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Alles soll weg: In Deutschland benutzen Bauern Glyphosat, um das Feld nach der Ernte von wilden Trieben und Unkraut zu befreien.
© DPA
Exklusiv

Neue Strategie für Europa: Bayer geht auf Glyphosat-Kritiker zu

Frankreich, Deutschland, Österreich und die Niederlande sind gegen Glyphosat. Eine Verlängerung der Zulassung in der EU ist ungewiss. Jetzt reagiert Bayer.

An der grundsätzlichen Position ändert sich nichts, das ist Bayer wichtig. Glyphosat-basierte Produkte würden in der Unkrautbekämpfung weltweit nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, betont Liam Condon, der im Vorstand für das Agrargeschäft (Crop Science) zuständig ist. Und nach wie vor sei Bayer auch von der „Sicherheit und Effektivität dieser Produkte“ überzeugt, sagte Condon dem Tagesspiegel. So weit, so gut.

Bayer respektiert den Wunsch, den Glyphosat-Einsatz zu reduzieren

Doch angesichts der wachsenden Kritik in Europa plant der deutsche Konzern, der im vergangenen Jahr den US-Glyphosathersteller Monsanto übernommen hatte, jetzt einen grundlegenden Schwenk in seiner Europa-Strategie für Glyphosat. Bayer geht auf seine Kritiker zu. Man respektiere, dass es in einigen europäischen Ländern den Wunsch der Politik gebe, den Einsatz von Glyphosat zu reduzieren, sagt Condon. „Daher werden wir mit den unterschiedlichsten Interessengruppen zusammenarbeiten, um alternative Lösungen zu entwickeln“, sagte der Bayer-Vorstand dem Tagesspiegel. Neben Landwirten, Regierungen, Universitäten will Bayer auch mit Nichtregierungsorganisationen, NGOs, reden, also mit denen, die Glyphosat seit jeher heftig bekämpfen.

„Dieses Ziel“, betont Condon, „werden wir auch im Rahmen des bevorstehenden Verfahrens zur Wiederzulassung glyphosat-basierter Produkte über das Jahr 2022 hinaus verfolgen.“ Übersetzt heißt das wohl: Wenn sich nach dem Jahr 2022 einzelne EU-Länder für ein Glyphosat-Aus entscheiden, wird Bayer das akzeptieren und nicht dagegen vorgehen – eine unternehmens- und agrarpolitische Kehrtwende in der EU.

Liam Condon ist im Bayer-Vorstand für das Agrargeschäft zuständig.
Liam Condon ist im Bayer-Vorstand für das Agrargeschäft zuständig.
© Doris Spiekermann-Klaas

Glyphosat ist weltweit das meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel. Das Pestizid ist hochwirksam. Es vernichtet alles Grün, mit dem es auf Feldern, in Parks, am Wegesrand oder in Gärten in Berührung kommt. Deutsche Bauern setzen das Mittel vor allem ein, um die Felder nach der Ernte für die Neubepflanzung vorzubereiten und um besonders hartnäckiges Unkraut wie Quecken zu vernichten. In den USA und in Südamerika wird Glyphosat auch während der Wachstumsphase versprüht, weil das dort verwendete gentechnisch veränderte Saatgut etwa aus dem Haus Monsanto die Pflanzen resistent gegen Glyphosat macht.

Nord- und Südamerika sowie Kanada sind die Hauptmärkte für Glyphosat, der europäische Anteil am Weltumsatz liegt unter zehn Prozent. In der EU wird Glyphosat vor allem in Spanien, Italien, Frankreich und Großbritannien eingesetzt. Deutschland hat am Gesamtumsatz, den Bayer Crop Science weltweit mit Glyphosat macht, einen Anteil von unter einem Prozent.

Umweltschützer kritisieren, dass Glyphosat der Artenvielfalt schadet und mitschuld ist am Insektensterben. Die Berliner Stadtreinigung BSR verzichtet bereits seit 2017 auf das Gift, die Bahn – der größte Abnehmer von Glyphosat in Deutschland – will den Einsatz ab dem nächsten Jahr halbieren. Das österreichische Parlament hat im Juli ein komplettes Glyphosat-Verbot beschlossen, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte bereits im vergangenen Jahr versucht, die Substanz zu verbieten – allerdings vergeblich. Die Bauern waren auf die Barrikaden gegangen.

Hinzu kommt: Glyphosat ist auf EU-Ebene bis zum 15. Dezember 2022 zugelassen. Nationale Verbote würden daher gegen EU-Recht verstoßen. Anders sieht es aus, wenn die Anwendung nicht verboten, sondern nur eingeschränkt werden soll.

Die Bahn ist in Deutschland der größte Abnehmer von Glyphosat. Der Staatskonzern will den Einsatz aber im nächsten Jahr halbieren.
Die Bahn ist in Deutschland der größte Abnehmer von Glyphosat. Der Staatskonzern will den Einsatz aber im nächsten Jahr halbieren.
© dpa

An einer solchen Strategie arbeitet derzeit die Bundesregierung. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) hatte im vergangenen Jahr ein Eckpunktepapier vorgelegt, das Privatleuten den Einsatz von Glyphosat verbieten und Landwirten die Verwendung erschweren soll. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ging das jedoch nicht weit genug. Sie will von Bauern, die Herbizide einsetzen, Ausgleichsflächen, auf denen nicht gespritzt werden darf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine Einigung bis September in Aussicht gestellt. Das könnte klappen. Am Montag haben sich die Staatssekretäre beider Häuser getroffen. „Wir sind in den letzten Zügen“, heißt es im Umweltministerium.

Klöckner: Keine Verlängerung der Zulassung in der EU

Auf EU-Ebene sieht Klöckner für Glyphosat schwarz. „Es ist nicht davon auszugehen, dass es nach 2022 noch eine Mehrheit für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung gibt“, hatte die Ministerin im Juli im Tagesspiegel-Interview gesagt.

Bayer hofft dagegen auf eine erneute Zulassung in der EU. Und ist bereit, dafür einiges zu tun. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die führenden nationalen Behörden will der Konzern mit einem Dossier versorgen, das transparent erstellt und die neuesten Studien widerspiegeln soll. Sollte die EFSA ihre Bewertung bestätigen, dass Glyphosat bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sicher ist, „werden wir die Wiederzulassung anstreben“, kündigte Condon an. Allerdings nicht mit der Brechstange. Bayer wolle die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitgliedstaaten anerkennen und „einen angemessenen Vorschlag zu sinnvollen Einsatzgebieten unterbreiten.“ Alles oder nichts war gestern.

Nationale Alleingänge in der EU

Tatsächlich sind die Bedürfnisse innerhalb der EU unterschiedlich. Während Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Österreich Glyphosat ablehnen, gelten Spanien und die osteuropäischen Staaten als Unterstützer. Ein möglicher Kompromiss könnte der Weg sein, den die EU bereits bei der grünen Gentechnik gegangen ist: Auf EU-Ebene lässt man zu, gibt den einzelnen Ländern aber den Spielraum, nationale Anwendungsverbote zu erklären. Mit EU-Recht wäre das wohl vereinbar, heißt es bei der EU.

Grüne kritisieren Kuhhandel

„Bayer fürchtet um die Glyphosat-Zulassung. Darum deutet der Konzern jetzt einen Kuhhandel wie bei der Gentechnik an", sagte Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik und Bioökonomiepolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. Offenbar um den EU-Staaten 2022 eine weitere EU-Genehmigung für den Pflanzenvernichter abzuhandeln, will Bayer es ihnen ganz gönnerhaft freistellen, dafür national die Verwendung aus sogenannten „politischen Gründen“ einschränken zu dürfen. Das ist ganz und gar widersinnig, denn Glyphosat muss aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes vom Markt. Ganz abgesehen davon, dass derartige Zugeständnisse eine mehr als fragwürdige Basis für Entscheidungen souveräner demokratischer Staaten sind."

Klagewelle in den USA

Mit Glyphosat hat sich Bayer viel Ärger ins Haus geholt. Mehr als 18.400 Klagen sind in den USA anhängig. Die Kläger verlangen Schadensersatz, weil sie glauben, dass Glyphosat Krebs erzeugt. Bayer weist das zurück und beruft sich auf die entsprechenden Einschätzungen der Zulassungsbehörden weltweit. Dennoch gingen die ersten drei Prozesse verloren, derzeit steckt der Konzern in Vergleichsverhandlungen. Die Aktie ist unter Druck.

Anfang des Jahres hatte Bayer den einstigen grünen Spitzenpolitiker Matthias Berninger geholt, um das Image zu reparieren und das Unternehmen nachhaltiger zu machen. Erste Spuren sind sichtbar: So will Bayer in den kommenden zehn Jahren fünf Milliarden Euro in die Entwicklung neuer, nicht glyphosatbasierter Möglichkeiten der Unkrautbekämpfung investieren. Das können chemische oder biologische Methoden sein. Oder digitale Lösungen: Roboter, die Unkraut jäten.

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