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Die Bezahlung in kirchlichen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sorgt immer wieder für Auseinandersetzungen.
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Kirchliches Sozialwerk erkennt Wahl nicht an: Betriebsrat? Um Gottes Willen!

Ausgerechnet in einer kirchlichen Sozialstation im Berliner Grunewald tobt ein heftiger Streit, der Rechtsgeschichte schreiben könnte. Kernfrage: Dürfen Mitarbeiter einer Kirche einen Betriebsrat wählen?

Was mit Blick auf unzählige Betriebsräte in Firmen und Verbänden nach bloßer Rhetorik klingt, ist für die bundesweit 1,3 Millionen Beschäftigten in Kircheneinrichtungen womöglich wegweisend.

Eine knappe Mehrheit der 45 Mitarbeiter des Sozialwerks der Johannischen Kirche hatte am Dienstag erstmals einen Betriebsrat gewählt. Die Werksleitung erkennt die Wahl nicht an, man falle nicht unter das Betriebsverfassungsgesetz. Vertreter der Gewerkschaft Verdi, deren Mitglieder die Wahl in Grunewald angestoßen hatten, sprechen von Sabotage: Der Arbeitgeber habe die Wahl verhindern wollen, bei Schneeregen musste vor dem Haus abgestimmt werden.

Tatsächlich gilt das Betriebsverfassungsgesetz nicht für Kirchen, stattdessen gilt der Dritte Weg: Damit ist ein Sonderarbeitsrecht gemeint, das es Kirchen erlaubt, Betriebsräte und Tarifstreits zu verbieten. Noch in den 1920-ern streikten Hamburger Friedhofsarbeiter. In den 50-ern aber sahen Würdenträger die christliche „Botschaft von der Versöhnung“ durch Arbeitskämpfe bedroht. Die Löhne in Kliniken, Sozialwerken und Heimen der Kirchen wurden nun von internen Kommissionen festgelegt, nicht von Gewerkschaften ausgehandelt. Betriebsräte fehlen, die evangelische Diakonie und die katholische Caritas haben stattdessen eigene Mitarbeitervertretungen.

Im Sozialwerk der Freikirche jedoch finden mit „den Mitarbeitern der einzelnen Abteilungen und Einrichtungen regelmäßige, direkte Gespräche statt“, hieß es, eine Vertretung sei „entbehrlich“. Bei Verdi wiederum führt das zu einer Grundsatzfrage: Das Bundesarbeitsgericht urteilte 2012, Kirchen dürfen Streiks nur untersagen, wenn sie Gewerkschaften zuvor eingebunden haben. Bedeute das nicht analog, so die Idee, dass Kirchen Mitbestimmungsgremien etablieren oder eben Betriebsräte zulassen müssten?

Verdi-Verhandler Kalle Kunkel sagte am Mittwoch: Wenn eine Kirche keinen Gebrauch davon mache, über den Dritten Weg eigene Mitarbeitergremien zu etablieren, müssten Betriebsräte gewählt werden können, sonst drohe ein „demokratiefreier Raum“. Juristen äußerten sich vorerst nicht. Otto-Ewald Marek vom Vorstand des Sozialwerks sagte, die Betriebsratswahl sei „kontraproduktiv“, Verdi trage eine Grundsatzdebatte ohne Bezug zur Lage vor Ort aus. Zudem hat Verdi-Verhandler Kunkel nun Hausverbot. Verdi behält sich dagegen Rechtsschritte vor, denn seit 2012 haben Gewerkschaften ein Zugangsrecht auch zu Kirchen.

Sollte die Gewerkschaft den Betriebsrat durchsetzen, könnten sich auch Beschäftigte der großen Kirchen ermutigt fühlen. Dann wird sich zeigen, ob bundesweit Hunderttausende mit ihren Mitarbeitervertretungen zufrieden sind. Letztere beraten über Arbeitsbedingungen wie Betriebsräte, einige ihrer Beschlüsse sind ebenfalls bindend. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte am Mittwoch: Die eigenen Mitarbeitervertretungen hätten zuweilen weitreichendere Befugnisse als reguläre Betriebsräte. Ein Urteil zugunsten von Betriebsräten fürchte man also nicht.

Hannes Heine

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