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Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD)
© dpa/Britta Pedersen

Mindestlohn: Bilanz mit Hindernissen

Arbeitsministerin Andrea Nahles hat den Mindestlohn durchgesetzt. Ihre Bilanz des Gesetzes geriet unfreiwillig zur Inszenierung.

Endlose Power-Point-Präsentationen mit massenhaft Zahlen und bunten Diagrammen: Bilanzen aus der Wirtschaftswelt können mithin ziemlich nüchtern ausfallen. Gut für den Gastgeber, wenn bei der Vorstellung des Zahlenkonglomerats etwas Unerwartetes passiert - und die prominente Hauptrednerin auch noch auf sich warten lässt. So geschehen beim Workshop des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi über Erfahrungen und Perspektiven des Mindestlohns. Als Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Donnerstagvormittag eine halbe Stunde später als angekündigt in der Hauptstadtzentrale von Verdi ans Rednerpult stürmt, fällt plötzlich das Licht aus. Einige Gäste springen nervös von ihren Plätzen auf. "Bitte bleiben Sie im Saal!, ruft eine Stimme aus dem Off. "Es geht gleich weiter!" Nahles steht derweil auf dem Podium im Dunkeln und grinst. "Wir hatten heute in meinem Ministerium auch Probleme mit dem Strom", sagt sie. "Hoffen wir mal, dass es kein größeres Problem in der Stadt gibt."

Ministerin Nahles zieht eine positive Bilanz

Das bisschen Finsternis kann die Ministerin nicht von ihrer Lobeshymne auf den Mindestlohn abhalten. "Unsere Wirtschaft ist im vergangenen Jahr gewachsen", sagt Nahles in <Richtung der einzig funktionierenden Lichtquelle im Saal. "Ein Grund dafür war die Einführung des Mindestlohns." Nahles hat das Gesetz, dass am 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist, gegen Widerstände aus der Politik und Wirtschaft durchgesetzt. 8,50 Euro müssen Arbeitgeber seit dem Stichtag zahlen - nicht nur in einzelnen Branchen, sondern flächendeckend in ganz Deutschland. "Vor allem die Ungelernten haben davon profitiert", sagt die Ministerin. Durch den Mindestlohn hätten Arbeitnehmer ohne Ausbildung durchschnittlich 3,9 Prozent mehr Lohn in der Tasche. Auch sei im vergangenen Jahr die Zahl der Minijobs in Deutschland zurückgegangen und neue Arbeitsplätze entstanden. Zudem habe der Mindestlohn das Tarifgefüge stabilisiert.

Wissenschaftler fordern einen Mindestlohn von mindestens neun Euro

Gewerkschaftsnahe Forscher plädieren allerdings für eine Erhöhung der Lohnuntergrenze auf mindestens neun Euro. Diese Zahl ergebe sich, wenn man wie gesetzlich vorgesehen die Tarifentwicklung zugrundelege, sagte Thorsten Schulten, Experte des Instituts WSI der Hans-Böckler-Stiftung. Geprüft werden müsse auch, ob eine solche Höhe für die Arbeitnehmer tatsächlich ausreiche. Die Mindestlohnkommission aus Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften soll bis Mitte des Jahres eine Anpassung der Höhe beschließen, die Anfang 2017 kommen soll. Andrea Kocsis vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi bekräftigte die Forderung nach zehn Euro Mindestlohn. Man müsse überall in Deutschland vom Lohn leben können, ohne auf Sozialleistungen angewiesen zu sein.

Das IW hält es für unangebracht, Stimmung für oder gegen eine Erhöhung zu machen

Das arbeitnehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kritisierte, es sei „unnötig und unangebracht“, das Thema zu politisieren. „Es gibt einen Mechanismus und eine Kommission aus Fachleuten. Die sollten ihre Arbeit unbeeinflusst erledigen können“, sagte IW-Tarifexperte Hagen Lesch. Auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer sagt, es sei bedenklich, dass Vertreter von Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften bereits massiv Stimmung für und gegen eine Erhöhung machten. (mit dpa)

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