Katholische Kliniken: Die Kirche heilt nicht durch Wunder
Katholische Kliniken, Heime und Pflegedienste versorgen jährlich 450.000 Berliner. Für die rund 10.000 Mitarbeiter könnten bald große Reformen kommen.
Berlin – eine katholische Hochburg? Mit 325000 Katholiken dürfte die Stadt nach München und Köln zwar ein Zentrum der Kirche sein. Von den fast 3,5 Millionen Berlinern sind das aber nur neun Prozent. Dennoch ist die katholische Kirche einer der größten Akteure im Berliner Gesundheitswesen – und das lange bevor mit Mario Czaja (CDU) ein Katholik der für Kliniken zuständige Senator wurde.
3000 Krankenbetten unter dem Dach der Caritas
Neun katholische Kliniken mit insgesamt 3000 Krankenbetten sind in der Stadt verteilt – mehr Betten hat auch die Charité nicht. Dazu kommen Heime und Pflege-WGs, ambulante Dienste und Suchtberatungen, sogar ein Arztmobil. Sie alle arbeiten unter dem Dach der Caritas: Insgesamt versorgt der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche mehr als 450000 Berliner im Jahr.
In katholischen Häuser doppelt so viele Beschäftigte wie bei der BSR
An diesem Dienstag stellt Senator Czaja den neuen Krankenhausplan vor. Darin wird festgehalten, wo Klinikbetten gebraucht werden. Die katholischen Häuser dürften eher wachsen. Schon bald eröffnet eine Palliativstation im St.-Hedwig-Krankenhaus in Mitte, erwartet wird dazu Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Im Malteser-Krankenhaus in Charlottenburg entsteht 2015 eine neue Tagesklinik. Auch was Mitarbeiter und Umsatz angeht, gehört die Caritas zu den Großen. Rund 10000 Berliner beschäftigt der Verband. Das sind doppelt so viele Mitarbeiter wie bei der dauerpräsenten Stadtreinigung, der BSR. Mit der Gesundheitsversorgung setzt die Caritas 530 Millionen Euro im Jahr um. In Patientenbefragungen – etwa der Umfrage der Techniker Krankenkasse – schneiden katholische Häuser gut ab.
Caritas wollte von Senator Czaja mehr Geld für Pflege
Im Senat wird regelmäßig mit der Caritas gesprochen: über Flüchtlingsheime, Krankenbetten und Pflegedienste. Gerade über die ambulanten Dienste haben die Caritas-Experten kürzlich hart mit Kirchenmitglied Czaja verhandelt. Die Caritas forderte vom Senat 6,8 Prozent mehr Geld für die Pflege. Hintergrund: Wer zu Hause versorgt wird, braucht oft einen ambulanten Dienst. Bis zu 2000 Euro im Monat kostet das. Maximal zwei Drittel bezahlen die Krankenkassen, den Rest der Betroffene selbst. Ist der Bedürftige arm, springen die Sozialämter ein. Dem Senat kann also nicht recht sein, wenn die Dienste mehr Geld verlangen, denn er müsste das bezahlen. Weil auch die Krankenkassen sparen, steigen die Löhne der Pfleger nur langsam. Eine ausgebildete Schwester bekommt für eine übliche 30-Stunden-Woche rund 2350 Euro brutto im Monat. Angelernte Helfer erhalten weniger. Czaja hat den ambulanten Diensten in diesem Jahr drei Prozent mehr Geld zugestanden.
Pfleger und Ärzte diskutieren über das Sonderarbeitsrecht
„Gerade für Pflegedienste gibt es wenig Geld“, sagt Ulrike Kostka, die Caritas-Direktorin im Erzbistum Berlin. Für das kommende Frühjahr will die Caritas zu einem katholischen Pflegekongress nach Berlin laden. Es soll um die christliche Haltung im Pflegealltag gehen, trotz des zunehmenden Zeitdrucks.
Dass sich die Caritas für mehr Geld für die Pflegedienste einsetzt, schätzen in der Branche viele. Dennoch stehen gerade wegen der Löhne bei der Caritas intern harte Debatten bevor. Unter Pflegekräften und Ärzten wird über den Dritten Weg diskutiert: Damit ist das Sonderarbeitsrecht gemeint, das es Kirchen erlaubt, ihren Beschäftigten etwaige Streiks zu verbieten. Kirchliche Würdenträger sahen einst die christliche „Botschaft von der Versöhnung“ durch Arbeitskämpfe bedroht. Die Löhne werden deshalb von internen Kommissionen festgelegt, nicht von Gewerkschaften ausgehandelt. Das gilt auch für die evangelischen Häuser in der Diakonie, die ebenfalls in der ganzen Stadt vertreten sind.
Auch katholische Kliniken gliedern Beschäftigte aus
Lange hat sich die Caritas an den Gewerkschaftstarifen für den öffentlichen Dienst orientiert. Inzwischen gliederte sie – wie Konzerne und Behörden – bestimmte Beschäftigte aus: Küchenpersonal und Hausmeister arbeiten in Tochterfirmen, oft zu geringeren Löhnen. "Und 25 Jahre nach der Wende", sagt ein Pfleger des St.-Joseph-Krankenhauses in Tempelhof, "wird bei den Löhnen noch nach Ost und West unterschieden." Erst 2012 hat sich das Bundesarbeitsgericht zum Sonderweg der Kirchen geäußert. Der Stand der Rechtsprechung dazu lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Kirchen hätten zwar Sonderrechte, sie seien keine klassischen Arbeitgeber, sondern Dienstgemeinschaften. Deshalb dürften sie Streiks untersagen – allerdings nur, wenn sie die Gewerkschaften vorher angemessen eingebunden haben.
Gewerkschaften wollen Entscheidung vom Verfassungsgericht
Was das in der Praxis bedeuten soll, will die Gewerkschaft Verdi vom Bundesverfassungsgericht klären lassen. Dort fordert auch der Marburger Bund eine Entscheidung. Die Ärztegewerkschaft ist gut organisiert, auch in den katholischen Kliniken in Berlin dürfte ihr jeder zweite Arzt angehören. Sollten die Verfassungsrichter entscheiden, dass Kirchen ihren Beschäftigten volles Streikrecht gewähren müssen, stünde die Caritas – und die Diakonie – wohl vor der größten Reform ihrer jüngeren Geschichte. „Es ist viel in Bewegung, aber wir orientieren uns weiter am Dritten Weg“, sagt Caritas-Chefin Kostka.
Viele Mitarbeiter sind aber loyal
Das Outsourcing von Reinigungskräften und die Ost-West-Trennung bei den Löhnen kritisieren nicht nur unmittelbar Betroffene. Auch übertariflich bezahlte Mediziner aus katholischen Häusern sagen: Die viel beschworene Gemeinschaft in den christlichen Kliniken werde kaum noch gelebt – schon gar nicht von der Küchenhilfe bis zum Arzt. Trotzdem sei die Fluktuation gering, in anderen Kliniken sei es eben nicht besser. Es gebe eine grundsätzliche Loyalität zur Caritas. Dabei gilt für die Caritas-Beschäftigten in Berlin, was insgesamt für die Bewohner der Stadt stimmt: Die meisten von ihnen sind gar nicht katholisch.
Hannes Heine