EU-Ermittlungen: Auf den Spuren des Auto-Kartells
Die EU-Kommission sucht nach Hinweisen für illegale Absprachen. Experten haben die Branche schon lange im Verdacht.
Berlin/Brüssel - Die EU-Kommission reagiert auf Nachfragen in gereiztem Ton auf den Kartellverdacht gegen fünf deutsche Autohersteller. Zwei Jahre nach der Aufdeckung des Diesel-Skandals sei es nun wichtig, dass alle, also Regierungen, Verbraucher und Industrie, „endlich“ ihren Job erledigten, sagt ein Sprecher. Die Kommission werde die Puzzleteile im Auto-Drama so zusammensetzen, dass es am Ende höhere Standards im Verbraucherschutz gebe. In Brüssel ist die Verärgerung ohnehin groß, weil der DieselSkandal kein Ende zu nehmen scheint. „Das Schlimme ist, dass die volle Dimension des Diesel-Skandals bis heute schwer einzuschätzen ist“, sagt ein hoher EU-Beamter. Auch Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska verliert die Geduld. Der Eindruck hat sich verfestigt, dass die Bundesregierung im Zweifel mit der Autoindustrie paktiert und einer schärferen Regulierung im Weg steht. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte am Montag erklärt, dass EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Federführung bei der Aufklärung der Kartell-Vorwürfe übernimmt. Das Bundeskartellamt ist daran beteiligt.
In den USA hingegen kommt die Aufklärung in Sachen Abgas-Skandal vor Gericht besser voran. Dort will sich ein seit Anfang des Jahres inhaftierter Volkswagen-Manager nun doch schuldig bekennen. Die Anwälte des langjährigen VW-Mitarbeiters haben den zuständigen Richter informiert, dass ihr Mandant ein Geständnis abgeben will. Das Schuldbekenntnis soll bei einer Anhörung am 4. August erfolgen. Die USA beschuldigen den Mann, Teil einer Verschwörung zum Betrug und Verstoß gegen US-Umweltgesetze gewesen zu sein.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will nun vor dem „Diesel-Gipfel“ am 2. August mögliche Erkenntnisse der EU-Kommission einholen. Er habe Vestager gefragt, welche Art von Informationen sie in Zusammenhang mit dem „Gipfel“ mitteilen könne, sagte Dobrindt am Dienstag in Berlin. Auch beim Bundeskartellamt habe er sich wegen der Vorwürfe erkundigt.
Neuerlich scharfe Angriffe gegen Dobrindt kamen am Dienstag von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Das Verkehrsministerium hatte am Tag zuvor behauptet, erst am Freitag von den Vorwürfen erfahren zu haben. Bereits im Mai hatten jedoch die Grünen im Hause Dobrindt auf entsprechende Gerüchte hingewiesen und zur Antwort erhalten, dem Ministerium sei davon nichts bekannt. Entweder sei das Ministerium „ahnungslos und naiv vertrauensselig, oder es hat bewusst gelogen“, warf Hofreiter nun Dobrindts Haus vor und forderte: „Die Aufklärung muss endlich zur Chefsache der Bundeskanzlerin werden.“
Die EU-Beamten von Vestager hüllen sich derweil in Schweigen. Sie sagen noch nicht einmal, seit wann sie die Akten haben. Dies bedeutet, die Ermittler haben noch keine Gewissheit, ob an den Vorwürfen etwas dran ist. Nach dem Bericht über eine „Art Selbstanzeige“ von VW und Daimler wuchs der Druck auf die Kommission, zumindest die Ermittlungen in der Sache zu bestätigen.
Mit Selbstanzeigen versuchen Unternehmen, die an Kartellen beteiligt waren, als Kronzeugen straffrei zu bleiben. 100-prozentige Straffreiheit kann aber nur das Unternehmen bekommen, das die Behörden als Erstes informiert – Medienberichten zufolge war das Daimler. Dennoch dürfte auch Volkswagen einen Vorteil von seiner Selbstanzeige haben: Für weitere Informanten, die zur Aufklärung beitragen, sind immerhin noch Strafminderungen bis zu 50 Prozent möglich. Die EU-Kommission macht keine Angaben dazu, ob zuerst Daimler und womöglich später Volkswagen eine förmliche Selbstanzeige erstattet haben.
Für die Wettbewerbshüter ist die Abgrenzung zwischen Branchengesprächen und Kartellabsprachen nicht leicht. „Wenn Absprachen über technische Gestaltungen den Verbrauchern einen Vorteil bringen, ist eine Freistellung vom Kartellverbot möglich“, sagte Daniel Zimmer, Ex-Vorsitzender der Monopolkommission. Das beträfe etwa einheitliche Normen von Ladesäulen. „Bei einer Verständigung darüber, Harnstofftanks klein zu halten, dürfte das aber nicht der Fall sein.“ Axel Friedrich, Verkehrsexperte und früherer Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, der mit der Deutschen Umwelthilfe zusammenarbeitet, kennt „etwa 150 der rund 200 am Kartell beteiligten Personen“, wie er dem Tagesspiegel sagte. „Beweisen konnte ich das bisher nicht, ohne Informanten zu gefährden“, sagte er.
Schon in seiner Zeit beim Umweltbundesamt hatte er Hinweise, dass Abgasgrenzwerte selten eingehalten wurden. Friedrich bemängelt seit Jahren, dass die staatliche Überwachungsinfrastruktur fast vollständig abgebaut worden sei. In Mecklenburg-Vorpommern gebe es „nicht einen Mitarbeiter, der für Marktüberwachung zuständig ist“, kritisiert er. Dieser Rückzug des Staates ist aus seiner Sicht der Grund, warum sich die Autoindustrie offenbar unangreifbar fühlte.
Die Ermittlungen der EU-Beamten werden dauern. Das zeigt zum Beispiel das Lkw-Kartell, in dem über 14 Jahre rechtswidrig Preise abgesprochen worden waren. In diesem Fall vergingen fünfeinhalb Jahre nach einer Selbstanzeige von MAN, bis Kommissarin Vestager eine Rekordgeldbuße von knapp drei Milliarden Euro verhängte. Grundsätzlich kalkuliert die Kommission so: Verstöße im Zusammenhang mit hohen Umsätzen und über einen langen Zeitraum werden als besonders gravierend angesehen. Die Kommission stützt sich auf Untersuchungen der OECD, wonach illegale Preisabsprachen die Preise im Schnitt um 15 bis 20 Prozent in die Höhe treiben. Die Geldbuße richtet sich nach dem Jahresumsatz, den ein Unternehmen mit dem betreffenden Produkt erzielt hat. Grundsätzlich ist eine Buße von bis zu 30 Prozent des betreffenden Umsatzes denkbar. Die Summe richtet sich aber vor allem nach der Schwere des Vergehens und der Reichweite des Kartells. Zumeist wird eine Buße im Bereich von 15 bis 20 Prozent verhängt. Der so ermittelte Betrag wird dann mit der Zahl der Jahre und Monate multipliziert, in denen das Vergehen vorgekommen ist. Bei Wiederholungstätern kann die Buße erhöht werden. mit asi/dpa