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Gar nicht chaotisch: Vor vier Jahren parkte VW viele Elektroautos auf dem Tempelhofer Feld. 2019 startet der Konzern mit zunächst 1500 e-Golf und e-up sein Elektro-Carsharing in Berlin, ab 2020 kommen Modelle der neuen ID-Familie hinzu. Foto: imago/Florian Schuh
© imago/Florian Schuh

VW-Vorstand im Interview: "Berlin ist das Paradebeispiel für eine komplexe Verkehrssituation"

Thomas Ulbrich, VW-Vorstand für Elektromobilität, über das Chaos auf Berlins Straßen und Wege, wie der Wolfsburger Konzern das ändern will.

Herr Ulbrich, hat die Diesel-Krise oder Diesel-Thematik, wie die Autohersteller sagen, der E-Mobilität geholfen?

Volkswagen bietet bereits seit einigen Jahren Elektrofahrzeuge an – weit vor 2015 und der Diesel-Krise. Sie war also nicht der Auslöser für unseren Vorstoß in Sachen E-Mobilität. Unabhängig von den Ereignissen ab 2015 entwickeln wir bei Volkswagen die Elektromobilität nun aber konsequent weiter. Wir stehen vor einem echten Technologiesprung – und der braucht einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Ende 2019 starten wir mit der Produktion unserer neuen Elektrofahrzeuge, der sogenannten ID-Familie.

Stellen Sie denn mehr Nachfrage nach E-Fahrzeugen fest?
Ja deutlich, in vielen Märkten. Nehmen wir den e-Golf. Unsere Produktion läuft auf Hochtouren, wir sind auf Monate hin ausverkauft.

Wenn wir Ihr künftiges elektrisches Volumenmodell ID anschauen: Wer baut den Motor, die Batterie und die Batteriezellen?
Das Batteriesystem wird in Braunschweig zusammengebaut. Die Zellen kaufen wir bei LG und Samsung. Den Motor produzieren wir in Kassel selber. Das ist für uns eine Kernkompetenz.

Befürchten Sie nicht, von asiatischen Zellherstellern abhängig zu werden?
Um das zu verhindern, führen wir derzeit Verhandlungen im Industrieverbund über den Aufbau einer Fertigung von Batteriezellen in Europa. Batteriezellenfertigung ist generell eher Aufgabe der Zulieferer. Gleichwohl haben wir in Salzgitter unser Center of Excellence rund um das Thema Batteriezellen aufgebaut. Wir brauchen selber Batteriekompetenz – über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Nur so schaffen wir es, für unsere Kunden das Beste ins Auto zu bekommen.

Mit welchen Akkuleistungen werden Sie den ID anbieten?
Wir steigen mit rund 50 Kilowattstunden (kWh) Batteriekapazität in der Basisversion ein – und skalieren hoch bis 80 kWh. Damit hat der Kunde eine Reichweite von 330 bis über 550 Kilometern nach der neuen WLTP-Messmethode. Im Fahralltag ist es dann ein bisschen weniger.

Sie wollen bei Ihren 4000 VW-Händlern in Europa Ladesäulen anbieten. Aber was bringt das in der Praxis? Mein nächster VW-Händler ist kilometerweit entfernt. Warum sollte ich da laden?
Die neuen Ladepunkte bei unseren Händlern werden öffentlich sein. Die kann jeder nutzen, nicht nur der Volkswagen-Kunde. Wir erweitern damit also das öffentliche Ladenetz. Und dadurch steigt die Alltagstauglichkeit eines E-Autos nochmals deutlich. Zum Beispiel kann es sein, dass Ihr Supermarkt neben dem Volkswagen-Händler liegt. Dann können Sie in 20 Minuten während des Einkaufs vielleicht nicht vollladen, aber doch eine ordentliche Menge Strom tanken. Wir wollen den Kunden damit ein weiteres Stück der heute durchaus noch vorhandenen Reichweitenangst nehmen.

Thomas Ulbrich (52) ist im Markenvorstand von Volkswagen zuständig für E-Mobilität. Zuvor leitete er vier Jahre lang den Geschäftsbereich Produktion und Logistik.
Thomas Ulbrich (52) ist im Markenvorstand von Volkswagen zuständig für E-Mobilität. Zuvor leitete er vier Jahre lang den Geschäftsbereich Produktion und Logistik.
© imago/Robert Michael

VW will künftig nicht nur Autos anbieten, sondern auch ein Home Energy Management System. An wen richten Sie sich damit?
Wir richten uns hier an Einfamilienhaus-Besitzer, die ihr Auto zuhause laden, aber auch gleichzeitig Strom ins Netz einspeisen. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und neben dem E-Auto vielleicht noch einen Speicher in der Garage oder im Keller. So können unsere Kunden durch eine intelligente Vernetzung ein Maximum an Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit erreichen.

Arbeiten Sie mit einem Energieversorger zusammen?
Bisher nicht. Wir wollen diese geschäftlichen Aktivitäten insgesamt aber bündeln und ausbauen. Wir können uns hier entsprechende Kooperationen gut vorstellen. Dabei sollte man aber nicht nur auf die Energieversorger gucken. Es gibt auch sehr interessante kleinere Unternehmen, zum Beispiel Mobility House. Wir sind grundsätzlich in viele Richtungen offen für eine Zusammenarbeit. Klar ist dabei: Das Auto bleibt in unserer Hand – respektive in Kundenhand.

Mit ihren neuen Mobilitäts- und Ridesharing-Diensten „We“ und „Moia“ ziehen Sie nach Berlin. Wie sehen Sie den Verkehr der Zukunft in der Hauptstadt?
Für mich ist Berlin das Paradebeispiel für eine komplexe Verkehrssituation in einer deutschen Metropole. Hier lässt sich mit neuen Mobilitätskonzepten viel zum Positiven verändern. Volkswagen führt deshalb unter der Marke „We Share“ ein rein elektrisches Carsharing-Angebot in Berlin ein. Die erste Fahrzeugflotte startet in 2019 mit unserem e-Golf sowie dem e-up, ab 2020 wird die Flotte sukzessive auf die ersten Modelle der neuen ID-Familie umgestellt. Ich bin überzeugt, dass Berlin generell eine Vorreiterrolle in Sachen neuer Mobilität haben wird. Auch die Politik kann hier viel bewegen, etwa mit zusätzlichem Parkraum, den man den Mobilitätsdiensten zur Verfügung stellt, oder der Nutzung von Busspuren.

Wann werden diese E-Autos in Berlin oder anderswo autonom fahren?
Das wird weltweit unterschiedlich schnell gehen. China ist mit seiner Regulierung relativ nah dran, sein Verständnis von autonomem Fahren in den nächsten fünf bis sieben Jahren zu realisieren. In Deutschland wird autonomes Fahren zunächst eher in abgegrenzten Bereichen passieren. Ich finde es richtig und konsequent, dass einzelne Städte anfangen, Versuchsstrecken und die Infrastruktur aufzubauen. Nehmen wir W-Lan-fähige Ampeln. Auch hier ist in der Gesetzgebung noch viel zu tun. In jedem Fall werden unsere Fahrzeuge innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre technisch für das autonome Fahren bereit sein.

Thomas Ulbrich ist im Markenvorstand von Volkswagen seit Februar verantwortlich für E-Mobilität. Zuvor leitete er vier Jahre lang den Geschäftsbereich Produktion und Logistik. Mit diesem Thema hatte sich der Diplom-Ingenieur auch bei VW in China beschäftigt. Schon 2008 war Ulbrich Produktionsvorstand von Volkswagen Nutzfahrzeuge geworden. Der heute 52-Jährige kommt aus einer VW-Familie: Sein Vater war 35 Jahre lang Werkzeugmacher in Wolfsburg. Ulbrich junior machte eine Ausbildung zum Kfz-Schlosser und studierte an der Fachhochschule Hamburg Fahrzeugbau. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Zur Arbeit nach Wolfsburg fährt er mit einem e-Golf.

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