zum Hauptinhalt
Steak nur am Samstag und Sonntag. Die Argentinier müssen selbst am geliebten Fleisch sparen. In vielen Restaurants bleibt der Grill unter der Woche kalt.
© Getty Images/iStockphoto
Update

Krise und Korruption: Argentiniens Angst vor der Pleite

Die Krise der Schwellenländer trifft das südamerikanische Land besonders. Die Währung stürzt ab, die Preise steigen – selbst beim Rindfleischexport ist Argentinien abgehängt.

Wenn der Grill kalt bleibt, ist die Not in Argentinien wirklich groß. Doch wer in diesen Tagen in dem südamerikanischen Land unterwegs ist, erlebt immer wieder, dass es in Restaurants heißt: „Parilla nur Samstag und Sonntag.“ Unter der Woche lohnt es sich für viele nicht, die riesigen Grillroste zu befeuern. Falls doch einmal ein Kunde auf die Idee kommt, ein Steak zu bestellen, wird es in der Pfanne gebraten.

Argentinien steckt in der Krise. Wieder einmal. Die Inflation wird nach den jüngsten Prognosen in diesem Jahr die Marke von 40 Prozent übersteigen, die Wirtschaft schrumpft, die Währung brach in einem halben Jahr um 50 Prozent ein. Plötzlich geht die Angst vor der nächsten Pleite um.

Dabei schien nach dem Staatsbankrott 2001 das Schlimmste überstanden. Der vor drei Jahren zum Präsidenten gewählte frühere Unternehmer Mauricio Macri versucht, Vertrauen in Politik und Wirtschaft zurückzugewinnen. Er öffnete das Land für die Finanzmärkte und beendete den Populismus der vergangenen Dekade, als Cristina Kirchner und zuvor ihr verstorbener Mann Nestor das Land regierten. Sie hatten die Wirtschaft weitgehend abgeschottet. Um ihre Wagen im Land einzuführen, mussten Autobauer wie BMW im Gegenzug Soja, Reis oder Wein exportieren. Der Kauf von Devisen war weitgehend verboten, dafür florierte der Schwarzmarkt. Auch die Inflation war enorm hoch, wobei die offiziellen Statistiken geschönt wurden.

Auf dem Weg zum zweiten Venezuela

„Wir waren auf dem Weg, ein zweites Venezuela zu werden“, sagt Macri oft. Die Hoffnung, das abzuwenden, brachte ihm unter anderem den Wahlsieg. Doch ausgerechnet in diesem Jahr, wo Argentinien die Präsidentschaft der G20 innehat und im November die wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt zum jährlichen Gipfel nach Buenos Aires einlädt, kam es zum erneuten, überraschenden Absturz. „Wir wurden nicht Venezuela, aber leider waren wir wieder einmal Argentinien“, sagt der Soziologe Eduardo Fidanza. Was ist passiert?

Es kommen gleich mehrere Punkte zusammen: Eine starke Dürre hat die Landwirtschaft getroffen, die Sojaexporte sind um ein Drittel eingebrochen. Die Bohne ist einer der wichtigsten Devisenbringer. Höhere Zinsen und die Steuerpolitik von Donald Trump sorgen weltweit dafür, dass Kapital aus Schwellenländern abgezogen wird, um es in den USA zu investieren. Das belastet auch Länder wie Indien und Südafrika, aber neben der Türkei ist Argentinien besonders betroffen.

Nachdem das Land über Jahre seine Schulden nicht bedienen konnte und wollte, hatte es sich erst langsam wieder gegenüber den Märkten geöffnet. Auch vor 2001 hatte es immer wieder mit Inflation und Währungskrisen zu kämpfen. Der Absturz des Peso weckte so alte, tief sitzende Ängste. Der Dollarkurs wird täglich ausführlich im Fernsehen diskutiert. Trotzdem versucht man, die Krise mit Humor zu nehmen: Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), gehört daher zum festen Repertoire von Imitatoren, die sie in TV-Sketchen neben Maradona und dem Präsidenten auftreten lassen.

Abwertung war überfällig

Ein Grundproblem: Das Vertrauen in die eigene Währung und die Banken ist ohnehin schwach. Trotz vieler Einbrüche werden Ersparnisse lieber unter der Matratze als auf dem Konto gehortet. Lange Schlangen gehören zum Straßenbild: Viele Argentinier stehen am Anfang des Monats bei den Banken an, um ihr Gehalt oder die Rente komplett in bar abzuheben. Dann stellen sie sich wieder an, um die Rechnungen für Strom, Gas oder Telefon zu begleichen. Bei größeren Investitionen wie Immobilien muss in Dollar gezahlt werden, entsprechend sind oft Kredite in Dollar oder daran gekoppelt. Die jüngste Abwertung trifft daher viele Argentinier hart und dürfte dafür sorgen, dass Preise weiter stark angehoben werden. Dabei war die Anpassung des Wechselkurses eigentlich überfällig: Seit Jahren sind die Preise stärker gestiegen, als der Kurs des Peso gesunken ist.

Die Abwertung könnte helfen, die Exporte anzukurbeln, denn nun sind argentinische Produkte im Ausland günstiger. So wurde kürzlich schon eine große Ladung Rindfleisch ins Nachbarland Uruguay exportiert – zum ersten Mal seit zehn Jahren. Das ist auch deshalb eine Besonderheit, weil das kleine Land auf der anderen Seite des Rio de la Plata Argentinien inzwischen bei seinem Nationalprodukt kräftig Konkurrenz macht.

Argentinien ist selbst bei Rindfleisch abgestürzt

Traditionell gehörte Argentinien zu den weltgrößten Exporteuren von Rindfleisch. Doch in den Kirchner-Jahren änderte sich das radikal. Das Land stürzte gar aus den Top-10 und wurde nicht nur von den kleineren Nachbarn Uruguay und Paraguay überholt, sondern selbst von Weißrussland. Kirchner hatte die Exporte verteuert, um die Preise im Inland niedrig zu halten. Die Agrarwirtschaft und damit das Bild in den Weiten der Pampa wandelten sich in der Folge enorm. Wo einst riesige Rinderherden weideten, wurden große Sojafelder angelegt. Die Nachfrage und Preise für das „grüne Gold“ trugen ebenfalls zum Soja-Boom bei.

Doch ob Steaks oder Sojabohnen exportiert werden, macht letztlich kaum einen Unterschied. Es zeigt nur das tiefer liegende, strukturelle Problem des Landes. Argentinien ist bis heute viel zu abhängig von seinen Rohstoffen und der Agrarwirtschaft. Es fehlt zugleich an einer international konkurrenzfähigen Industrie. Armut und Kriminalität haben seit der Jahrtausendwende stark zugenommen, die Infrastruktur und das Bildungssystem leiden, Korruption ist ein Dauerproblem.

Auch Macri hat es kaum geschafft, die Wirtschaft wieder zu Investitionen zu bewegen. „Als Argentinier liebe ich das Land, doch als Unternehmer wäre es masochistisch, zurückzukehren, und deswegen investiere ich nicht“, sagt beispielsweise Martin Varsavsky, einer der bekanntesten argentinischen Unternehmer, der seit Jahren in Spanien lebt und dort mehrere Telekommunikations- und Internetunternehmen aufgebaut hat.

Hilfskredit und Sparmaßnahmen

Wie geht es nun weiter? Mit einem Hilfskredit des IWF hat Macri dem Land zumindest eine Atempause verschafft. Der IWF hatte Argentinien im Juni eine vorübergehende Finanzhilfe von 50 Milliarden Dollar gewährt. Davon wurden 15 Milliarden bereits ausgezahlt. Doch Buenos Aires benötigte zusätzliche Finanzspritzen. Am Freitag stimmte der IWF der Auszahlung der zweiten Tranche von 56 Milliarden Dollar zu. 5,7 Milliarden Dollar werden der Regierung in Buenos Aires nach IWF-Angaben sofort zur Verfügung gestellt.

Im Gegenzug hat sich Macri zu harten Einsparungen verpflichtet, um das Haushaltsdefizit zu senken. Am Donnerstag hat das Parlament nach einer Marathondebatte und heftigen Protesten auf der Straße den Plänen zugestimmt. Vorgesehen sind neben der Abschaffung mehrerer Ministerien und einer höheren Besteuerung der Exporte tiefe Einschnitte im Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrswesen, bei öffentlichen Arbeiten sowie im Wissenschafts- und Kulturbereich. Argentiniens Haushaltsdefizit betrug im vergangenen Jahr 3,9 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Regierung will es dieses Jahr auf 2,7 Prozent und bis Ende 2019 auf Null senken.

Doch die große Frage ist, ob Macri mit oder auch trotz der Sparpolitik im kommenden Jahr die Wiederwahl gelingt.

Suche nach verschwundenen Millionen

Sonst könnte es zum Comeback von Cristina Kirchner kommen, die in manchen Umfragen schon vorne liegt. Dabei ist die linke Populistin seit Monaten vor allem durch Ermittlungen in zahlreichen Korruptionsfällen in den Schlagzeilen. Beinahe täglich gibt es Verhaftungen, Razzien oder Kronzeugen stellen sich. Gerade wurde Kirchners mächtiger ehemaliger Bauminister zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Spektakulär ist auch der Fall eines Chauffeurs, der für die Kirchners tätig war. In acht karierten Notizheften notierte er handschriftlich über zehn Jahre detailliert die Zeiten und Orte, bei denen er zu Geldübergaben fuhr. Dabei sollen regelmäßig große Taschen voller Dollarbündel übergeben worden sein. Nun rätselt das Land, wo das Geld geblieben ist. Eine Fährte führte nach Patagonien. Dort soll auf dem Anwesen eines vermeintlichen Strohmanns der Kirchners ein Schiffscontainer voller Geld in 15 Meter Tiefe vergraben sein. Tagelang gruben Bagger am Ende der Welt riesige Löcher. Vergeblich.

Argentinien bleibt weiter auf der Suche – nach Dollars und einer Perspektive für die Zukunft. (mit AFP)

Zur Startseite