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Gebremste Globalisierung. In der Pandemie wurden die Schwächen der Lieferketten ebenso offensichtlich wie die Gefahr von Abhängigkeiten. Ohne Halbleiter aus Asien läuft nicht viel in der deutschen Industrie.
© AFP

Der Industrie fehlt Material: Aufschwung ohne Schwung

Unternehmen beklagen zähe Bürokratie und lahme Digitalisierung. Und Nachschub fehlt auch an allen Ecken und Enden.

Brüchige Lieferketten, teure Rohstoffe und fehlendes Material machen der deutschen Industrie zu schaffen und drücken das Wachstum in den kommenden Monaten. Mittel- und langfristig jedoch haben die Unternehmen andere Sorgen. „Digitalisierung, Klimaschutz und der Fachkräftemangel sind die wichtigsten Zukunftsthemen“, resümierte DIHK-Präsident Peter Adrian die jüngste Umfrage des Dachverbandes der Industrie- und Handelskammern am Mittwoch in Berlin. Die nächste Bundesregierung habe die Aufgabe, mit schnellen Reformen den Standort attraktiver zu machen. „Unsere Wirtschaft braucht jetzt einen spürbaren Investitions-Ruck.“ Dazu gehören Adrian zufolge private und öffentliche Investitionen sowie eine effizientere Verwaltung. „Wir müssen zügiger entscheiden können.“

Schlechte Noten für die Verwaltung

41 Prozent von 3500 befragten Unternehmen wünschen sich eine leistungsfähigere öffentliche Verwaltung, die alles in allem mit der Schulnote 4,8 bewertet wird. Für die hohen Strompreise, unter denen vor allem die Industrie leidet, gibt es als Standortmalus eine 4,5. Positiv beurteilen die Unternehmen die duale Berufsausbildung, die Rechtssicherheit hierzulande sowie die Qualität der Forschung. Fast zwei Drittel der Unternehmen sehen Handlungsbedarf bei der digitalen Infrastruktur, etwa Glasfaserleitungen.

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„Wir erleben einen Aufschwung mit angezogener Handbremse“, hieß es ebenfalls am Mittwoch bei der Vorstellung der neuesten Prognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Die Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten wie Halbleitern würden die deutsche Wirtschaft bis weit ins nächste Jahr belasten. 77,4 Prozent der Unternehmen melden Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten, hat das Münchener Ifo-Institut in einer Umfrage ermittelt. „Der Flaschenhals auf der Beschaffungsseite wird immer enger“, meinte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe.

Nur noch 2,6 Prozent Wachstum

Für 2021 korrigierte deshalb das IMK seine Wachstumsprognose von 4,5 auf 2,6 Prozent. Im nächsten Jahr könnte das Bruttosozialprodukt dann um gut fünf Prozent steigen. Vor allem der private Konsum soll dann die Konjunktur befeuern. In der Pandemie war die Sparquote hierzulande auf gut 20 Prozent gestiegen. Der Durchschnittsverbraucher hat also Nachholbedarf beim Konsum.

Gasimporte um 170 Prozent teurer

Allerdings wird ein Teil des Geldes für fossile Energie benötigt: Die deutschen Importe haben sich im August wegen deutlich höherer Preise für Öl und Gas so stark verteuert wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die Einfuhrpreise stiegen um 16,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, teilte das Statistische Bundesamt mit. Eine kräftigere Zunahme gab es zuletzt im September 1981 im Zuge der zweiten Ölkrise mit 17,4 Prozent. Allein die Gasimporte verteuerten sich im August um mehr als 170 Prozent. Klammert man Energie aus, stiegen die Einfuhrpreise „nur“ noch um 9,8 Prozent. Besonders auffällig waren ferner die Preissteigerungen bei Eisenerzen (plus 96,8 Prozent), Holz (61,6 Prozent), Roheisen und Stahl (57,7 Prozent), Rohkaffee (plus 34,5) und Getreide (plus 25,6).

Inflation steigt weiter

Die teuren Importe schlagen mit Wucht auf die die Lebenshaltungskosten durch, die Inflationsrate lag im August mit 3,9 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1993 und steigt weiter. In Brandenburg erreichte die Rate im September bereits 4,8 Prozent, wie das Potsdamer Statistikamt mitteilte. Bundesweite Daten dazu werden an diesem Donnerstag veröffentlicht. Ökonomen rechnen mit einer Inflationsrate von 4,2 Prozent.

Trotz hoher Preise und Materialknappheiten hat sich die Stimmung in der Wirtschaft der Euro-Zone im September überraschend aufgehellt. Das hierfür ermittelte Barometer stieg um 0,2 auf 117,8 Punkte, wie aus den am Mittwoch veröffentlichten Daten der EU-Kommission hervorgeht. Ökonomen hatten mit einem Rückgang auf 116,9 Punkte gerechnet. Besonders deutlich verbesserte sich die Stimmung in Spanien (plus 1,7), Deutschland (plus 0,8) und den Niederlanden (plus 0,6). Sie verschlechterte sich hingegen in Frankreich (minus 1,3) und Italien (minus 0,9). Nach Einschätzung von EZB-Chefin Christine Lagarde macht die Erholung der Wirtschaft von der Pandemiekrise zunehmend Fortschritte, so dass bereits Ende des Jahres das Vorkrisenniveau übertroffen werden dürfte. Die EU-Kommission erwartet bislang für das laufende Jahr beim BIP der Euro- Zone ein Plus von 4,8 Prozent.

Auch die Briten belasten

Womöglich muss diese Prognose aber auch nach unten korrigiert werden, zumal die Situation in Großbritannien auf den Kontinent ausstrahlt. „Das eine oder andere Produkt kann nicht geliefert werden, gerade wenn es sich um leicht verderbliche Waren wie etwa frische Lebensmittel handelt“, sagte der Generaldirektor der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer, Ulrich Hoppe zur Lkw-Krise. Der Handel leide aber vor allem aufgrund des Brexit. Etwa ein Prozent des Wachstumspotenzials gehe der britischen Wirtschaft dadurch jährlich verloren. Das wiederum dämpfe auch die Nachfrage nach Waren aus Deutschland und Europa. Großbritannien droht in diesem Jahr erstmals seit 1950 der Abschied aus den Top Ten der wichtigsten deutschen Handelspartner. mit rtr/dpa

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