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Positives Beispiel: BMW kümmerte sich früher um neue Chips als die Konkurrenz.
© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Probleme in der Lieferkette: Apple, Huawei und Samsung machen VW, BMW und Daimler die Chips streitig

Als die Auto-Produktion im ersten Lockdown stoppte, suchte sich die Halbleiterindustrie neue Abnehmer. Jetzt stockt die Kfz-Produktion, weil Chips fehlen.

Es ist ein Blame Game, das niemand gewinnen kann. In der langen Lieferkette der Halbleiterindustrie schieben sich die Beteiligten derzeit gegenseitig die Schuld daran zu, dass die Autoindustrie nicht genügend Chips bekommt. Die braucht sie dringend, um ihre digitalisierten und vernetzten Autos zu bauen.

Die Autokonzerne werfen den Zulieferern vor, sie 2020 zu spät informiert und geliefert zu haben, weil sie ihre eigenen Lieferketten nicht im Griff gehabt hätten. Sogenannte Tier1-Zulieferer wie etwa Bosch oder Continental beklagen ihrerseits hinter vorgehaltener Hand, dass die Autoindustrie zu spät Bauteile bestellt hat. Lieferanten der Tier1-Firmen wiederum, die Halbleiter-Produzenten, weisen die Verantwortung ebenfalls von sich – Schuld an der Misere sei die Autoindustrie und ihr gestörtes Verhältnis zu den Tier1-Lieferanten.

Hintergrund des Konflikts ist die zunächst stark eingebrochene Nachfrage nach Halbleiterbauteilen im Coronajahr 2020. Die Autobauer orderten nach Jahren des Wachstums Anfang des vergangenen Jahres deutlich weniger elektronische Bauteile. Die Chiphersteller fanden aber rasch neue Abnehmer, etwa in der Unterhaltungselektronik bei Großkunden wie Apple, Huawei oder Samsung. Als sich dann der Automarkt früher als erwartet erholte, konnte die Lieferkette nicht schnell genug angepasst werden. Die Autoindustrie hatte das Nachsehen.

"Unverständlich, dass nach unseren Aufrufen keine Produktion aufgelegt wurde"

„Uns hat die Knappheit überrascht, weil wir frühzeitig bestellt haben“, sagt ein Manager aus der VW-Beschaffung. Den Vorwurf der Zulieferer, man sei trotz der absehbaren Markterholung zu spät dran gewesen, hält er für unbegründet. Schon im Sommer sei den Lieferanten – wie in der Branche üblich – ein konzernweiter „Programmverlauf“ für die kommenden sechs Monate präsentiert worden. Darin geben die Autobauer gewöhnlich einen Ausblick auf die geplanten Produktionsmengen und den Teilebedarf. Die Tier1-Lieferanten können sich darauf einstellen und ihrerseits Material bei den Halbleiterproduzenten bestellen.

„Es ist unverständlich, dass nach unseren Lieferaufrufen an unsere Tier1-Lieferanten Mitte 2020 keine hinreichende Produktion aufgelegt wurde“, sagt der VW-Manager. Gemeint ist die Produktion von Wafern. Das sind in der Halbleiterfertigung Scheiben (meist aus Silizium), auf denen die integrierten Schaltkreise, die Mikrochips, hergestellt werden.

Auch bei Daimler und anderen Autobauern hatten die Engpässe gravierende Folgen. In den Mercedes-Werken in Rastatt und Bremen soll die Kurzarbeit jetzt enden und die Produktion Anfang kommender Woche hochgefahren werden.

BMW als positive Ausnahme

Eine Ausnahme ist BMW. In der Branche wird anerkannt, dass sich der Münchener Konzern offenbar früher als andere um Lieferungen bemühte. Doch gibt es inzwischen Berichte, nach denen auch BMW vor Produktionsunterbrechungen stehe. Eine Sprecherin dementiert: „Wir haben das benötigte Volumen für 2021 fristgerecht bestellt und erwarten, dass unsere Lieferanten entsprechend der Bestellungen vertragsgerecht liefern.“ Produktionspausen habe es bislang nicht gegeben. Bislang.

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Bei Volkswagen sind die Einschnitte in der Produktion inzwischen so tief, dass der Konzern Schadenersatzansprüche gegen seine Lieferanten prüft. Um wen es sich handelt, sagt VW nicht. Klar ist aber, dass damit vor allem Bosch und Continental gemeint sind. Der VW-Konzern wirft seinen Vertragspartnern vor, zu spät reagiert zu haben. „Wir haben erst Mitte November erstmals von Zulieferern erfahren, dass es Probleme in der Supply Chain gibt“, sagt der Beschaffungsmanager.

Bosch und Continental unter Druck

Offiziell üben sich Bosch & Co. in Diplomatie, die Geschäftsbeziehungen sind sensibel und milliardenschwer. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Belieferung unserer Kunden mit elektronischen Bauteilen trotz angespannter Lage am Markt möglichst aufrechtzuerhalten und die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten“, sagt eine Sprecherin. Alle anderen Fragen bezüglich des Halbleiter-Engpasses „werden wir zu gegebener Zeit mit unseren Kunden und Zulieferern direkt besprechen“.

Begehrte Halbleiter. Autokonzerne werfen Zulieferern vor, sie hätten ihre Lieferketten nicht im Griff. Die Zulieferer klagen über späte Bestellungen.
Begehrte Halbleiter. Autokonzerne werfen Zulieferern vor, sie hätten ihre Lieferketten nicht im Griff. Die Zulieferer klagen über späte Bestellungen.
© picture alliance dpa/ Christoph Schmidt

Nicht ausgeschlossen ist, dass diese Gespräche Anwälte führen. „Die Kommunikation zwischen Autobauern und Tier1-Firmen ist offenbar nicht optimal“, sagt ein Marktteilnehmer. Auch Thibault Pucken, Geschäftsführer des Lieferkettenspezialisten Inverto, erwartet komplizierte Auseinandersetzungen. „Da werden sich die Juristen beider Seiten jeden einzelnen Fall genau anschauen müssen“, erklärt er Tagesspiegel Background.

Ob tatsächlich Schadenersatz geltend gemacht werden könne, hänge aber von der Ausgestaltung der Verträge. Gebe es eine verbindliche Bestellung und bestätige dies der Lieferant auch so, sollte er auch wirklich lieferfähig sein. „Anders sieht es aus, wenn der Lieferant vor Lieferrisiken warnt und dies seinem Kunden mitteilt“, sagt Pucken. In jedem Fall müssten sowohl Autohersteller als auch Tier 1-Lieferanten Transparenz in ihrer Lieferkette haben. „Die Frage ist also, warum das Risikomanagement hier nicht funktioniert hat“, so der Experte. „Wahrscheinlich hätten beide Seiten erkennen können, dass sich hier etwas zusammenbraut, wenn man genauer hingeschaut hätte.“

Schnelles Ende der Engpässe nicht in Sicht

Die größere Nachfrage der Autoindustrie nach Halbleitern führt dazu, dass die Hersteller nun verstärkt den direkten Draht zu Chipkonzernen wie Infineon oder NXP suchen. Infineon-Chef Reinhard Ploss bestätigt, dass Gespräche über Kapazitätspartnerschaften und neue Vertragsformen geführt würden. Dabei sichern sich die Hersteller durch Vorauszahlungen Kapazitäten – ein in der Autobranche bislang unübliches Verfahren.

Doch ersetzt das Direktgeschäft nicht die Aufgabe der Zulieferer. Beispiel Infineon: Der größte Lieferant von Automotive-Halbleitern mit einem Marktanteil von 13 Prozent ist seit mehr als einem Jahrzehnt bevorzugter Lieferant für Bosch bei Leistungshalbleitern. Diese sind wichtige Komponenten für Motorsteuerungen, Klimaanlagen oder Servolenkungen. Infineon liefert auch Radarsensoren und Wandler für Fahrassistenten. Bosch integriert diese in ein System, das dann an einen Autohersteller geliefert wird.

Ein schnelles Ende der Engpässe ist nicht in Sicht. Vom Start einer neuen Fertigung von Mikrocontrollern bis zur Lieferung dauere es bis zu sechs Monate, sagt Infineon-Chef Ploss. „Eine Just-in-time- Lieferung ist unmöglich.“

Taiwan, wo die marktführenden Auftragsproduzenten der integrierten Schaltkreise TSMC und UMC sitzen, hat Deutschland unterdessen seine Unterstützung angeboten – und gleichzeitig um Hilfe bei der Versorgung mit Corona- Impfstoffen gebeten. So soll die Autoindustrie als Abnehmer priorisiert werden. Thibault Pucken warnt: „Politische Intervention ist ein süßes Gift, da sie letztlich den Markt beeinflusst und verzerrt.“ Die Gründe für die Lieferprobleme lägen im Markt selbst und bei den Unternehmen. VW spricht sich derweil Mut zu. Die Talsohle sei erreicht. „Unser Ziel ist es, im zweiten Halbjahr die nicht gebauten Fahrzeuge möglichst wieder aufzuholen.“

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