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Derzeit undenkbar: Demos und Warnstreiks gehören zu jeder Tarifbewegung. Es sei denn, das Coronavirus geht um.
© dpa

Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst: Corona blockiert Gehaltserhöhung

Verdi und Beamtenbund wollten eigentlich jetzt ihre Tarifforderung beschließen. Doch Streiks und Demos sind in absehbarer Zeit nicht möglich.

Frank Werneke trommelte in den letzten Tagen für die Kommunen, als sei er der Präsident des Städtetags. Zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen würden in den Städten und Gemeinden getätigt, argumentiert der Verdi-Vorsitzende. „Mit einer Geiz-ist-geil-Mentalität lässt sich die Krise nicht bewältigen. Die Konjunktur braucht jetzt starke Nachfrageimpulse und die Kommunen benötigen eine wirksame Entlastung von Corona-Folgen und Altschulden“, sagte Werneke. Er legt sich so ins Zeug, weil er an die eigene Klientel denkt. Denn wenn es den Kommunen gut geht, dann profitieren auch Verdi-Mitglieder. Der größte Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sind die Kommunen. Und für deren Arbeitnehmer steht eine Tarifrunde an.

Beamtenbund ist auch dabei

Am heutigen Mittwoch treffen sich die Tarifkommissonen von Verdi und dem Beamtenbund (dbb) im Videochat, um über die diesjährige Tarifrunde zu beraten. Ohne Corona liefe das so ab: Die Kommissionen beschließen eine prozentuale Forderung, die Arbeitgeber schreien auf, weil viel zu teuer, und nach Warnstreiks und drei Verhandlungsrunden gibt es einen neuen Tarif für die mehr als zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Kommunen. In diesem Jahr ist alles anders, weil sich niemand vorstellen kann, im Herbst mit Demonstrationen und Warnstreiks eine Tarifforderung zu flankieren. Doch wer nicht mit Arbeitskampf drohen kann, der hat schlechte Karten am Verhandlungstisch.

Vielleicht gibt es einen Tarif light

Also müssen andere Optionen her: die Tarifrunde verschieben oder einen Abschluss light machen, wie im Frühjahr in der Metallindustrie, um Anfang 2021 das Spiel neu zu starten. Vielleicht aber doch einen mehrjährigen Vertrag abschließen, der Kommunen und Beschäftigten Planungs- und Einkommenssicherheit gibt.

Die Kommunen haben kein Geld

Verdi-Chef Werneke und Ulrich Silberbach vom Beamtenbund haben sich über die Modelle mit Ulrich Mädge ausgetauscht, dem Präsidenten der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), der die Verhandlungen führt. „Ohne ideologische Auseinandersetzungen zu einem sachgerechten Ergebnis kommen“ - so stellt sich Mädge das vor. Wobei „sachgerecht“ angesichts der kommunalen Finanzen wohl eine Nullrunde bedeuten würde. Aber das funktioniert natürlich auch nicht in Coronazeiten, wo viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst als Helden des Alltags gefeiert wurden – bei der Müllabfuhr, in der Pflege oder in den Arbeitsagenturen. „Denen zu sagen, es gibt nichts, das geht nicht“, heißt es bei Verdi.

Zuletzt gab es hohe Tarifabschlüsse

In den vergangenen Jahren hatte es hohe Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst gegeben. Anfang 2019 etwa für die Angestellten der Bundesländer rund acht Prozent mehr Geld – allerdings in drei Stufen über drei Jahre. Der letzte Tarifvertrag für die Kommunen, die gemeinsam mit dem Bund verhandeln, aber deutlich mehr Tarifangestellte haben als der Bund, liegt zwei Jahre zurück: Im März 2018 stiegen die Entgelte um 3,5 Prozent, eine weitere Erhöhung um 3,4 Prozent folgte im April 2019 und im März dieses Jahres gab es schließlich 1,2 Prozent mehr. Ende August läuft der Tarifvertrag aus, so dass es folgenden Zeitplan gab: Beschluss der Forderung am 3. Juni, in den Sommerferien können dann Tarifmaterial gedruckt und Aktionen vorbereitet werden, damit es nach der Sommerpause mit den Verhandlungen losgehen kann. Wie gewohnt im Kongresshotel am Templiner See. Dann kam Corona.

Großzügig beim Kurzarbeitergeld

Und  Verdi verständigte sich mit der VKA auf eine Kurzarbeiterregelung: Das Kurzarbeitergeld für die Beschäftigten der unteren Entgeltgruppen wird von 60 auf 95 Prozent des letzten Nettos aufgestockt, und weiter oben gibt es immerhin auch noch 90 Prozent.

Verdi hat diese überaus großzügige Regelung den Arbeitgebern abgepresst, denn ohne die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter hätte keine Kurzarbeit eingeführt werden dürfen. Eine prozentuale Gehaltserhöhung für mehr als zwei Millionen wird es so einfach nicht geben. Warum sollten sich die Arbeitgeber darauf einlassen? Vielleicht deshalb, weil sie im Wahljahr 2021 keine Tarifrunde durchstehen wollen mit viel Tamtam von Streikenden auf der Straße.

Wahrscheinlich ist, dass sich heute die Tarifkommissionen vertagen und Werneke sowie dbb-Chef Silberbach autorisieren, in informellen Gesprächen mit der VKA eine Verständigung abseits des üblichen Tarifpokers zu finden. Eine ungewöhnliche Situation für alle Beteiligten, zumal sich mit Werneke und Mädge zwei neue Chefverhandler erstmals gegenüber sitzen.

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