Daimler: Beim Diesel-Thema hört der Spaß auf
Die Hauptversammlung in Berlin feiert das beste Jahr in der Konzerngeschichte - doch der Abgasskandal wirft seinen Schatten.
Der Blick zurück fällt Dieter Zetsche leicht. “Hinter uns liegt das erfolgreichste Jahr in der Geschichte Ihres Unternehmens”, sagt der Daimler-Chef am Mittwoch auf der Hauptversammlung in Berlin. Die rund 5000 Aktionäre, die den City-Cube auf dem Messegelände bis auf den letzten Platz füllen, sind in Applaus-Laune. Aufsichtsratschef Manfred Bischoff hat seinen Beifall schon nach dem ersten Satz seiner Rede bekommen, in der er das Rekordjahr 2015 preist. “Es ist schon schön, so anfangen zu können”, sagt der 73-Jährige, dessen Vertrag noch einmal verlängert werden soll - unter Protest einiger Aktionärsvertreter.
Tatsächlich ging es Daimler nie so gut wie im vergangenen Geschäftsjahr: Das Konzernergebnis stieg fast um ein Viertel auf 8,9 Milliarden Euro, der operative Gewinn wuchs noch stärker um 36 Prozent auf 13,8 Milliarden Euro. Die Aktionäre können sich über eine Anhebung der Dividende um ein Drittel auf 3,25 Euro je Aktie freuen. Auch ins Jahr 2016 ist Daimler schwungvoll gestartet: Der Pkw-Absatz (Mercedes und Smart) erreichte von Januar bis März mit einem Plus von 13,2 Prozent auf fast 519.000 Fahrzeuge einen Rekordstand. Mercedes hat damit BMW und Audi überholt, ab 2020 soll das dauerhaft so sein. “Der Stern ist wieder da, wo er hingehört: an der Spitze der Reputation der Automobilbauer”, sagt Bischoff.
Klage der Umwelthilfe wegen Verbrauchertäuschung
Doch der gute Ruf ist ein gefährdetes Gut - wie der Diesel-Skandal beim Wettbewerber Volkswagen zeigt. Auch Daimler sieht sich mit neuen Vorwürfen und - seit Mittwoch - mit einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) konfrontiert. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch bestätigte, dass der Verein eine Unterlassungsklage wegen Verbrauchertäuschung beim Landgericht Stuttgart eingereicht hat.
Die DUH wirft dem Stuttgarter Autokonzern vor, falsche Angaben in seiner Werbung für Dieselautos zu machen. Eine technische Einrichtung, die die Abgasreinigung bei Mercedes-Modellen in bestimmten Temperaturbereichen herunter regelt, werde - anders als von Daimler dargestellt - unzulässig eingesetzt. Diesel-Mercedes seien auf der Straße deutlich schmutziger unterwegs als offiziell angegeben. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags kommt in einem aktuellen Gutachten zu der Einschätzung, dass Abschalteinrichtungen, die viele Autohersteller nutzen, nur in sehr wenigen Ausnahmefällen aktiviert werden dürfen.
Daimler-Chef Zetsche weist die Vorwürfe mit den gleichen Worten wie in der Vergangenheit zurück: Abweichungen zwischen Abgaswerten im Labor und auf der Straße seien “keine Manipulation, sondern Folge der gesetzlichen vorgeschriebenen Messverfahren, die auf Vergleichbarkeit angelegt sind”. Daimler argumentiert, der Gebrauch legaler Abschalteinrichtungen sei notwendig, um Bauteile zu schützen. “Bei Mercedes glauben wir an den Diesel”, betont Zetsche. Der Konzern investiere insgesamt 2,6 Milliarden Euro in eine neue Generation von Dieselmotoren, die es zuerst in der neuen E-Klasse gebe, die vom kommenden Wochenende an verkauft wird und der Gewinnbringer der Marke ist.
Aktionäre sind skeptisch
Restlos überzeugend ist das für viele Aktionäre allerdings nicht. “Wir sehen hier enorme Klage- und Reputationsrisiken für die gesamte Automobilindustrie”, sagt Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Sein Lob für den Vorstand trübt Speich mit Zweifeln daran, ob das Unternehmen tatsächlich sicher stellt, dass Diesel-Mercedes die Abgas-Grenzwerte über alle Fahrzyklen einhalten. Der Abgas-Skandal bei VW hat auch die Daimler-Aktionäre und den Kapitalmarkt verunsichert.
“Man hat das Gefühl, die Börse weiß mehr”, sagt Roland Klose von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) mit Blick auf den gefallenen Aktienkurs. Daimler verweist auf die Konkurrenz, deren Kurse zuletzt ebenfalls gesunken sind. Doch nach dem Rekordjahr ergeben sich Fragen: “Es ist unplausibel, dass der Kurs Richtung Süden zeigt”, sagte Hans-Martin Buhlmann von der Vereinigung institutioneller Privatanleger (VIP). “Was machen Sie da falsch?”
Tesla setzt Daimler unter Druck
Am Mittwoch rutscht die Daimler-Aktie um fast zwei Prozent ans Dax-Ende. Eine Reaktion auf Bemerkungen Zetsches, dass Daimler wohl erst im zweiten Halbjahr an die Erfolge des Vorjahres anknüpfen werde. Die Gründe: hohe Anlaufkosten für die neue E-Klasse, die starke Nachfrage nach weniger rentablen Kompaktwagen und die Schwäche in einigen Kernmärkten des Lkw-Geschäfts. Auch Aufsichtsratschef Bischoff sagt: “Ein anspruchsvolles Jahr ist angebrochen.”
Dafür hat unter anderem auch Tesla gesorgt. Der amerikanische Elektroautobauer verzeichnet gerade eine stürmische Nachfrage nach seinem Model 3, das erst Ende 2017 ausgeliefert werden soll. “Wir haben kein echtes Konkurrenzprodukt”, rügt VIP-Chef Buhlmann. Auch Fondsmanager Speich weist auf die “Angriffe aus dem Silicon Valley” hin. Doch ob Tesla, Google oder Apple - Daimler-Chef Zetsche glaubt, die Tech-Konzerne, die auf den Automobilmarkt drängen, auf Abstand halten zu können, trotz Digitalisierung und Automatisierung, den Megatrends der Branche. “Ein Mercedes bleibt auch in Zukunft ein Mercedes”, sagt der 62-Jährige Top-Verdiener, der 2015 insgesamt mehr als 14 Millionen Euro kassierte.