Nach dem Rauswurf: Berlusconi ist weg, der Berlusconismus lebt
In dieser Woche musste der Cavaliere nach 20 Jahren die politische Bühne räumen. Doch an seinem Erbe wird Italien noch lange zu tragen haben.
„Man wird euch totlachen.“ Wenn Italiens nobelpreisgekrönter Theatermacher Dario Fo recht hat, ist über der Ära Silvio Berlusconi soeben wirklich der Sargdeckel geschlossen worden. Die französische Ausgabe des Magazins „Slate“ hat die berüchtigten Ausfälle und Witzeleien des Mehrfachpremiers dieser Tage in mehreren Tortengrafiken aufbereitet: Sexismus war demnach mit 24 Prozent der größte Einzelposten, gleichauf mit purem Blödsinn – in diese Kategorie fällt wohl auch sein Hasch-mich-Auftritt („Kuckuck!“) beim Besuch der Kanzlerin in Triest vor fünf Jahren. Sprüche, deren Gegenstand sein überlebensgroßes Ego waren, liegen überraschend nur auf dem vierten Platz, Schwulenphobie schlägt mit vier, Antisemitismus mit zwei Prozent zu Buche.
Am Mittwoch verlor Berlusconi sein wichtigstes verbliebenes Mandat, er flog aus dem Senat, der zweiten Kammer des italienischen Parlaments, Konsequenz seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs. Die Gegenseite enbtkorkte zur Feier des Tages alle verfügbaren Flaschen und auch die Weltpresse wurde feierlich. Die New York Times titelte: „Eine Ära geht zu Ende.“
Das sehen manche Landsleute anders. Und sie meinen nicht nur die Ära der schlechten Witze. „Ich habe nicht angestoßen“, bekannte der Satiriker Alessandro Robecchi in der politbetriebskritischen Tageszeitung „Il fatto quotidiano“. „Es gibt nichts zu feiern. Nichts ist wirklich zu Ende. Berlusconi ist nur noch ein Detail des Berlusconismus.“ Tatsächlich könnte der Märtyrermythos nun noch den Schatten des Geschassten über die Maßen verlängern. Nach dem Tod des 94-ährigen „Divo Giulio“ in diesem Jahr, dem Strippenzieher der Ersten Republik, Giulio Andreotti, scheint die Zeit nun reif für den „Vergöttlichten Silvio“. Und der enthält mehr Gefahrenpotenzial als der geriebene, aber stocknüchterne Machtttechniker der alten Christdemokratie.
Böse, dabei ehrfürchtige Beinamen hat der andere längst zuhauf gesammelt: Von Berluskaiser sprach man, der Regisseur Nanni Moretti drehte einen Film über den „Kaiman“, einen verschlingenden Drachen nannte ihn die eigene Ehefrau, Veronica Lario. Der Medienzar und von vielen in Italien noch immer bewunderte Selfmade-Unternehmer hat 20 Jahre lang die nationale Politik nicht nur fast nach Belieben beherrscht, auch dann, wenn er gerade einmal nicht regierte. All die Zeit über arbeiteten sich auch alle an ihm ab, Freunde wie Feinde. Seit er den „Palazzo“ betreten hatte – Italiens spöttische Metapher für seine Machtzirkel - wuchs auch im Palastgarten kein Gras mehr, kein Gedanke, kein Gegenentwurf.
Wie überhaupt der Berlusconismus auch seine Gegner verdorben hat: „Statt eigene Ideen oder Programme zu entwickeln, hat sich die Linke nur mit ihm beschäftigt. Sie haben 20 Jahre lang ausschließlich von den Zinsen des Antiberlusconismus gelebt“, sagt die Soziologin Chiara Saraceno. Auch sie hält das Abenteuer Italiens mit dem 77-Jährigen nicht für beendet. „Was von Berlusconi bleibt, ist der Berlusconismus.“ Eine zynische Art Politik zu machen, die sich um Regeln nicht schert, die glaubt, dass ein Wahlsieg die Gewählten über das Gesetz stellt, die zwischen privaten und öffentlichen Angelegenheiten nicht unterscheidet, Politik ins Fernsehen verlegt, die alle Sphären nach Gutdünken mischt und zwischen ihnen wechselt. Saraceno findet es in diesem Zusammenhang auch beunruhigend, dass prominente Richter und Staatsanwälte in den letzten Jahren ohne weiteres in die Politik gingen, meist ins Anti-Berlusconi-Lager.
Auch wer außerhalb des „Palazzo“ lebt, hat sich am Berlusconismo angesteckt. Eine Umfrage förderte bereits vor Jahren zutage, dass die Neigung zur Steuerhinterziehung unter der Dauerberieselung durch den prominentesten Delinquenten, im Volke deutlich wuchs. Jeder Ausfall "Berluskaisers" gegen seine Strafverfolger sei ein Werbespot dafür, sich dem Fiskus nach Kräften zu verweigern, seufzte einst ein Kommentator. Wer die Waschpulverreklame seiner Kindheit noch herbeten kann, weiß um den Effekt solcher Werbung.
„Berlusconi hinterlässt eine zerstörte Gesellschaft mit beschädigten Institutionen“, sagt Saraceno. Die aus dem Stand erfolgreiche Bewegung des Komikers Beppe Grillo mit ihrer zerstörerischen Wut auf jede Art Politik sei die „Apotheose des Berlusconismus“. Diese beiden Jahrzehnte hinterließen das Land „tief gespalten“. Vereint sind die Italiener womöglich nur noch darin, Kinder, Opfer, Überlebende zu sein - eben des Berlusconismus.