Nach Diesel-Skandal: Brüssel stärkt die Rechte der Verbraucher
EU-Justizkommissarin Vera Jourova will „Gruppen-Klagen“ gegen Konzerne zulassen – aber eine Klage-Industrie wie in den USA vermeiden.
EU-Justizkommissarin Vera Jourova will Konsequenzen aus dem Dieselskandal ziehen und geschädigten Verbrauchern für die Auseinandersetzung mit Konzernen mehr Rechte geben. Im Zuge eines „neuen Deals für Verbraucher“ will die EU-Kommission nach Informationen des Tagesspiegel EU-weit „Gruppen-Klagen“ von geschädigten Konsumenten zulassen.
Jourova wird die Pläne an diesem Donnerstag erstmals gegenüber Vertretern vom Rat, dem Gremium der Mitgliedsstaaten, sowie EU-Parlamentariern skizzieren. Erste Gesetzesvorschläge sollen im April folgen. Die Kommissarin sagte dem Tagesspiegel: „Wir haben die besten Verbraucherschutzgesetze der Welt, aber die Durchsetzung muss schlagkräftiger werden.“ Ziel müsse sein, „dass die Konzerne zweimal nachdenken, bevor sie betrügen“. Und weiter: „Wir arbeiten an rechtlichen Konstruktionen, bei denen sich die geschädigten Verbraucher zusammentun und gemeinsam ihre Interessen vor Gericht vertreten können.“
Die EU-Kommissarin nennt das neue Klageinstrument mit Absicht nicht „Sammelklage“. Denn in der EU-Kommission besteht Einigkeit, dass nicht einer Klageindustrie nach US-Muster der Weg gebahnt werden soll. In den USA machen Großkanzleien mit Sammelklagen auf Schadenersatz den großen Reibach. Bei diesem Geschäftsmodell treten zunächst die geschädigten Verbraucher ihre Rechte an die Rechtsanwälte ab, die dann in Vorleistung gehen, die Klage durchfechten und im Erfolgsfall ein stattliches Honorar kassieren.
US-Kunden bekamen von VW mehrere tausend Dollar Entschädigung
Während die 500 000 vom VW-Skandal betroffenen Kunden in den USA bereits eine finanzielle Entschädigung von mehreren tausend Dollar bekommen haben, gehen die 8,5 Millionen Kunden in Europa bislang leer aus. Hier bietet der Volkswagen-Konzern lediglich ein Software-Update für die betroffenen Dieselwagen an. In vielen Ländern der EU sind Sammelklagen nicht zulässig. Auch das deutsche Rechtssystem kennt sie nicht. Dennoch versucht die deutsche Niederlassung der renommierten US-Kanzlei Hausfeld, im Fall VW eine Sammelklage nach US-Muster durchzuziehen. Hausfeld will im Auftrag von über 15 000 geschädigten VW-Kunden beim Landgericht Braunschweig insgesamt 358 Millionen Euro Schadenersatz einklagen. Die Firma My Right tritt offiziell als Kläger auf, der beteiligte britische Prozessfinanzierer Burford Capital würde im Erfolgsfall den Großteil der Provision in Höhe von 35 Prozent kassieren. Der Rest würde an die VW-Fahrer ausgezahlt.
In Italien klagt inzwischen ein Verbraucherverband gegen VW und will von dem Konzern 400 Million Euro erstreiten. Jourova will, dass das Klagerecht der Verbraucher EU-weit künftig einheitlich geregelt wird. Außerdem will sie die nationalen Verbraucherschutzbehörden mit schärferen Zähnen ausstatten. Bislang sind sie eher zahnlos. Das hat man erst diese Woche wieder gesehen. Die niederländische Verbraucherschutzbehörde ACM hat eine Buße von lediglich 450 000 Euro gegen VW verhängt wegen der Irreführung der Verbraucher über den tatsächlichen Ausstoß von schädigenden Abgasen. Dies war die höchste Buße, die die Behörde in den Niederlanden in diesem Fall verhängen konnte.
Für VW-Kunden kommt der Vorstoß zu spät
Jourova legt den Finger in die Wunde: „Die Entscheidung der niederländischen Behörden zeigt die Grenzen des bisherigen Systems auf.“ Die Strafe sei so hoch wie möglich angesetzt, „doch die Summe ist so gering, dass sie von dem Autogiganten wohl kaum bemerkt werden dürfte“. Der Fall mache unmissverständlich deutlich, „warum ich so viel Wert darauf lege, etwas gegen die Schwäche des derzeitigen Systems zu tun“. Ein EU-Diplomat sagt weiter: „Wir werden ganz gezielt Veränderungen der Verbraucherschutzgesetze vorschlagen. Sie werden Schurken-Unternehmen in den Blick nehmen, die die Behörden in die Irre führen und unfaire Praktiken an den Tag legen.“
Bei der Sitzung an diesem Donnerstag mit den Vertretern der beiden Co-Gesetzgeber in der EU, Rat und Parlament, will Jourova um Unterstützung werben für den „New Deal für Verbraucher“. In den vergangenen Monaten hatte die Kommission mit ihren Vorschlägen für eine bessere Kontrolle etwa von Autoherstellern bei den Mitgliedstaaten immer wieder auf Granit gebissen. Gerade Deutschland hat etwa die Brüsseler Vorschläge für die Typgenehmigung von Autos immer wieder ausgebremst. Daher versucht die Kommission jetzt, sich bereits im Vorfeld die Unterstützung der Mitgliedstaaten und des Parlamentes zu sichern.
Für die geschädigten VW-Kunden kommt der Vorstoß aus Brüssel zu spät. Der „Deal für Verbraucher“ wird allenfalls dafür sorgen, dass Verbraucher beim nächsten großen Skandal eine bessere Rechtsposition haben.
Markus Grabitz