiv zu werden und besser für sich zu werben.

ADHS? Kein Wunder!

Alekozai räumt aber auch ein: Natürlich müssten die Schüler gut unterrichtet und auf die Zeit nach dem Abschluss vorbereitet werden. Da würden viele Schulen zu wenig tun. Berufsorientierungstage, Schnupperpraktika – all das sei wichtig, damit die Jugendlichen herausfinden, was sie machen wollen. Ihre ersten Fragen beim Thema Ausbildung seien, wie viel sie verdienen und wie lang die Arbeitszeiten sind. Beziehen ihre Eltern Hartz IV, haben sie von beiden Punkten keine Vorstellung. Auch die Erziehung sei wesentlich. „Oft wird von Unternehmern bemängelt, die Jugendlichen seien so unpünktlich“, sagt er. „Es wird ihnen aber auch nicht beigebracht.“ Dass gefühlt immer mehr sozial auffällig sind, ADHS haben, wundert ihn nicht. Bei manchen sei den ganzen Tag niemand zu Hause. Die Anforderungen an sie, der Druck in Schule und Freizeit nehme zu. Sei für viele schwer zu tragen.

Die Wolfgang-Borchert-Schule kooperiert aus diesem Grund nicht nur mit Siemens und Vattenfall. Es gibt auch eine Sozialarbeiterin und ein Team, das sich um die Berufs- und Studienorientierung kümmert. Dazu gehört ein eigener Lehrer, eine Lehrkraft der beruflichen Partnerschule und eine Beraterin der Jugendberufsagentur.

Die Vermittler

Kein Interesse. Im Ausland wird Deutschland für seine duale Ausbildung bewundert – hierzulande hat sie bei vielen Jugendlichen einen schlechten Ruf.
Kein Interesse. Im Ausland wird Deutschland für seine duale Ausbildung bewundert – hierzulande hat sie bei vielen Jugendlichen einen schlechten Ruf.
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Seit letztem Oktober sind in Berlin zehn Jugendberufsagenturen eröffnet worden. In einem Gebäude arbeiten Mitarbeiter der Agentur für Arbeit und Jobcenter, vom Jugendamt und der Sucht- und Schuldenberatung. Berufsberater und Schulberater. Die Wege sind kurz, Absprachen leichter möglich. Warum das sinnvoll ist, zeigt der erste Fall, den sie in der Jugendberufsagentur Lichtenberg im April hatten: Eine ältere Frau kam, weil sie sich Sorgen um ihren Enkelsohn machte. Er hatte seine Ausbildung abgebrochen, Schulden wegen seines Smartphones, nahm Drogen und wurde vom Vater geschlagen.

Früher wäre es so gewesen, dass er von einer Behörde zur nächsten geschickt worden wäre. Er hätte weitere Telefonnummern bekommen, weitere Adressen. Hätte Termine ausmachen müssen und nicht immer jemanden erreicht. Vielleicht wäre ihm all das zu anstrengend geworden – und er hätte es dann doch gelassen. „Jetzt müssen sie nur das Stockwerk wechseln“, sagt Jeannette Gronau, die hier das Team „Arbeitsvermittlung Jugendliche“ leitet. Im Idealfall könnten sie alles an einem Tag erledigen und sich sogar direkt an einem Oberstufenzentrum anmelden. Damit sie zwischendurch nicht vergessen, was sie wo klären wollten, bekommen sie einen Laufzettel mit.

W-Lan, Sessel und Sitzsäcke

Die Abteilungsleiter treffen sich einmal im Monat zum Austausch. Manchmal geht es um Erfahrungen und Fragen, manchmal um einen konkreten Fall. Sie kennen einander persönlich und nicht mehr nur als fremde Stimme am Telefon. Sie wissen, wie die anderen Behörden arbeiten, was sie tun können und wie schnell. Das Jobcenter hat vom Jugendamt zum Beispiel von Projekten für Schulverweigerer erfahren. Trotzdem bleiben sie autonome Behörden, die nach unterschiedlichen Gesetzbüchern arbeiten und aus anderen Töpfen finanziert werden. Eine einzige riesige Behörde zu werden, sei zwar manchmal wünschenswert aber utopisch.

An die Wände haben Jugendliche Graffiti gesprüht. In einem Raum stehen Sessel und Sitzsäcke. Es gibt kostenloses W-Lan. Für die Jugendlichen macht es einen Unterschied, dass hier Jugendberufsagentur an der Tür steht. „Klingt nicht so negativ wie Jobcenter, oder noch schlimmer Jugendamt“, sagt ein 18-Jähriger, der draußen raucht. Ob sich die Vermittlungsquote der Jugendlichen in eine Ausbildung schon verbessert hat, kann Jeannette Gronau noch nicht sagen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat vor zwei Wochen einen Bericht veröffentlicht, der einen positiven Zusammenhang erkennt.

60 Bewerbungen, nur Absagen

An diesem Morgen hat Luisa (Name von der Redaktion geändert) einen Termin bei ihrer Jobcenter-Vermittlerin. Sie möchte im Oktober mit einer Lehre zur Zahnmedizinischen Fachangestellten beginnen. Bisher hat sie 60 Bewerbungen geschrieben, aber nur Absagen bekommen. Sie wird 25 und hat ein Kind. Bei der Kita-Platzsuche hat ihr das Jugendamt im zweiten Stock geholfen. Luisa bezieht Leistungen vom Jobcenter und nimmt an Bewerbungstrainings teil. Ist motiviert. Immerhin kommen auch Jugendliche hierher, die eigentlich gar keine Lust haben zu arbeiten.

Die Mitarbeiterin des Jobcenters schaut sich die Bewerbungsunterlagen von Luisa an und gibt ihr ein paar Tipps. Erkundigt sich nach den Erfahrungen bei Vorstellungsgesprächen. Fragt, ob sie unsicher sei, weil andere jünger sind und sie Mutter ist. Luisa solle sich auf ihre Stärken konzentrieren, ihre Organisationsfähigkeit und Lebenserfahrung. Die Vermittlerin hakt nach, wie oft sie in der Jobbörse nach Angeboten guckt. „Das wird ganz sicher klappen“, sagt sie aufmunternd. „Es suchen doch gerade so viele nach Auszubildenden.“

Die Macher

Kein Interesse. Im Ausland wird Deutschland für seine duale Ausbildung bewundert – hierzulande hat sie bei vielen Jugendlichen einen schlechten Ruf.
Kein Interesse. Im Ausland wird Deutschland für seine duale Ausbildung bewundert – hierzulande hat sie bei vielen Jugendlichen einen schlechten Ruf.
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Jakob Maechler ist Geschäftsführer von Boeba Aluminium. Von den knapp 60 Beschäftigten machen fünf eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker für Feinblechtechnik oder zu Industriekaufleuten. Ein Azubi ist ein Flüchtling aus Mali. Maechler sagt: „Wir geben jedem eine Chance. Wenn jemand motiviert ist und will, probieren wir es aus.“ Egal, ob er in der Schule nicht so gut war oder einen Lebenslauf mit Lücken hat. Was zähle, seien Zuverlässigkeit, ein technisches Grundverständnis und etwas Geschick.

Falls es in der Berufsschule nicht so gut klappt, gibt es Nachhilfeangebote. „Den Fachkräftemangel gibt es, aber viele Betriebe tun auch zu wenig“, sagt Maechler. Es ginge nicht mehr, dass Lehrlinge wie früher zum Bierholen geschickt werden. Der Nachwuchs müsse gefördert, ihre Arbeit wertgeschätzt werden. Für sein Engagement wurde der Betrieb in diesem Jahre zu einem der besten Ausbildungsbetriebe Berlins ausgezeichnet. So wie die BBO Datentechnik GmbH und das Amitola Familiencafé.

Anders miteinander reden

Wer vor ein paar Jahren selbst der Neue war, weiß, welche Fragen ein Auszubildender hat. Wann er sich überfordert fühlt. Was ihn stresst. Deswegen stellt BBO jedem Lehrling einen Paten zur Seite, der vor zwei, drei Jahren ausgelernt hat. „Zwei jüngere Kollegen können auf einer ganz anderen Ebene miteinander sprechen“, sagt Katharina Undisz, Kaufmännische Leiterin und zuständig für den Nachwuchs. „Sie nehmen Tipps und Kritik viel eher voneinander an.“ In dem Betrieb lernen sie, wie sie Softwarelösungen konzipieren. Möglich ist auch eine Lehre zur Bürokauffrau/ zum Bürokaufmann.

Weil ihr Mentor sie berät, dürfen sich die Lehrlinge recht früh um eigene kleine Kundenprojekte kümmern. So übernehmen sie Verantwortung und sammeln Erfolgsmomente, was sie selbstbewusst macht. Oft sitzen Azubi und Ex- Azubi im selben Büro. Die Betreuung zahlt sich aus: In diesem Jahr schließt ein weiterer Lehrlinge seine Ausbildung wegen guter Leistungen verkürzt ab.

Viel reden, viel erklären

Das Amitola Familiencafé befindet sich an einer Straßenecke in Friedrichshain. Hier machen lernbehinderte Mädchen und Jungen und Jugendliche mit schlechten Noten oder gar keinem Schulabschluss eine Ausbildung. So gut wie alle schaffen die Abschlussprüfung zum Fachpraktiker im Gastgewerbe oder zur Verkäuferin. Auch wenn die ersten Wochen den Lehrlingen schwerfallen. Sie trauen sich die Ausbildung nicht zu. Jeden Tag aufzustehen, bis abends zu arbeiten, ist für sie hart. Sie sind nicht so stabil wie andere. Deswegen sind regelmäßige Feedback-Gespräche wichtig. Viel reden, viel erklären, auch Kleinigkeiten.

Die Chefin Ines Pavlou muss jeden Tag aufmerksam und empathisch sein. Zuwendung und Lob sind wichtig. „Viel, viel mehr als Kritik“, sagt sie in ihrem Café, zu dem ein Geschäft mit Kinderkleidung gehört. Die Auszubildende Mareen Köhler ( 21) sagt leise: „Wenn ich Fehler mache, werde ich hier nicht sofort angepöbelt. Und ich darf Kunden schon selbst bedienen.“ Trotzdem sei Ines Pavlou streng und resolut. „Das soll hier alles funktionieren“, sagt sie, „aber als Chef ist man auch ein Mensch“.

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