Tourismusboom und neue Kampagne: Berlin zählt erstmals mehr als 30 Millionen Übernachtungen
Berlin hat beim Anteil internationaler Besucher kräftig zugelegt. Ein neuer Werbespruch soll den Trend verstärken.
Aus dem gewohnten Lächeln wurde ein Grinsen bei Burkhard Kieker, dem Chef der landeseigenen Marketinggesellschaft Visit Berlin. „Berlin ist jetzt im Ü-30-Club“, verkündete er am Donnerstag bei der Bekanntgabe der Tourismusbilanz 2015. Zum ersten Mal haben die Übernachtungszahlen in Berlin die 30-Millionen-Marke geknackt, das ist ein Vorjahresplus von mehr als fünf Prozent. Zum Vergleich: Der Großraum Paris verzeichnete 2015 mehr als 66 Millionen Übernachtungen. Obwohl also noch Luft nach oben ist, zählt Kieker Berlin jetzt selbstbewusst zur Liga großer Tourismusmetropolen. „Von solchen Zahlen haben wir vor zehn Jahren nicht mal zu träumen gewagt“, behauptete er. 2005 hatte Berlin nur halb so viele Übernachtungen registriert. Kieker schätzte, dass die Zahl der privaten Übernachtungen bei Freunden und Familie nochmal so hoch ist wie die in Pensionen, Hostels und Hotels. Nur letztere fließen in die Statistik ein.
Auch die Zahl der Gäste ist um rund rund vier Prozent auf 12,37 Millionen gestiegen, ihre Aufenthalte werden länger. Und immer mehr internationale Besucher kommen in die Stadt: Der Anteil ihrer Übernachtungen ist im Vergleich zu 2014 um mehr als neun Prozent gestiegen. 13,6 Millionen mal übernachteten ausländische Gäste in Berlin, der weitaus größte Teil von ihnen kam aus Großbritannien. Russische Besucher tauchen in der Top-Ten der Auslandsmärkte nicht mehr auf. Burkhard Kieker glaubt, dass das auch mit russischen Reiseverboten zusammenhängt. „Dafür feiert Spanien ein Comeback.“ Nach dem Knick durch die Wirtschaftskrise kämen Spanier nun wieder deutlich häufiger an die Spree. Flüchtlinge, die derzeit in Hotels und Pensionen untergebracht sind, werden in der Tourismusstatistik nicht mitgezählt.
500.000 Besucher täglich
Für Michael Müller (SPD) sind die Zahlen ein willkommener Grund zur Freude neben den Dauerproblemen Großstadtflughafen und Flüchtlingsunterbringung. 500.000 Besucher sind jeden Tag in Berlin unterwegs und der Regierende Bürgermeister findet: „Es können gerne noch mehr werden.“ Vor allem auf die Gäste, die zum Arbeiten herkommen, hat es Müller abgesehen. Kongress- und Tagungsgäste geben pro Tag in Berlin durchschnittlich 230 Euro aus. Der Freizeittourist bringt es auf 200 Euro.
Immerhin: Von den als 30,2 Millionen Übernachtungen entfallen bereits 7,5 Millionen auf Arbeitsaufenthalte. „Hier wünschen wir uns mehr Internationalität.“ Viele Veranstaltungen drehten sich um die Themen Gesundheit und Wissenschaft. Das seien auch die Bereiche, in denen Berlin mittlerweile gut aufgestellt sei, sagte Müller.
Kultur als Tourismus-Motor
Um den Wachstumstrend anzufeuern, soll künftig mehr in den Kunst- und Kulturbereich investiert werden. Gut drei Viertel der Museumsbesucher seien Touristen. „Wenn man sich anschaut, wer nach Berlin kommt, dann sind es vor allem die kultursuchenden, gebildeten Bundesbürger“, sagte der Regierende. Der Haushaltsplan sei entsprechend gestaltet worden. Die Mittel für kulturelle Angelegenheiten sind in den letzten Jahren gestiegen, betragen aber noch immer weniger als zwei Prozent des Gesamtbudgets.
Nicht nur das Hotel- und Gaststättengewerbe oder die Kultureinrichtungen profitieren vom Tourismusboom, auch der Einzelhandel freut sich über Besucher in Shoppinglaune. Auch die Wirtschaftsverbände lobten die Entwicklung und machten am Donnerstag ein paar Vorschläge, wie Berlin auf der Erfolgswelle bleiben kann. So forderte Hans-Jörg Schulze, Vorsitzender des Tourismusausschusses der Industrie- und Handelskammer (IHK), den Ausbau der touristischen Infrastruktur. „Dazu gehören eine optimierte Anbindung des Hauptbahnhofes für Taxis und Reisebusse, ein telematisches Leitsystem für den City-Busverkehr und kostenfreies W-Lan in der gesamten Stadt.“ Berlin müsse sich außerdem als moderner Standort für Kongresse positionieren.
Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) äußerte ähnliche Wünsche für die florierende Tourismusstadt. „Damit es so bleibt, braucht es noch mehr Service für Besucher. Das bedeutet die schnellstmögliche Eröffnung des Flughafens BER in 2017 sowie ein flächendeckendes W-Lan in der Innenstadt.“
"365/24 Berlin" soll Gäste anlocken
Die neue Marketingkampagne Berlins dürfte bald für Diskussionen sorgen. Visit Berlin stellte sie am Donnerstag neben den aktuellen Tourismuszahlen vor. „365/24 Berlin“ ist das Motto, mit dem vor allem außerhalb der Stadt künftig geworben wird. Die Zahlenkombination steht für ein Angebot rund um die Uhr – 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr. „Erst wundert man sich vielleicht über die Zahlenfolge, aber dann macht es Klick“, sagte Geschäftsführer Burkhard Kieker dem Tagesspiegel.
Er sei zuversichtlich, dass der ungewöhnliche Slogan in den Köpfen bleibe. „Wir glauben, dass Berlin immer etwas zu bieten hat, nicht nur Fan-Meile und Hoppegarten.“ Ob der Plan aufgeht, wird sich ab März zeigen. Mit Beginn der Internationalen Tourismusbörse ITB soll die Kampagne offiziell starten. Die 2008 ins Leben gerufene Dachmarke "Be Berlin" solle nicht abgeschafft werden, hieß es. Seit 2011 sind die dazugehörigen Plakate mit der roten Sprechblase aber ohnehin aus dem Stadtbild verschwunden.
"Wir machen es guerillamäßig"
Mit „365/24 Berlin“ wird in den kommenden Wochen eine Website online gehen, unter der Besucher Veranstaltungstipps mit Buchungsmöglichkeiten und eine Datenbank finden. Acht Mitarbeiter von Visit Berlin und den landeseigenen Kulturförderern „Kulturprojekte Berlin“ arbeiten derzeit gemeinsam am Konzept. Bald soll es auch einen passenden Imagefilm und ein Programmheft geben. Die Idee zum Motto komme nicht von einer Werbeagentur, sondern aus den eigenen Reihen, sagte Kieker. „Wir leisten uns keine Millionenkampagne, wir machen es guerillamäßig, weil das zu Berlin passt.“ Geplant sind Auftritte und Aktionen in Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram und Twitter.
In China – ein wichtiger touristischer Wachstumsmarkt für Berlin – sei ein Kombi-Marketing mit dem führenden Reiseanbieter C-Trip geplant. Dafür würden zunächst 100.000 Euro veranschlagt. Auch in den anderen 47 Ländern, in denen Visit Berlin aktiv ist, soll das Motto – jeweils zum dortigen Markt passend – bekannt gemacht werden.
In Deutschland und Europa sind zudem Pop-up-Stores zusammen mit Berlin Partner geplant, in denen „365/24 Berlin“ beworben werden soll. Das Geld dafür kommt aus dem Haushalt der Senatsverwaltung von Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU). „600.000 Euro stehen bereit“, sagte Kieker.
"Kieze dürfen kein Disneyland sein"
Die wachsende Tourismusbranche stellt die Stadt auch vor Probleme. Gerade in Szenebezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder Neukölln wächst der Unmut der Anwohner auf Berlins Gäste. Ein Grund dafür ist, dass sich der Mangel an Wohnraum. Der werde verknappt durch professionelle, aber kaum kontrollierte Appartementvermittler wie Airbnb oder Wimdu. „Wir schätzen die Zahl dieser Übernachtungen auf zehn Millionen pro Jahr“, sagte Burkhard Kieker.
Das geht mitunter nicht nur zu Lasten gewerblicher Anbieter, sondern kann sich auch negativ auf das Image beliebter Stadtteile auswirken. „Wenn wir weiter erfolgreich sein wollen, dürfen sich Kieze nicht in ein Disneyland verwandeln.“ Abschreckende Beispiele seien etwa Venedig oder Barcelona. Das authentische Berlin verkauft sich eben immer noch am besten.